Lübeck: „5. Sinfoniekonzert“, Stefan Vladar

Die Technik meinte es nicht gut mit dem 5. Symphoniekonzert in der Lübecker „Musik- und Kongreßhalle“ am 4. Februar. Zuerst streikte die Bühnenbeleuchtung, dann klingelte ein Handy kurz vor dem Beginn und GMD Stefan Vladar drehte sich mahnend zum Publikum. Danke! Plötzlich ertönte ein Pfeifen, evtl. von einer Rückkopplung, das über den ganzen ersten Teil des Konzerts zu hören war und den Musikgenuß stark beeinträchtigte.

Um so mehr muß dem Dirigenten und dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck Respekt gezollt werden, daß sie gerade zwei sehr feinnervige Stücke mit höchster Konzentration zum Erklingen brachten.

© Jan Philip Welchering

Samuel Barber „Adagio for Strings” ist ein ungemein populäres Werk und kam als Begräbnismusik bei den Bestattungen unter anderem von Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy, Grace Kelly und Albert Einstein zum Einsatz. Auch in Filmen oder Dokumentationen ist das Stück regelmäßig zu hören, wenn „ein Weinen in der Welt“ ist. Die erste Zeile aus dem Gedicht „Weltende“ von Else Lasker-Schüler, das im Programmheft abgedruckt ist, charakterisiert die Grundstimmung solcher Ereignisse, die über das individuelle Empfinden hinausgehen.

Ein getragenes Tempo, ein klagendes Thema, das alle Streichergruppen in langer Melodielinie aufnehmen, und die bewußte Zähmung von Emotionen, die über das Trauern hinausgehen, machen dieses Stück zu einem musikalischen Synonym für würdevolle Begräbnismusik.

Die Lübecker geben den dunklen Charakter des Werks mit feierlicher Innigkeit wieder und präsentieren in ganz ähnlicher Haltung ein wenig bekanntes Stück, nämlich die „Malinconia“ des Österreichers Theodor Berger. Diese „Melancholie“ beschränkt sich ebenfalls auf Streichinstrumente, wobei dem Ersten Violinisten Carlos Johnson eine tragende Rolle zukommt. Das Stück ist zwar 1979 komponiert, aber es leben darin Impressionismus und Spätromantik wieder auf. Wahrscheinlich wird ihm irgend jemand „Verrat an der Avantgarde“ vorgeworfen haben; in jedem Falle ist das Stück wunderbar zugänglich in seinem stets tonalen Changieren zwischen Schwermut und hoffnungsfrohen Momenten. Johnsons Violine erhebt sich trillernd über das Orchester und zeichnet zarte Linien, wie ein Vogel, der über Wellen segelt.

© Jan Philip Welchering

Der aus der Werkeinführung der „Universal Edition“ entnommene Hinweis auf die Verwandtschaft zu Gustav Mahlers Adagietto aus seiner 5. Symphonie ist zutreffend und man mag da gleich assoziativ zu Viscontis „Tod in Venedig“ weitergondeln, denn man kann immer wieder diese Vogelflüge über die sanft bewegten Lagunenwellen imaginieren. Über einen Grundton legen sich feinere Akzente, mal in Soloinstrumenten, mal in Gruppen wiedergegeben, später sind es von den hohen und den tieferen Streichern gespielte Linien, die sich wie eine Marmorierung ineinanderschieben, aber sich nie ganz vermischen. Vladar nimmt sich in seinem Dirigat wie im Eingangsstück angemessen zurück; er, das Orchester und vor allem der Erste Violinist ernten für diese erste Abteilung herzlichen Beifall.

Béla Bartóks „Konzert für Orchester“ ist sicher eines seiner populärsten Werke, was auch an seiner Zugänglichkeit liegt. Die leitmotivische Melancholie des Lübecker Konzerts zieht sich auch durch dieses Werk. Gleich zu Beginn ertönt ein wehmütiges Motiv, das die Lübecker Blechbläser mit angemessenem elegischem Ton in die Ferne strahlen lassen.

„Die Grundstimmung des Werks stellt einen stufenweisen Übergang vom Ernst des ersten und dem Klagelied des dritten zur Lebensbejahung des Finales dar“, so der Komponist über dies Konzert, das geprägt ist von oft jähen Umbrüchen, Wechseln in Rhythmus, Tempo und Dynamik sowie Themen und Motiven, die – so mutet es zuweilen an – einander den Rang ablaufen wollen. Bartók hat in seiner Vorliebe für Volksmusik hier ungarische, rumänische und tschechische Quellen aus dem ländlichen Raum zusammengefügt, er zitiert aber auch nordafrikanische Rhythmik. Impressionistisches Flirren strahlt mitunter durch und auch Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ grüßt herein. Ob amerikanisch anmutende Blechbläserfanfaren eine huldigende Reminiszenz an die USA, seiner Exilheimstatt, sind oder eher als freundliche Karikatur verstanden werden können, sei dahingestellt.

Es liegt viel Geheimnisvolles und Sehnsüchtiges in dieser Komposition, zumal im ersten Satz, wo die Wehmut dann aber von einem temporeichen Allegro abgelöst wird. Der Folgesatz mit der charakteristischen Trommel hat zunächst etwas Stolperndes, bevor mit Klangfarben und -mixturen gespielt wird, auch erklingt ein Choralmotiv. Der dritte Satz, in dem thematisch auf den ersten rekurriert wird, hat etwas ausgesprochen Impressionistisches, ja Zauberisches; Harfenklänge perlen golden.

Der vierte Satz ist völlig anders gestaltet. Auf die angesprochenen volksmusikalischen Elemente reagieren humoristisch, bisweilen schrill Zitate aus Schostakowitschs Leningrader Symphonie und Léhars „Heut geh ich ins Maxim“, was dem Satz etwas Burleskes gibt.

Auch der Finalsatz greift Themen aus dem ersten auf und gewinnt Tempo durch Fugato-Passagen, zudem spielt er wieder mit dem Volkstümlichen, aber auch barocke und klassische Aspekte, wie Kontrapunktik werden angedeutet.

Langer, begeisterter Beifall würdigt eine runde, reife Gesamtleistung.

Andreas Ströbl, 4. Februar 2024


Musik- und Kongreßhalle Lübeck

4. Februar 2024

Samuel Barber, Adagio for Strings
Theodor Berger, Malinconia für 48 Streicher
Béla Bartók, Konzert für Orchester

Musikalische Leitung: Stefan Vladar
Solovioline: Carlos Johnson
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck