Leipzig: „Die Csárdásfürstin“, Emmerich Kálmán

Ganze vier Jahre ist es her, dass ich das letzte Mal in der Musikalischen Komödie Leipzig (MuKo) war. Immer kam etwas anderes dazwischen, aber jetzt, wo die Jahreshauptversammlung der Deutschen Johann Strauss Gesellschaft hier in Leipzig abgehalten wurde, war ich endlich mit den Straussfreunden (darunter Dr. Eduard Strauss mit seiner Gattin Susanne) wieder hier. Viele Erinnerungen kamen hoch, an wunderbare Aufführungen, die ich hier schon erleben durfte. Und natürlich sind wir vor und nach der Vorstellung wieder in der „Künstlerklause“, halt jetzt heißt die Lokalität „Lortzing“ und ist neu renoviert und alles wurde umgestellt. Leider sind die vielen hunderte Aufnahmen aus den Vorstellungen mit den berühmtesten Gästen, die für mich das Flair dieses Theaterlokals ausgemacht hatten, verschwunden und haben einer sachlichen Atmosphäre Platz gemacht. Nicht allen hat dies gefallen, aber es ist leider nicht zu ändern. Die Bedienung ist freundlichst und aufmerksam, das Essen sehr gut, eine hervorragende Voraussetzung für den Besuch der Aufführung von „Die Csárdásfürstin“ ist gegeben. Wir haben es mit der Wiederaufnahme einer Inszenierung aus dem Jahr 2000 zu tun, die nun zu neuen Ehren kommt. Und um es gleich vorwegzunehmen, die Aufführung hat einfach nur Spaß gemacht, eine konventionelle Regie (und das meine ich mehr als positiv), ein blendend aufgelegtes Ensemble, ein tolles Orchester mit einem ebensolchen Dirigenten und ein fröhliches, begeisternd mitgehendes Publikum. Und eine zündende feurige Musik von Emmerich Kálmán, die mitreißt und begeistert – auch heute noch, wie eh und je. Operettenherz, was willst du mehr.

Obwohl der Inhalt der wundervollen Operette von Kálmán jedem bekannt sein dürfte, ganz kurz die Handlung. Der junge Fürst Edwin von Lippert-Weylersheim ist unsterblich in die Chansonette Sylva Varescu verliebt, die in seiner fürstlichen Familie unerwünscht ist, da nicht standesgemäß. Sie will auf eine längere Tournee gehen, er will sie jedoch nicht weglassen und unterschreibt vor dem Notar ein Heiratsversprechen. Graf Boni jedoch hat erfahren, dass Edwin die junge Komtesse Stasi heiraten soll, die Verlobungskarten sind schon gedruckt, er teilt dies Sylva mit, die daraufhin zutiefst enttäuscht zur Tournee aufbricht. Einen Tag vor Ablauf des Heiratsversprechens taucht Sylva als angebliche Frau des Grafen Boni am Fürstenhof auf. Edwins Liebe flammt heißer denn je auf, er fordert seinen Freund auf, in die Scheidung einzuwilligen, dann kann er die vermeintliche geschiedene Gräfin standesgemäß heiraten. Er informiert seine Familie, worauf Sylva ihre Heiratsurkunde präsentiert und tief enttäuscht, dass Edwin sie nicht als Sylva liebt, geht. Graf Boni, der in die junge Stasi verliebt ist, bringt alles in Ordnung, der Fürst erkennt, dass auch seine Gemahlin aus dem Tingeltangel-Milieu stammt und gibt seinen Widerstand gegen die Heirat auf. Sylva und Edwin und Stasi und Boni werden ein Paar.

(c) Kirsten Nijho

Die Inszenierung stammt von Franziska Severin und hat keinerlei Staub angesetzt, ist so aktuell und stimmig wie im Jahr 2000 und 2015 und jetzt im Jahr 2023. Sie inszeniert die schwungvolle Operette in erster Linie so, wie sie geschrieben und komponiert wurde, eng an das Original angeglichen. Hier ist keine Regisseurin, die sich selbst auf Kosten des Werkes verwirklichen will, indem sie die Operette auf den Kopf stellt, sie verformt, vermodernisiert und damit praktisch vernichtet. Nein, alles klingt und singt, alles fließt ineinander über und alles ist so, dass jeder nachvollziehen kann, was auf der Bühne vor sich geht. Das ist bei vielen der sogenannten Selbstverwirklichungsregisseuren völlig anders und zerstört die herrlichste Nebensächlichkeit der Welt, die Operette. Eine stimmige, nachvollziehbare und einfach nur schöne Inszenierung.

