Besuchte Vorstellung von „Die lustige Witwe“ am 20. Juli 2018 (Premiere 23. Juni 2018) und „Der Bettelstudent“ am 21. Juli 2018 (Premiere am 14. Juli 2018)
Michael Lakner als künstlerischer Leiter der Bühne Baden „in seinem Element“
Viele Jahre war ich in Bad Ischl und habe immer wieder tolle Aufführungen dort erlebt. Der Intendant Prof. Dr. Michael Lakner ist im letzten Jahr nach Baden bei Wien gewechselt und da war es eigentlich verständlich, dass ich ihm folge, um zu sehen, wie es ihm in der neuen Wirkungsstätte geht und wie er sich inzwischen eingewöhnt hat. Und ich muss gestehen, dass ich von der Bühne Baden so beeindruckt bin, dass ich im nächsten Jahr wieder hinfahren werde. Das liegt einmal an den tollen Aufführungen, die ich hier erleben durfte und zum anderen an der einmaligen Atmosphäre einer Sommerarena, die 1906 gebaut wurde und ein verschiebbares Glasdach besitzt, welches bei schönem Wetter geöffnet werden kann, man sitzt dann praktisch in einer Freiluftaufführung und bei schlechtem Wetter geschlossen wird, so dass man trocken sitzt. Ich habe mit meinem Freunden in diesem Jahr beide Varianten erlebt, eine „Lustige Witwe“ bei schweißtreibenden Temperaturen, mit geöffnetem Dach, durch das man die Bäume und Sterne sehen konnte, eine äußerst reizvolle Angelegenheit, die so in dieser Art wohl einmalig sein dürfte und, da Regen angesagt war, einen „Bettelstudent“ in einem geschlossenen Theaterbau – und die Badener lieben ihre Theater. Der Intendant Michael Lakner hatte uns am Vormittag durch den Theaterbau der Sommerarena geführt, wir durften das Schauspiel des Öffnens und Schließens des Daches live miterleben und bekamen eine Reihe von Informationen über die Sommerarena aber auch das Stadttheater. Was hier an Operette, Oper, Musical usw. angeboten wird ist schon einmalig, vor allem bei einer relativ kleinen Stadt im Konkurrenzschatten des großen Wien. Man merkt aber auch, mit wieviel Herzblut Michael Lakner diese neue Aufgabe mit Leib und Seele angenommen hat und eine Unmenge an neuen Plänen für Jahre im Voraus mit sich trägt. Hoffen wir, dass er den größten Teil verwirklichen kann und freuen wir uns auf ein Theater, dass mit seinem sich öffnenden und schließenden Glasdach mit Sicherheit ein Unikat in der Spezies der „Freilufttheater“ darstellt, ein Unikat, welches vom Publikum einfach nur geliebt wird.
„Die Lustige Witwe“
Dann sind wir in der Aufführung von „Die Lustige Witwe“ und es hat Spaß gemacht. Die Geschichte von der schwerreichen Hanna Glawari, die von Graf Danilo Danilowitsch nicht geheiratet werden kann, wegen des Standesdünkels und die durch eine kurze und reiche Heirat jetzt ebenbürtig ist, ist doch zu schön. Baron Mirko Zeta fleht den Grafen an die Witwe zu heiraten, um ihre Millionen für das Vaterland, welches an der Pleite entlangschrammt, zu retten, doch er ist viel zu stolz, um dies zu tun. Er will aber alle Verehrer, die die Millionen erringen könnten beiseiteschaffen. Der größte Rivale ist dabei der heimliche Liebhaber von Valencienne, der Gattin von Baron Mirka, Camille de Rosillon. Der Baron deckt die geglaubte Untreue seiner Gattin auf, will sich scheiden lassen und die Witwe heiraten. Sie erklärt, dass dann die Millionen futsch sind und dies ist der Moment, wo ihr Danilo endlich seine Liebe gesteht. Nun ja, das Vermögen erbt laut Testament der neue Ehemann und Baron Mirko liest auf dem Fächer seiner Frau, dass sie eine anständige Frau ist. Alles löst sich in Wohlgefallen auf und alle sind zufrieden.
