Premiere: 21.01.2016, besuchte Vorstellung: 30.01.2016
Klanggewaltiges Alpendrama an der Côte d’Azur
Lieber Opernfreund-Freund,
das Opernhaus von Monaco ist eigentlich gar kein Opernhaus. Es ist ein Anbau an das dortige weltberühmte Casino, den der damalige Fürst Charles III., Namensgeber des von ihm umgestalteten, auf einem Berg liegenden Stadtteils „Monte Carlo“ und Urururgroßvater des derzeiten Staatsoberhauptes Albert II., 1878 in Auftrag gegeben hatte. Im darauf folgenden Jahr wurde der von Charles Garnier entworfene „Salle Garnier“ als privates Theater des Prince Souverain eröffnet. Er bietet gut 500 Zuschauern Platz und hat mit Monacos Spielcasino nicht nur den Eingang gemein, sondern auch die überbordende, üppige Ausgestaltung. Die Überladung des Innenraumes mit Gold, Reliefs und Figurinen, Ornamenten, Holzvertäfelungen und Kristall sind Ausdruck des sogenannten „horror vacui“, der Angst vor der leeren Fläche, und machen den Salle Garnier zur Miniaturausgabe der gleichnamigen Pariser Oper. Kaum ist man von einer der zahlreichen Einlasskräfte persönlich an seinen Platz geleitet worden und hat sich dort mit bester Sicht auf die Bühne (es gibt nur Parkett und Hochparkett) in seinen plüschigen Sessel fallen lassen, weiß man, bis das Licht zur Vorstellung erlischt, nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Schaut man dann auf die Bühne, erblickt man in der Regel Weltstars der Opernwelt. Die monegassische Oper präsentiert Koproduktionen mit anderen Opernhäusern, die hochkarätig besetzt sind – in der laufenden Spielzeit etwa „Tosca“ mit Marcelo Àlvarez und Bryn Terfel oder „Norma“ mit Cecilia Bartoli – oder Konzerte mit Angela Gheorghiu und Ramon Vargas, mit Juan Diego Florez oder Renée Fleming. Jedem opernaffinen Côte-d’Azur-Touristen sei also, falls irgend möglich, ein Besuch dringendst als Herz gelegt. Der Abend wird in jedem Fall ein unvergesslicher Theaterbesuch.
Am gestrigen Samstag präsentierte das Haus eine Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève. Alfredo Catalanis recht selten gespielte Oper „La Wally“ wird hier ohne jegliche Aktualisierung gegeben (nach meiner letzte Begegnung mit diesem Werk in einer unsäglichen Lesart von Tilman Knabe am Nationaltheater Mannheim, in der Wally über 40 Jahre vom Hippie zur alkoholkranken Firmenchefin wird und den letzten Akt nur als Suff-Vision erlebt, eine echte Wohltat). Und doch wird der Opernabend, der auf der „Geierwally“-Vorlage von Wilhelmine von Hillern basiert, aufgrund der ausgefeilten Personenführung von Cesarie Lievi nie langweilig. Seine Bühnenaufbauten wurden der kleineren monegassischen Bühne angepasst – und das tut der Inszenierung gut. So entsteht vor Postkartenidyll eine kleine Welt in den Ötztaler Alpen, in der sich die Gutsherrntochter Wally gegen den Vater auflehnt und, vom Geliebten in aller Öffentlichkeit brüskiert, in die einsame Bergwelt zurück zieht. Der Wiedervereinigung der Liebenden kommt – im Gegensatz zur Romanvorlage – eine Lawine dazwischen, die den Angebeten in die Tiefe reißt. Wally stürzt sich verzweifelt in den Abgrund nach. Die liebevoll gestalteten Kostüme von Ezio Toffolutti sind voller Lokalkolorit und machen zusammen mit dem stimmungsvollen Licht von Roberto Venturi den Abend rund. Es ist also, was den Rahmen und die Inszenierung betrifft, ein Opernbesuch wie vor hundert Jahren – und so gesehen ein wirkliches Erlebnis.