Das Bühnenbild von Thomas Gabriel passt sich dem nahtlos an. Mit einfachen Mittel wird hier Optimales auf die Bretter, die die Welt bedeuten, gestellt. Gefällige Aufbauten, alles aufeinander abgestimmt, farblich nachvollziehbar und einfach dem Stil der damaligen Zeit angepasst. Ein Bühnenbild, welches einfach nur gefällt und Spaß macht, ebenso wie die farbenfrohen Kostüme von Sven Bindseil, der hier ganze Arbeit gemacht hat und dem Auge des Zuschauers einiges bietet. Auch in den Tanz- und Chorszenen ein Bild, das dem Auge schmeichelt und deshalb voll in das Konzept dieser Aufführung passt. Die Choreographie von Monika Geppert und auch die Choreinstudierung von Mathias Drechsler lassen keine Wünsche übrig, das hängt natürlich auch damit zusammen, dass ein blendend aufgelegtes, spielfreudiges und hochmotiviertes Ensemble hier auf der Bühne steht.

Das Orchester der Musikalischen Komödie ist genau wie die Darsteller an diesem Abend blendend aufgelegt, wie fast immer, wenn ich sie erlebt habe. Es wird von dem in Kreuzlingen in der Schweiz geborenen Tobias Engeli geleitet. Sein leidenschaftliches Dirigat holt alle Details aus dem Orchestergraben hervor. Mit leichter, flüssiger Hand lenkt er seine Musiker mit einer feurigen Leidenschaft. Er erarbeitet feinste Nuancen und lässt das Orchester, da wo es notwendig ist, feurig und aufbrausend agieren. Er hat jedoch auch entsprechende Rücksicht für die Sänger und nimmt das Orchester zurück, wenn es droht, die Stimmen zu überdecken, das alles zeichnet diesen Klangkörper aus. Wahrlich ein wahrer Meister des Taktstocks, der auch schon über 10 Jahre in Leipzig das Dirigat führt. Das Publikum, welches von den leidenschaftlichen Orchesterwogen förmlich mitgerissen wird, ist spürbar beeindruckt und geizt nicht mit wohlverdientem Beifall.

(c) Kirsten Nijho

Doch nun zu den Hauptakteuren einer jeden Operetteninszenierung, den Sängern. Und hier ist dieser Tag wieder ein Glücksfall, es gibt keinerlei Ausfälle und es sind Sänger im Ensemble, die bereits bei der Premiere 2000 dabei waren und denen dieses Stück in Fleisch und Blut übergegangen ist, dies springt natürlich auch auf das Publikum über.

Als Chansonette Sylva Varescu tritt die in Ueckermünde in Mecklenburg-Vorpommern geborene und aufgewachsene Sopranistin Lilli Wünscher auf. Von 2013 bis 2022 war sie Ensemblemitglied der MuKo, heute singt sie die Rolle als Gast. Bereits 2015 war sie hier an der MuKo damit mehr als erfolgreich und auch heute spürt man, dass sie die Partie bis in den kleinen Finger verinnerlicht hat. Ihr angenehmer Sopran leuchtet in allen Passagen, ist warm und ausladend. Mit einem, fast könnte man sagen, silbrigen Glanz in der Stimme und strahlenden Spitzentönen meistert sie alle Klippen dieser nicht unbedingt leichten Partie. Dazu kommt eine ausgesprochene Spielfreude, die sich auch vor allem in den Duetten mit ihrem Partner zeigt. Dieser Partner ist der in Warschau geborene und die mexikanische Staatsangehörigkeit besitzende, jedoch in Deutschland aufgewachsene Tenor Adam Sanchez, der bereits im siebten Jahr an der MuKo engagiert ist. Er besitzt eine große, durchschlagende Stimme, versehen mit sinnlichem Schmelz. Eine Stimme, die keine Höhenprobleme zu kennen scheint, voluminös, feurig, strahlend und strömend. Er beeindruckt nicht nur seine Sylva, sondern auch das Publikum, welches bei beiden nicht mit dem Applaus geizt.