Reinhard Alessandri
Die Inszenierung stammt von Michael Schilhan, der in erster Linie die Beziehung der Hauptakteure in den Mittelpunkt stellt und auch die Dialoge um einige Pointen, die sich Nichtösterreichern nicht unbedingt gleich erschließen, bereichert. Die Ausstattung liegt in den Händen von Alexia Redl und ob die bunte Bühne inclusive eines Wohnwagens und vor allem eines Imbissstandes, dem sogenannten „Danilo Grill“ unbedingt notwendig gewesen wäre, darüber kann man trefflich streiten, ebenfalls über mit Flugzeug eingeflogene Grisetten. Aus meiner Sicht hätte man das ganze etwas konventioneller inszenieren können, aber wie gesagt, es ist Geschmacksache und dem Publikum hat es gefallen – und das ist schließlich die Hauptsache. Die Choreografie von Natalie Holtom ist etwas zurückhaltend, aus dem sehr guten Ballett hätte man sicher noch einiges mehr herauskitzeln können
Das Orchester der Bühne Baden ist an diesem Abend sehr gut aufgelegt, agiert mit zurückhaltenden zarten Tönen, ebenso wie feurig aufflammenden Weisen, spritzig, feurig, einfühlsam. Dies liegt zu einem großen Teil auch an dem Dirigat von Franz Josef Breznik, der seine Musiker fordert und formt. Er umschmeichelt auch, wenn es erforderlich ist, zurückhaltend seine Sänger, die dadurch noch mehr zur Geltung kommen. Er hat seinen Lehár im kleinen Finger und überträgt dies auch auf seine sehr guten Musiker. Er kann einen großen Abend mit ihnen verbuchen. Dem schließt sich auch der von Michael Zehetner präzise einstudierte Chor an.
Maya Boog mit Ensemble
Nun aber zu den Sängern der Aufführung und da gibt es ebenfalls Gutes zu berichten. Ein Ausfall ist nirgends zu verzeichnen, auch die kleinsten Rollen sind rollendeckend besetzt und man hat auch den Eindruck, dass es dem Ensemble Spaß macht hier zu agieren. Die Spiel- und Sangesfreude vermittelt sich unmittelbar dem gut mitgehenden Publikum, welches Spaß an der einfühlsamen Geschichte der reichen Witwe hat. Als Hanna Glawari ist die gebürtige Schweizerin Maya Boog unumstritten die Nummer Eins unter den Gesangsdarstellern. Sie kokettiert auch mit Stimme und Darstellung. Ihr aufblühender Sopran hat klare ungefährdete Höhen und weiß sich auch in den Duetten hervorragend zu behaupten. Dazu kommt ein gefälliges Spiel, so dass die Gesamtfigur Hanna zum Mittelpunkt der Operette wird. Voller Energie, mit mühelos erklommenen Spitzentönen, tragfähigem leuchtenden kraftvollem Sopran stellt sie vor allem eine Figur aus Fleisch und Blut auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Eine Hanna zum Anfassen, mit natürlicher Energie und kraftvoll leuchtenden Tönen. Dazu kommt ihr kongenialen Partner als Graf Danilo Danilowitsch, der wohlbekannte österreichische Tenor, der aus Tirol stammende Reinhard Alessandri. Er zeichnet das Bild des charmanten Schwerenöters, dem Arbeit einfach zuwider ist, der sich die Grisetten aber zum Lebensinhalt erkoren hat und die nach wie vor flammende Liebe zu Hanna, die neu entfacht wird, als sie nun als lustige Witwe auftaucht. Stimmlich und optisch ist er eine Idealbesetzung des leidenschaftlichen Lebemanns, dem der Champagner besser schmeckt wie die Arbeit. Durchschlagskräftig, mit leuchtender, fester und strahlender Höhe versehen, ist er der Lebemann, den die Liebe zu Hanna erneut packt. Als Valencienne, die treue-untreue Frau des Baron Zeta macht die Österreicherin Martha Hirschmann, eine sehr gute Figur. Ihr beweglicher, sicherer und effektvoll eingesetzter Mezzosopran weiß zu gefallen, im Grisettenlied wäre etwas mehr Durchschlagskraft noch besser gewesen. Mit ihrem frivolen und aufreizenden Spiel bringt sie den Puls vieler im Publikum sitzender Herren zum schnelleren Schlagen. So mancher möchte da an Stelle des Camille de Rosillon sein, der von dem brasilianischen, aus Rio de Janeiro stammenden Tenor Gustavo Quaresma verkörpert wird. Er hat eine mühelose, metallische, alle Höhen ohne Probleme meisternde Stimme, die sowohl im Solo, als auch im Duett durchschlagskräftig ist. Seine bombig herausgesungenen Spitzentöne beeindrucken. Zwei Paare auf der Bühne, die sich in nichts nachstehen, ein Glücksfall für Baden und das begeistert mitgehende Publikum.
