Monte Carlo: „Mazeppa“

Aufführung am 22.02.2012, Premiere in Monte Carlo 17.02.2012

Monaco mit seinen etwas über 30.000 Einwohnern verfügt über ein eigenes Opernhaus, das sechs bis sieben Produktionen im Jahr insgesamt etwa 30mal spielt. Das Theater befindet sich im Komplex des Spielcasinos in der 1874 erbauten Salle Garnier (des gleichen Architekten, der die Pariser Oper Palais Garnier erbaut hat), einem prunkvollen, kürzlich wieder völlig restauriertem Saal mit etwa 560 Plätzen. Bei der Aufführung des Mazeppa handelt es sich um die Übernahme einer Koproduktion mit der Opera Ireland, wo das Stück 2009 herauskam.

Die Handlung des 1874 im Bolschoi-Theater aufgeführte Mazeppa, eine Oper aus der mittlöeren Schaffenszeit Tschaikowskys, ist frei um die Person des Hetmans Iwan Stepanowitsch Mazeppa und die politischen Verwicklungen um die Schlacht von Poltawa (1709) konstruiert, welche literarische vielfach verwertet wurden; z.B. Lord Byron, Victor Hugo und Alexander Puschkin, auf dessen Versgedicht „Poltawa“ sich Tschaikowsky bei seiner Opernversion bezog. Verrat und Machtspiele zwischen Russen, Ukrainern/Kosaken, Polen und Schweden werden gekreuzt von einer höchst problematischen, tragisch anmutenden Liebesgeschichte: Das ist der Stoff dieser nicht allzu häufig aufgeführten Klamotte, die klassisch dreiaktig aufgebaut ist und ohne jede Hoffnung in der Katastrophe endet: Fast die Hälfte des Personals kommt ums Leben; die Frauengestalt endet im Wahnsinn. Der Höhe- und Wendepunkt des Werks im zweiten Akt liegt aber in einer psychologisch-personellen Konstellation: Mazeppa stellt Macht und Karriere vor die Liebe zu seiner Frau und stellt sie vor die Wahl zwischen ihm und ihrem Vater, den er aber bereits geopfert hat.

Der Schweizer Regisseur Dieter Kaegi siedelt das Geschehen in den zwanziger Jahren des revolutionären Russlands an. Obwohl schon die wenigen historische Parallelen ziemlich hergezogen sind, gelingt ihm eine wirkungsvolle stringente Umsetzung des Stoffs: Die schwärmerische Liebe der Maria zu Mazeppa (vergleichbar gemacht mit der von Senta zum Holländer); die plötzliche Konfrontation der früheren Freunde Mazeppa und Kotschubej und ihrer Mannen, die zunehmende Wandlung des Mazeppa zu Machtgier, Starrsinn und Grausamkeit, die ihn im Verlauf der Geschichte immer unsympathischer werden lässt; Weichheit, schlappe Intrige und Untergang des reichen Kotschubej, der Wahnsinnsverfall der Maria. Kaegi gelingen eindringliche Bilder, wozu auch seine teilweise aufregende Personenregie beiträgt. Ein überzeugendes Bühnenbild für die sechs Szenen der Oper hat Rudy Sabounghi gebaut.

Zuerst sieht man einen Raum mit riesigen Fenstern nach hinten: einen großen Durchgang mit Wintergarten, in welchem der Chor im ersten Bild sein Frühlingsfest feiert. Die schlechten Zeiten sind an diesem Raum nicht spurlos vorüber gegangen. Darunter ist ein Kriechkeller angeordnet, der im zweiten Akt zum Gefängnis mutiert, in welchen Mazeppa Kotschubej eingesperrt hat, der ihm vom Zar überstellt worden ist, weil er dessen Denunziation keinen Glauben geschenkt hat. Kotschubej wird von Mazeppas Brutaloschergen Orlik gequält. Dann wird in Mazeppas Büro gewechselt: er sitzt als Revolutionsgeneral am Schreibtisch und schafft an seinen usurpatorischen Plänen, als seine Frau Maria hereinkommt und sich über mangelnde Zuwendung beklagt. Im dritten Bild des zweiten Akts wird in der gleichen Bühnenstruktur die Hinrichtung Kotschubejs und seines Unterlings Iskra durch Erschießung durch Mazeppas Schlapphüte unter der roten Fahne mit Hammer und Sichel gezeigt. Das Volk weiß nicht so recht, ob es die „Delinquenten“ bedauern oder sich über die Langsamkeit des Verfahrens beschweren soll. Im dritten Akt ist Kotschubejs Haus verwüstet. Außer den ehemaligen Besitzern dieses Anwesens treffen sich hier nun alle wieder. Der Jugendfreund Marias will sich an Mazeppa rächen, wird aber von dessen Erfüllungsgehilfen, dem widerlichen Orlik erlegt. Maria kommt wie einst Lucia wahnsinnig in weißem Unterkleid und offenem Haar auf die Bühne. Den völlig von ihr entfremdeten Mazeppa erkennt sie nicht, aber ihren toten Jugendgespielen Andrej, dem sie zum Schluss das ergreifende (oder je nach Geschmack kitischige) kosakische Wiegenlied Bajuschki baju singt; mit diesen zarten Tönen verhaucht die Oper. David Belugou hat die Kostüme für die Produktion entworfen, die gekonnt jeweils sehr naturalistisch den jeweiligen Situationen angepasst sind.

Späte Anflüge der Grand’opéra sind in Mazeppa allgegenwärtig. Das spiegelt sich auch in der Musik wider, die in ihrer plakativen programmatischen Oberflächlichkeit nicht unter die Haut geht. Auch die Ausdeutung der Partitur durch den Tschaikowsky-Spezialisten Dmitri Jurowski am Pult, ändert daran nichts. Wieder einmal wird holzschnittartig gezeichnet, wozu allerdings das Orchestre Philharmonique de Monte Carlo perfekt intoniert. Der Opernchor wirkte nicht ganz präzise und hatte offensichtlich Probleme mit der Aussprache des Russischen. Die wogend dramatische Bewegungsregie des Chors wog das aber mehr als auf. Kaum Ausspracheprobleme hatten die Solisten, denn das waren überwiegend Muttersprachler, denen die Sprache glatt und gefällig über die Zunge lief. In der Titelrolle sang allerdings der Isländer Tómas Tómasson stimmgewaltig mit etwas rauem Bariton, der die Rolle auch schauspielerisch idealtypisch verkörperte.

Sein Gegenspieler Kotzschubej wurde von Paata Burchuladze mit der für ihn typischen Vokalfärbung gegeben: ein großer geschmeidiger Bass! Tatiana Pavlovskaya gefiel als Maria, kam im Verlauf immer besser in die Rolle und beherrschte stimmlich sowohl ihre dramatischen Ausbrüche als auch die innigen lyrischen Passagen mit dem Bajuschki baju als eindringlich interpretiertem Schluss. Elena Manistina mächtig gleichermaßen von Gestalt und ihrem gewaltigen Mezzo überzeugte sängerisch und spielerisch als Mutter Ljubow. Dmitro Popov sang den Andrej, Marias Jugendfreund, mit schön grundiertem sauber geführtem Tenor, während Gerard O’Connor den Orlik, Mazeppas grausamen Gefolgsmann, überzeugend abstoßend brachte, wozu auch sein überaus kräftiger unkultivierter Bass passte. Das ergab insgesamt ein hochklassiges Ensemble.

Manfred Langer, 28.02.2012

Foto-Copyright: Opera Ireland und Opera Monte Carlo

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