Dass die Protagonisten sonst auf großen Bühnen stehen, hört man ihnen an. Zoran Todorovich ist Covent-Garden-erprobt, singt in München, Paris und an der Berliner Staatsoper. Er verfügt über einen kraftvollen Tenor, als echter Spinto zeigt er keine Angst vor Höhe und Fortissimo. So gelingen ihm imposante Momente, allerdings führt er seine Stimme bisweilen mit ein wenig zuviel Druck und ich hätte mir da und dort doch ein wenig mehr Mut zum Piano gewünscht. Der Italienische Bariton Lucio Gallo geht da schon differenzierter vor. Er gestaltet seine Figur des Rivalen Vincenzo Gellner sehr facettenreich, ziegt nicht bloss den missgünstigen Intriganten, sondern auch den aus verzweifelter Liebe zum Handlanger werdenden Verehrer. Sein gefühlvoller Bariton ist durchaus auch zu überzeugenden Ausbrüchen fähig, dazu ist er darstellerisch sehr überzeugend. An der Wally von Eva Maria Westbroek kommt allerdings bei der gestrigen Dernière keiner vorbei. Die Niederländerin ist eine unglaubliche Bühnenerscheinung, betört mit einer satten Mittallage und klarer Höhe.
Zwar sing auch sie – ansonsten regelmäßig in Wien oder an der MET zu erleben – über weite Strecken, als müsse sie klanglich ein Haus mit vier Rängen füllen, doch findet sie an den entscheidenden Stellen – und damit ist nicht nur die weltberühmte Arie am Ende des ersten Aktes gemeint, die ihr hervorragend gelingt – zu gefühlvollem, nuancierten Gesang und einer bewegenden Darstellung. Olivia Doray zeigt in der Hosenrolle des Walter einen überaus beweglichen Koloratursopran mit feiner Höhe und überzeugt vom anfänglich präsentierten Jodler bis zum berührenden Gesang aus der Ferne im letzten Bild. In-Sung Sim schafft das mit der Darstellung des Patriarchen Stromminger weniger, zu zahm ist sein Bass, beinahe zu kultiviert, um ihm den Despoten abzunehmen, der sein komplettes Umfeld unterdrückt. Marie Kalinines Mezzo ist zwar warm und gut geführt, doch präsentiert sie die recht kleine Partie der Afra relativ uninspieriert, so dass man sich am Ende des vierten Aktes nicht mehr wirklich an die Stimme erinnern kann. Der Pedone des Franzosen Bernard Imbert ist von der Regie leider jeglicher komödiantischer Komponente beraubt, muss vielmer wie Gepetto bei „Pinocchio“ standig mit einer Holzpuppe umher laufen. Sein Bass ist eindrucksvoll, seine Auftritte im zweiten und dritten Akt hallen nach.
Der Chor ist bei „La Wally“ bis auf den letzten Akt nahezu immer zugegen, deshalb kommt ihm eine we Rolle zu. Stefano Visconti hat die Sängerinnen und Sänger gründlich vorbereitet. Sie singen tadellos und tragen so zum Gelingen des Abends bei. Maurizio Benini schlägt am Pult des Orchestre philharmonique de Monte-Carlo mitunter wahnsinnige Tempi an. So werden nicht alle Feinheiten der farbenreichen Partitur herausgearbeitet, einiges geht verloren. Doch vor allem in den ersten beiden Akten gelingen ihm interessante Tempiwechsel und mit den beiden ausladenden Vorspielen zu den Akten drei und vier tolle Akzente.
Das Publikum im bis auf den letzten Notsitz ausverkauften Opernhaus ist begeistert, doch der Applaus ist heftig, aber kurz. Vielleicht liegt es daran, dass man Monaco in Richtung Nizza nach 23:06 mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr verlassen kann, und mir deshalb im Zug der eine oder andere recht abgehezte Opernbesucher Gesellschaft leistet. Ich verlasse den Zwergstaat also aufgewühlt – nicht nur, weil auch ich habe rennen müssen, sondern auch, weil ich zwar nicht die am differenzierten, aber doch die am imposantesten vorgetragene „Wally“, bei der einmal alle drei Hauptpartien adäquat besetzt waren in unvergleichlichem Rahmen habe erleben dürfen.
Ihr
Jochen Rüth aus Köln / 31.01.2016
Die Bilder stammen von Alain Hanel