Gustavo Quaresma, Martha Hirschmann
Als Baron Mirko Zeta ist Wolfgang Gerold stimmlich mit warmem und vollem Bariton und darstellerisch ein guter Baron. Als Militärattaché Njegus hat János Mishuretz die Lacher des Publikums auf seiner Seite und kalauert sich durch seine Rolle. Der gute Tenorbuffo Beppo Binder als Roul de St. Brioche macht das Beste aus seiner kleinen Rolle, auch darstellerisch macht er aus der kleinen Rolle das Optimale. Ebenso wie der Bariton und Schauspieler Thomas Zisterer als Vicomte Cascade, der sehr angenehm auffällt. Eine hervorragende Darsteller- und Sängerriege ergänzt ohne Fehl und Tadel das Ensemble. Paul Schmitzberger als Gesandtschaftsrat Kromov und Dessislava Filipov als seine Frau Olga, ebenso wie Michaela Mock als Praskovia.
Wenn man ein bisschen Firlefanz weggelassen, die Gags etwas weniger und dafür gezielter verwendet hätte, wäre dies eine herausragende Aufführung der „Lustigen Witwe“ gewesen, so war es jedoch immer noch eine weit über dem Durchschnitt liegende Aufführung und das ist doch schon mal etwas. Das Highlight, neben den gesanglichen Leistungen, war an diesem Abend aber auch das offene Theaterdach, welches den Rezensenten, wie er gerne zugibt, sehr beeindruckt hat.
„Der Bettelstudent“
Am nächsten Tag steht „Der Bettelstudent auf dem Programm. Eines muss ganz klar gesagt werden, gesanglich hatte er eindeutig die Nase vorn, die Stimmen waren aus meiner Sicht zum großen Teil besser als am Vortag bei „Die lustige Witwe“ und zum zweiten war an diesem Abend wegen Regen das Dach der Sommerarena (leider) geschlossen. Man erlebte bei diesem „Bettelstudent“ eine Vorstellung wie aus einem Guss. Von dieser Aufführung hätte man gerne einen Mitschnitt gehabt, wie von der „Lustigen Witwe“, die auf Ö3 gebracht worden war.
Sebastian Huppmann, Anton Graner, Jochen Schmeckenbecher, Thomas Malik, Michael Fischer, Robert R. Herzl
Die Geschichte des tief gekränkten Oberst Ollendorf, der mit einer Ohrfeige durch die schöne Laura, einer Tochter der verarmten Gräfin Nowalska, für seine Zudringlichkeit „belohnt“ wird, daraufhin zwei Bettelstudenten als Fürst und Adjutant auftreten lässt, um nach geschlossener Ehe der schönen Laura den Bettelstudenten zu präsentieren, um sie damit vorzuführen, ist wohlbekannt. Durch seine Überheblichkeit wird er durch einen der Bettelstudenten, der eigentlich ein Herzog ist, abgesetzt und der andere Bettelstudent geadelt. Beide finden in den Töchtern der Gräfin ihr Glück und das Land ist gerettet und Ollendorf abgesetzt. So einfach kann Operette funktionieren.
Das Orchester der Bühne Baden wird an diesem Abend von Oliver Ostermann mit straffer und gleichzeitig leichter Hand geleitet. Sehr harmonisch geht er mit seinem Orchester um, eine überaus stimmige orchestrale Leistung. Rasant und feurig, wenn es erforderlich ist, aber auch leise und zurückhaltend, wenn es den Stimmen der Sänger dient. Insgesamt eine exzellente Leistung von Orchester und Dirigent. Ein ebenso stimmiges Bühnenbild, einprägsam und mit wenig Mitteln viel erreicht wird von Isabella Gregor gezaubert und die Ausstattung von Dietmar Solt steht dem in nichts nach. Das Ganze funktioniert auch deshalb so gut, weil ein Solistenensemble auf der Bühne steht, was seinesgleichen sucht und in allen Bereichen ausgewogen und weit über dem Durchschnitt liegt. Das alles gefällt auch den Augen des Publikums, welches mit Beifall nicht geizt. Auch der Chor (verantwortlich
Michael Zehetner) und das Ballett der Sommerarena Baden können voll überzeugen. Gerade im Bettelstudenten, bei dem die Dialoge wesentlich kürzer geraten sind, als bei anderen Operetten, kommt dies ganz besonders zur Geltung.
