Graz: Krassimira Stoyanova mit der Harfenistin Anneleen Lenaerts

Kostbar-farbenreiche Herbsttöne!

Die bulgarische Sopranistin Krassimira Stoyanova gehört unbestreitbar seit Jahren zu den besten Sopranistinnen der Opernwelt. Seit über 20 Jahren singt sie die großen Rollen ihres Fachs an der Wiener Staatsoper. Sie war und ist außerdem an führenden internationalen Bühnen tätig (Salzburger Festspiele, Met, Covent Garden, Mailänder Scala, Opéra Bastille Paris, München, Hamburg, Berlin, Dresden, Zürich, Rom, Tel Aviv, Barcelona, Amsterdam, am Teatro Colón). Seit Herbst 2019 leitet sie an der Wiener Musikuniversität eine Gesangsklasse und wohl nicht zuletzt deshalb reduziert sie ihre internationalen Opernauftritte, wie man ihrer Homepage entnehmen kann. Zusätzlich zu den Opernauftritten gestaltete sie seit Jahren regelmäßig Liederabende – auch in Graz konnten wir sie 2012 als überzeugende Liedinterpretin erleben. Diesmal hatte sie sich eine interessante Partnerin gewählt: die junge belgische Harfenistin Anneleen Lenaerts – sie ist seit 2010 – mit damals 23(!) Jahren als Nachfolgerin von Xavier de Maistre – Soloharfenistin der Wiener Philharmoniker.

Doch bevor der Abend beginnen konnte, trat der künstlerische Leiter des Musikvereins Michael Nemeth auf das Podium und gedachte des Todes von Mariss Jansons. Der große Dirigent war nicht nur mit Graz verbunden, wo er die Jubiläumssaison 2014/15 mit dem Royal Concertgebouw Orchestra eröffnet hatte, sondern es gibt auch wichtige Bezüge zu den beiden Solistinnen des Abends: Krassimira Stoyanova hat wiederholt mit Jansonss gearbeitet – es sei als Beispiel auf die CD_Aufnahmen von Beethovens 9.Sinfonie und Verdis Requiem hingewiesen. Und für die junge Harfenistin war es 2012 ein besonderes Erlebnis, unter Mariss Jansons ihr erstes Neujahrskonzert mit den Wiener Philharmonikern zu spielen – und da gleich mit einem Solo bei Tschaikowskys Dornröschen.

Im Gedenken an Mariss Jansons wurde das Programm umgestellt. Man begann mit den Rachmaninow-Liedern und beendete den ersten Konzert-Teil mit den Vier letzten Liedern von Richard Strauss – auch das ein ganz besonderer Bezug zu Jansons, hatte er doch 2014 in Graz Tod und Verklärung von Richard Strauss dirigiert, und zu den Eichendorff-Worten Ist dies etwa der Tod? zitiert der greise Richard Strauss im Lied Im Abendrot das Auferstehungsthema aus seinem Jugendwerk Tod und Verklärung. Es war wahrhaft ein würdiges Gedenken an eine der bedeutendsten Musikerpersönlichkeit unserer Zeit.

Die Harfenbegleitung hat bei der Liedbegleitung einen speziellen Reiz – allein durch das geringere Klangvolumen hört man genauer hin als beim üppigen Klavierklang. Wenn allerdings die Harfe einen vollen Orchestersatz ersetzen soll, dann fehlt einfach die reiche Klangpalette – und es sei nicht verschwiegen, dass man gerade bei den Vier letzten Liedern den Orchesterklang vermisste. Stoyanova und Lenaerts sind nicht die ersten, die sich an dieses Meisterwerk gewagt hatten. Das Duo Diana Damrau/Xavier de Maistre trat bei den Salzburger Festspielen mehrfach mit Straussliedern auf, darunter auch mit einzelnen der Vier letzten Lieder. Natürlich: Stoyanova gestaltet die Lieder mit ihren großen Melodiebögen souverän – wenn auch manchmal mit ein wenig ungewohnten Atemstellen – und Lenaerts spielt ihren Part mit ruhig-konzentrierter Versenkung. Das beeindruckt – aber wie gesagt: der üppige Klang des Instrumentationsmeisters Richard Strauss fehlte mir doch ein wenig.

Die virtuosen Rachmaninow-Lieder zu Beginn wurden von beiden Damen effektvoll präsentiert – das war in dieser Version durchaus gleichwertig zur Originalfassung mit Klavier, die ich noch von Stoyanova aus dem Jahre 2012 in Erinnerung hatte – damals mit dem Pianisten Jendrik Springer.

Der zweite Teil begann mit einem Solostück für Harfe, einer Fantasie über Themen aus Tschaikowskys Eugen Onegin – eine stimmungsvolle Überleitung zum Opernteil. Und in den vier Opernszenen war Großartiges zu erleben! Krassimira Stoyanova gelang es wunderbar, die jugendlichen Frauengestalten mit ihrer technisch perfekt geführten Prachtstimme lebendig werden zu lassen. Es ist wahrlich ein besonderer Reiz, wenn die reife Sängerin alle Facetten der Szenen vom silbrigen Pianoklang über das warm-üppige Forte bis zur dramatischen Attacke völlig bruchlos und ohne jegliche Schärfe zum Erklingen bringt. Man weiß nicht, welch der vier Figuren überzeugender war. Die Tatjana in ihrer Briefszene aus Eugen Onegin war nicht das impulsive junge Mädchen, sondern eine lebenserfahrene Frau – ebenso die Rusalka in ihrer Mondarie, eine reife Göttin und nicht eine mädchenhafte Nixe. Virtuos gelengen die Piani in Cileas Adriana, der strahlenden Bühnenkünstlerin. Und zum Schluss die Pace-Szene der Leonora aus Verdis La forza del destino. Hier konnte die Stoyanova all ihre Stärken zeigen: schwebende piani, großartige Legato-Phrasen und packende dramatische Ausbrüche – und das alles immer technisch perfekt, in vollendeter Intonation mit reichen Klanfarben und ohne hörbare Registerübergänge.

Man erlebte an diesem Abend einen sympathisch-uneitlen Weltstar auf dem Höhepunkt der immensen Erfahrung eines Sängerlebens – ja, es waren kostbar-farbenreiche Herbsttöne einer prachtvollen Stimme! Das Schweizer Publikum kann sich freuen – das Duo wiederholt dort am 5. Dezember im Opernhaus Zürich diesen Abend.

Am Ende gab es warmen Applaus mit vielen Bravo-Rufen für beide Künstlerinnen. Der Musikvereinschef eilte mit Blumensträußen auf die Bühne. Leider gab es trotz des großen Beifalls nur eine einzige Zugabe – die allerdings war außerordentlich und berührend: Marias Wiegenlied aus Tschaikowskys Mazeppa. Der Musikverein hat diese Zugabe auf seiner Facebook-Seite auf Video festgehalten. In der originalen Orchesterversion kann das Stück auf dieser CD (Slawische Opernarien) von Krassimira Stoyanova nachgehört werden

3. 12. 2019, Hermann Becke