Vorstellung am 25. Mai 2019
In der Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin zeigt nun das Nationaltheater Mannheim Claude Debussy‘s Meisterwerk „Pelléas et Mélisande“, inszeniert vom Berliner Intendanten Barry Kosky. Kaum zu glauben, dass fast 100 Jahre vergehen mussten, bis diese Oper in Mannheim zur Erstaufführung gelangte. Dieser Abend darf sicherlich als einer der Höhepunkte am Nationaltheater in dieser Spielzeit gelten!
Die Oper des französischen Meisters gilt als dessen Lebenswerk, so viele Jahre hat er an diesem Fünfakter gearbeitet. Dieses Drama ist nicht nur ein perfektes Sinnbild des musikalischen Impressionismus, sondern auch meisterlich geraten in seinen vielen Andeutungen und Subtexten. Die Musik ist von bestechender Schönheit und der Text zuweilen orakelnd ungenau andeutend und doch voller Poesie.
Barry Kosky, der sonst so gerne schrill und überbordend inszeniert, geht in dieser Produktion einen radikalen, ganz anderen Weg. Visuell wird alles, was illustrativ sein könnte, ausgeklammert. Oft zeigt er einen szenischen Kontrast zur Musik. Für ihn ist diese Oper eine „Heimsuchung“. Ihn interessiert die Geschichte einer gestörten Familie. Schonungslos werden die Beziehungsgeflechte ausgebreitet. Dabei erhielt jeder Rollencharakter eine ganz eigene Körpersprache. Mélisande ist hier nicht eine verhuschte Kindfrau, sondern eine Frau, die wissend mit ihrer Erotik spielt. Sie weiß jederzeit genau, was sie tut und gefällt sich sehr als Grenzgängerin. So wirft sie Golauds Ehering nicht, wie vorgegeben, in den Brunnen, sondern verschluckt ihn…
Pelléas ist ein introvertierter, mitunter gebückt agierender Charakter. Sein Halbbruder Golaud hingegen aufbrausend und viril. Geneviève zeigt sich als machtbewusste Strippenzieherin und König Arkel hat erkennbar ein Auge auf die anziehende Mélisande geworfen. Die Personenführung (Szenische Neueinstudierung: Julia Huebner) geriet zwingend und stets überzeugend im Kontext der Handlung. Faszinierend das perfekte Timing in den Reaktionen der Protagonisten und die realistisch umgesetzte Körperlichkeit in den Aktionen.
Der schwarz-graue Bühnenraum von Klaus Grünberg besteht lediglich aus schwarzen Wandsegmenten, die eine dreigassige Bühne imaginieren. Keine Naturschilderungen oder sonstiges Symbolistisches. Kosky seziert in dieser düsteren Kulisse seine handelnden Personen als stünden diese im Brennpunkt eines Vergrößerungsglases. Die Darsteller werden auf mehreren Drehbühnen herein- und herausgefahren. Eine stilisierte Alptraumkulisse, in welcher doch auch ab und zu ein wärmendes Licht die Schwärze erhellt.
Somit rückte umso mehr die musikalische Umsetzung in den Mittelpunkt dieses spannenden Premierenabends. Es war die Musik, die alles offenbarte, was die Szene verweigerte. Und die musikalische Gesamtleistung war herausragend. Da ist zunächst einmal die hervorragende sprachliche Einstudierung zu loben. Alle Sänger sangen jederzeit textbezogen und -verständlich. Welche Seltenheit! Darüber hinaus verschmolz das Ensemble derart vollständig mit seinen Rollen, dass zu keinem Zeitpunkt der Eindruck einer Reproduktion entstand.
Als Mélisande war Astrid Kessler zu erleben. Einmal mehr war es eindrucksvoll, wie wandlungsfähig in Stimme und Spiel diese stilsichere Sopranistin agierte. Dabei gelang ihr das Kunststück, ihre jugendlich-dramatische Stimme sehr lyrisch zu führen. Silbrig hell erklang ihre Stimme in Verbindung mit einem guten Sprachgefühl. Vom Rollencharakter her war sie nicht die so häufig zu erlebende Kindfrau. Viel mehr zeigte sie eine Frau, die bereits viel erlebt haben dürfte und nach Halt sucht. Dann aber auch wieder sexuell fordernd agierte und eindrucksreich ihren Niedergang bis zum fast tonlosen Versterben portraitierte.
Raymond Ayers war mit seinem kräftigen Bariton eine gute Wahl als Pelléas. Weich, gefühlvoll intonierend vermochte er gut das Schwärmerische seiner Rolle zu transportieren. In den Duetten konnte er mit seiner kraftvollen Höhe beeindrucken. Zurückhaltend und doch engagiert in seiner Darstellung gelang ihm ein überzeugendes Portrait.
Herausragend aus der hochwertigen Abendbesetzung war der Golaud in der absolut hinreißenden Verkörperung von Joachim Goltz. Bannend seine packende Bühnenpräsenz, groß die Bandbreite seiner stimmlichen Möglichkeiten und farbintensiv seine Textgestaltung. Sein Bariton ertönte kernig, markant und konnte genauso in sensitiven Ausdrucksmomenten gefallen. Joachim Goltz spielte mit nie erlahmender Intensität und reizte die dynamische Palette vom Flüstern bis zum donnernden Fortissimo perfekt aus. Seine Sprachbehandlung war vorbildlich.
Großes Profil zeigte der überaus sonore Arkel von Patrick Zielke. Auch er verschmolz perfekt mit seiner Rolle und beeindruckte durch besonders große Differenzierung in seiner Rollengestaltung. Jeder Silbe spürte er empfindsam nach und lud sie mit wissender Bedeutung auf.
Die szenisch dominant wirkende Geneviève von Kathrin Koch agierte stimmlich etwas zurückhaltend und verlieh damit ihrer Rolle eine besondere Aura.
Absolut großartig war der ungemein wach, natürlich agierende und sehr sicher singende Yniold von Fridolin Bosse. Sehr spielsicher mit großer Präsenz rührte sein Schicksal als verängstigter Sohn von Golaud besonders.
Mathias Tönges kontrastierte gut seine beiden Partien als Médecin und Berger.
Am Pult des Orchesters des Nationaltheaters Mannheim zeigte GMD Alexander Soddy eine überzeugende Interpretation dieser so vielschichtigen Partitur. Mit großer Emphase fühlte er sich gut in diesen impressionistischen Farbgarten hinein. Somit blieb er keiner Nuance etwas schuldig.
Die Farbgebung war leuchtend, klar und hörbar um Transparenz bemüht. Doch dabei blieb es nicht. In den wenigen dramatischen Momenten dieser so subtilen Musik, konnte Soddy die Musik nach vorne peitschen und auch aufgeraut, schmerzvoll erklingen lassen.
Das Orchester war bestens präpariert und fühlte sich stilsicher in diese so besondere Klangwelt von Claude Debussy ein. Ob luzide Streicherfarben oder innige Bläsersoli in den Holzbläsern. Es war wieder einmal eine große Freude, diesem fabelhaften Orchester zuzuhören. Beeindruckend seine stilistische Wandlungsfähigkeit. Bravo!
Das Publikum folgte mit Spannung und Anteilnahme dem äußerst packenden Bühnengeschehen. Ein einzigartiger, unvergesslicher Abend am Nationaltheater Mannheim! Am Ende viel Begeisterung für alle, kein Widerspruch für die Regie.
Dirk Schauß, 27.5.2019
Leider keine Bilder