Den Studenten Symon Rymanowicz, den Bettelstudenten, gibt Matjaz Stopinsek mit schmelzendem, höhensicherem und durchschlagskräftigem Tenor, alles mit Feuer und Strahlkraft der Spitzentöne. Es macht einfach Spaß ihm zuzuhören, aber auch zuzuschauen. In jeder Sekunde merkt man ihm den Spaß und die Freunde an dieser Partie an und es überträgt sich auf das Publikum und dieses dankt ihm mit langem anhaltenden und hochverdienten Beifall. Seine bezaubernde Laura ist an diesem Abend Regina Riel , die österreichische Sopranistin, die in den letzten Jahren die Operettendiva von Bad Ischl war und diesen Erfolg in Baden nahtlos fortsetzt. Mit klarem, reinem in jeder Lage wunderschön ansprechendem Sopran. So macht Operette einfach nur Spaß – und so soll es auch sein. Ricardo Frenzel Baudisch gibt den zweiten Studenten Jan Janicki, der in Wirklichkeit Herzog Adam ist. Hochgewachsen und schlank und so ist auch sein sehr angenehmer Tenor, den er mit viel Eleganz und Charme einsetzt und dies auch im Duett mit „seiner“ geliebten Bronsilava, der zweiten Tochter der Gräfin Nowalska. Bronsilava wird von der jungen zarten Sopranistin Ilia Staple verkörpert. Mit hellem, klarem und warmem Sopran bezaubert sie nicht nur den Studenten, auch das Publikum, welches sie auch mit einer ausgesprochenen Spielfreude verwöhnt. Die Gräfin Nowalska wird völlig rollendeckend von Sylvia Rieser verkörpert, die auf jeden Fall auch das Mitleid des mitgehenden Publikums auf ihrer Seite hat, denn das Wohl ihrer Töchter liegt ihr mehr als gewaltig auf der Seele. Dann kommt die Verkörperung des Oberst Ollendorf durch
Jochen Schmeckenberger. Er, der alles inszeniert, weil er ja einen (kleinen) Kuss auf die Schulter der schönen Laura mit einem Schlag mit deren Fächer ertragen muss. Der in Hockenheim geborene Schmeckenberger wird vor Beginn der Vorstellung durch den Intendanten Michael Lakner entschuldigt. Er habe eine Kehlkopfentzündung, aber trotzdem – um die Vorstellung zu retten – zugesagt dennoch aufzutreten. Und dann singt dieser Kranke so, als wenn ihm nichts, aber auch gar nichts fehlen würde. Er liefert seine Partie bravourös ab, mit mächtigem (Bass) Bariton, stimmgewaltig, stimmschön und furchteinflößend verkörpert er die Rolle des intriganten Aufschneiders. Es ist eine Freude ihm zuzusehen und zuzuhören und man fragt sich wirklich, wie die Leistung ausschauen würde, wenn er keine stimmlichen Einschränkungen hat. Viel Beifall für eine tolle Leistung.
Jeder richtig an seinem Platz tritt das Offiziersquartett des Oberst Ollendorf auf, jeder eine Type, jeder für sich ideal in seiner Rolle aufgehend. Anton Graner als Major Wangenheim, Thomas Malik als Kornett Richthofen, Sebastian Huppmann als Rittmeister Henrici und Michael Fischer als Leutnant Schweinitz runden alles wunderbar ab. Als Diener der Gräfin Nowalska liefert Johannes Terne ein Faktotum der Sonderklasse ab, einer, der alles in einem ist. Viel Applaus für ihn und seine Auftritte. Justus Seeger als Puffke und Mahdi Niakan als Piffke komplettieren das stimmige Ensemble. Und dann ist da ja noch Robert R. Herzl als Gefängniswärter Enterich. Er gibt einen Wärter als Pirat und er ist ständig präsent, bekommt mit die meisten Lacher und den meisten Applaus, ist mir persönlich aber ein bisschen zu überzogen, zu kasperig und zu überdreht. Etwas weniger wäre hier aus meiner Sicht wesentlich mehr gewesen. Aber das Publikum sieht es anders – und das Publikum hat (fast) immer recht. Ein wunderschöner Abend mit tollen Stimmen, tollen Einfällen und einem über alle Maßen spielfreudigen Ensemble. So wird die Operette weiterleben und auch weiter ihr begeistertes Publikum finden. Der Besuch in Baden hat mir mehr als gefallen und obwohl ich ein Jahr aussetzen wollte, werde ich nächstes Jahr wieder hier sein, wenn sich der Vorhang über „Der Vogelhändler“ und der wunderschönen „Zigeunerliebe“ heben wird. Ich freue mich heute schon darauf.
Manfred Drescher 29.07.18
Bilder Christian Husar, Baden