Als Komtesse Stasi erleben wir die in Coburg geborene Nora Lentner. Seit neun Jahren gehört sie zum festen Stamm der MuKo. Und wie immer erfreut sie mit ihrem erfrischenden, klaren und hellen Sopran. Ausdrucksstark, gefühl– und temperamentvoll erobert sie nicht nur ihren Boni. Sie versieht die Rolle auch mit sehr viel Spielwitz und man merkt ihr, wie praktisch allen Akteuren an, wie sehr sie mit dem Stück verwurzelt ist. Ihr Graf Boni Káncsiánu wird von dem geborenen Wiener Andreas Rainer dargestellt – und wie. Mit klarem, gefühlvollem und charmantem Tenor und einer tollen Bühnenpräsenz wirbelt er nur so über die Bühne. Sein gefälliger, stimmschöner warmer Tenor wird von ihm leidenschaftlich eingesetzt und in den Duetten mit seiner Stasi punktet er weitere Male. Eine mehr als tolle Leistung. Er ist seit 24 Jahren an der MuKo engagiert, ebenso wie sein Freund, der Leipziger Bariton Milko Milev. Er ist eine der Säulen der MuKo und konnte erst kürzlich als Milchmann Tevje mehr als großartige Kritiken einstecken. Sein wunderschöner, gepflegter warmer und durchschlagender Bariton wird von ihm stilvoll eingesetzt und der Lacher und des Applauses des begeisterten Publikums kann er sich sicher sein.

Als Fürst Leopold von Lippert-Weylersheim erleben wir den in Mühlhausen in Thüringen geborenen Bariton Patrick Robeck, der seinen Auftritt eindrucksvoll zelebriert und ohne Wenn und Aber auf die Bühne bringt. Eine gute Leistung des erfahrenen Sängers, der auch viel Regiearbeit macht. Als seine Frau Anhilte von Lippert-Weylersheim tritt die in Halle an der Saale geborene Angela Mehling auf. Und sie ist ein Urgestein der MuKo, seit 40 Jahren Ensemblemitglied und immer noch so frisch wie am ersten Tag. Sie ist eine glänzende Komikerin und sorgt gemeinsam mit Milko Milev in einem wunderschönen Duett der beiden für einen weiteren Höhepunkt des Abends. Dieser wird fast noch von dem schmissigen Terzett „Joj mamam“ im letzten Akt übertroffen, welches Lili Wünscher gemeinsam mit Andreas Rainer und Milko Milev unnachahmlich zu Gehör bringt. Hier merkt man, dass aufeinander eingespielte Künstler mit Leib und Seele und vollem Einsatz bei der Sache sind. Sie wirbeln nur so auf der Bühne herum, mit vollstem Einsatz. Ein richtiggehender Bravosturm und natürlich die Refrainwiederholung inbegriffen sind ihr Lohn.

(c) Kirsten Nijho

Mit Uwe Strötzel als Eugen von Rohnsdorff wird das Ensemble ohne Fehl und Tadel stimmig vervollständigt. Langanhaltender, starker und fast nicht endend wollender Applaus, zeigt, dass es den Besuchern mehr als gut gefallen hat und man sich freut, bald wieder bei der MuKo die Alltagssorgen für ein paar Stunden zu vergessen. Operette ist für mich die schönste Nebensache der Welt, die aber, richtig gebracht, viel bewirken kann. Wenn man mitbekommt, wie fröhlich die Besucher aus dem Haus gehen, im „Lortzing“ noch einen kleinen Absacker nehmen und ein Liedchen auf den Lippen haben, dann weiß man, was diese Kunstgattung bewirken kann und wie sehr sie die Menschen erfreut und wenigsten ein paar Stunden von den Alltagssorgen befreit. Die MuKo in Leipzig ist immer eine Reise wert und ich freue mich schon auf „Die Fledermaus“, bei der ich mir ganz fest vorgenommen habe, die Reise von Bamberg erneut mit Freude zu unternehmen.

Manfred Drescher, 24. November 2023


Die Csárdásfürstin
Operette von Emmerich Kálmán

Musikalische Komödie Leipzig

Premiere: 25. November 2000
Wiederaufnahme 28. Oktober 2023
Besuchte Vorstellung: 11. November 2023

Inzenierung: Franziska Severin
Musikalische Leitung: Tobias Engeli
Orchester der Musikalischen Komödie