Graz: Festkonzert als Saisonabschluss

Grazer Philharmoniker

Francesco Ciampa (Leitung), Maria Mudryak (Sopran), Piotr Beczała (Tenor)

Gerade erst wurde der polnische Tenor Piotr Beczała, wohl derzeit einer der bedeutendsten Vertreter in seinem Fach, an der Wiener Staatsoper nach einer Tosca-Vorstellung auf offener Bühne mit dem Titel Kammersänger geehrt – und zwei Tage später war er der Stargast eines Festkonzertes des Grazer Musikvereins, wohl sein erstes Auftreten als österreichischer Kammersänger. Eigentlich war ja für dieses Festkonzert ursprünglich der große Bariton Leo Nucci vorgesehen – wie übrigens auch heute noch auf der Homepage der 25-jährigen kasachisch-italienischen Sopranistin Maria Mundryak zu lesen ist. Aber Leo Nucci musste absagen, und es gelang Generalsekretär Dr. Michael Nemeth, wahrhaft einen großartigen „Ersatz" zu finden. Michael Nemeth wurde an diesem Abend öffentlich gefeiert – er ist seit 10 Jahren sehr erfolgreich Generalsekretär und künstlerischer Leiter des Musikvereins für Steiermark. Musikvereinspräsident Franz Harnoncourt-Unverzagt pries in seiner kurzen Laudatio unter anderem die besondere internationale Vernetzung von Michael Nemeth – die hat Nemeth auch diesmal bewiesen und Graz wieder zu einem großartigen Opernabend im Konzertsaal verholfen.

Piotr Beczała war an diesem Abend in absoluter Prachtform und es war sehr interessant neben einander den ungemein erfahrenen, absolut stilsicheren, glänzend phrasierenden Belcantisten und die halb so alte, ehrgeizig-aufstrebende Sopranistin zu erleben.

Dazu ein markantes Beispiel: Die erste Solonummer war die Ariette der Juliette aus Gounods Roméo et Juliette Ah! Je veux vivre. Da lernte man mit Maria Mundryak eine blendend aussehende junge Dame kennen, die ihre Partie auf technisch hohem Niveau beherrscht und die der Resonanzbildung ihres Organs deutlich den Vorzug vor klarer Textartikulation gibt. Es ist eine zarte Stimme, die für mich unnötig versucht, das Volumen zu vergrößern und die auch noch an der sprachlichen Präzision und Authenzität arbeiten wird müssen.

Und dann tritt nach ihr Piotr Beczała auf und beginnt mit der Cavatine des Roméo. Welchen Klang- und Facettenreichtum vermag er gleich in den ersten vier Tönen zu vermitteln – zweimal L’amour, zuerst als Terz-Schritt und dann als verminderte Quint! Hören Sie sich das hier an – dann werden Sie sicher verstehen, was ich meine. Die junge Maria Mundryak wird zweifellos ihren Weg machen – Piotr Beczała hat diesen Weg bereits hinter sich und steht auf dem Höhepunkt seines Könnens. Man weiß gar nicht, welche seiner an diesem Abend interpretierten Stücke man herausgreifen soll – daher seien sie einfach zunächst chronologisch aufgezählt: Gounods Roméo, Verdis Alfredo, die beiden Cavaradossi-Arien und zum Schluss Léhar und nochmals Verdis Alfredo. Ich behaupte ganz einfach: keines dieser Stücke kann man besser singen und gestalten – da stimmte einfach alles: das Timbre, die Phrasierung, die glänzenden Spitzentöne und das alles zwar mit berechtigtem Selbstbewusstsein, aber nie mit oberflächlicher Eitelkeit vorgetragen. Piotr Beczała war auch ein charmant-kollegialer Partner für die junge Sopranistin. Das erlebte man auch in dem kleinen video , das die beiden Solisten mit dem Dirigenten für das Grazer Konzert gestalteten.

Maria Mundryak hat sicher alle Voraussetzungen, eine große Karriere zu machen. Man wird sehen, was sie aus ihrem reichen Talent machen wird. Derzeit zählt sie zu den Zehn-Größten-in-Kasachstans-Kulturszene – man wird interessiert verfolgen, wo sie sich in der Weltszene einreihen wird. In wenigen Tagen ist sie jedenfalls bei einem Open-air-Konzert in New York – da gibt es wieder Traviata-Ausschnitte, diesmal mit dem in Graz wohlbekannten jungen italienischen Tenor Antonio Poli. Und Piotr Beczała hat ein dichtes

Sommerprogramm in Barcelona, Bayreuth und Salzburg vor sich – wir in Graz freuen uns sehr auf sein Kommen im Oktober – siehe unten den genauen Hinweis.

Der Dirigent des Abends war Francesco Ciampa, der schon an einer Reihe von größeren Häusern dirigiert hatte und in der nächsten Saison an der Münchner Staatsoper debütieren wird. Ich gestehe, er hat mich nicht speziell beeindruckt. Am Anfang stand die Ouvertüre zu Verdis Les vêpres siciliennes – wohl noch aus dem für Leo Nucci geplanten Programm „übrig geblieben", hatte doch Nucci bei seinem Wiener Jubiläumskonzert an der Staatsoper den Montfort gesungen. Da gab es einen recht wackligen Einsatz und dann einen eher rau-polternden Verdi. Eindrucksvoll gelang allerdings mit den sehr gut disponierten Grazer Philharmonikern das Intermezzo aus Puccinis Manon Lescaut mit schönen Cello- und Viola-Solostellen. Sonst erlebte man eher Kapellmeister-Routine – aber das ist ja nicht gering zu schätzen, wenn das Orchester sehr gut ist und die Solisten im Mittelpunkt stehen.

Das Publikum war nach dem 70-Minuten-Programm (ohne Pause) begeistert und erklatschte noch drei Zugaben: Meine Lippen, die küssen so heiß aus Lehars Giuditta und Dein ist mein ganzes Herz aus Lehars Land des Lächelns – und ganz zum Schluss – natürlich – Verdis Libiamo aus der Traviata.

Hermann Becke, 26.6. 2019

Hinweis:

Am 13. Oktober kann man Piotr Beczała wieder in Graz erleben – dann in einem Liederabend mit Helmut Deutsch am Flügel und mit Liedern von Stanisław Moniuszko | Mieczysław Karłowicz | Pjotr I. Tschaikowsky | Richard Strauss – dringende Empfehlung!