Carl Maria von Webers romantische Oper Der Freischütz ist unverwüstlich beliebt. Im Sommer gab es sie in Eutin und Bregenz, die Opernhäuser u. a. in Hamburg und Stuttgart bringen sie in dieser Saison ebenfalls heraus. Das Oldenburgische Staatstheater spricht bei seiner neuen Freischütz-Produktion (betitelt als Freischütz – Ein Tanz mit dem Bösen) sogar von einer Uraufführung, weil es musikalische Ergänzungen von Elena Kats-Chernin und eine Neubearbeitung der Texte von Susanne Felicitas Wolf gibt. Das ist vielleicht etwas übertrieben, denn letztlich bleibt der Freischütz von Weber ziemlich unangetastet. Die wesentliche Neuerung betrifft die Figur des Samiel, der schon vor der Ouvertüre (von Weber) zu Klängen von Kats-Chernin auftritt. Er ist eine Art Conférencier im Glitzerfrack und Zylinder, der von mehreren Showgirls mit Federkopfputz und Stöckelschuhen unterstützt wird und fast während der gesamten Aufführung präsent ist. Er darf sogar singen, obwohl der Samiel bei Weber eine reine Sprechrolle ist. Bühnenbildner Markus Meyer deutet zwar einen Wald an (der in der Wolfsschlucht-Szene eindrucksvoll und sehr gelungen zu einer bedrohlichen Naturkulisse anwächst), arbeitet aber auch viel mit Glitzervorhängen.
Das Musical „Cabaret“ lässt grüßen. Die musikalischen Ergänzungen werden immer wieder zwischen den Nummern der Originalmusik eingestreut und betreffen neben Samiel auch den Eremiten, der schon vor dem Finale auftritt und mit Agathe parliert. Einige Dialoge oder Monologe werden dadurch zum Melodram. Kats-Chernin setzt dabei Klavier, Harfe oder eine kammermusikalische Besetzung ein. Etwas ketzerisch gesagt: Die zusätzlichen Kompositionen stören nicht, sie sind aber auch nicht zwingend. Regisseur Joan Anton Rechi stellt die Figur des Samiel ganz in den Mittelpunkt. Er ist hier nicht nur der Dämon des Jägerburschen Kaspar, sondern verkörpert das in uns allen schlummernde Böse. Und wenn der Jägerbursche Max am Ende zu einem Probejahr verdonnert wird, unterbricht Samiel die Szene und wittert grinsend seine Chance: „Ich werke beständig, ich weiß, was ich will. Ich wirke in allem. Ich bin ewig unauslöschlich, vom Anbeginn der Zeiten.“ Das Böse verschwindet eben nicht aus der Welt. Das ist die (nicht ganz neue) Erkenntnis dieser Inszenierung. Rechi kann mit seiner Personenführung (auch der des Chors) überzeugen und sorgt für einen kurzweiligen Ablauf des Geschehens.
Die Wolfsschlucht mit höllisch-rötlichen Beleuchtungseffekten verfehlt nicht ihre bedrohliche Wirkung. Die Szenen zwischen Agathe und Ännchen sind von spielerischer Leichtigkeit geprägt. Das lange Finale gerät zu einem etwas statischen Tableau, aber insgesamt kann die Inszenierung sich wirklich sehen lassen. Sehr gut ist auch die musikalische Seite gelungen. GMD Hendrik Vestmann am Pult des Oldenburgischen Staatsorchesters sichert der romantischen Musik von Weber Gewicht und Klangfülle. Er lässt die Musik mit rundem Ton aufblühen. Auch der Chor (Einstudierung Thomas Bönisch) schmettert seinen Part mit kraftvoller Wonne. In der von mir besuchten Aufführung gab es gegenüber der Premiere einige Alternativbesetzungen. So singt Johannes Leander Maas Max mit robustem, kraftvollem Tenor. Mit Leidenschaft stemmt er sich gegen sein Unglück und vermittelt überzeugend seine Zerrissenheit. Adréana Kraschewski als Agathe und Stephanie Hershaw als Ännchen harmonieren in ihren Duetten bestens. Mit ihren beiden Arien begeistert Kraschewski mit Höhenglanz und schöner Gesangslinie, während Hershaw mit Stimmfrische und kecker Ausstrahlung gefällt. Seungweon Lee ist in Stimme und Ausdruck ein veritabler Bösewicht.
Die Diktion seiner gesprochenen Texte ist verbesserungsfähig. Stephen K. Foster als Kuno, Aksel Daveyan als Ottokar und Seumas Begg als Kilian zeigen solide Leistungen. Besonders hervorzuheben ist Daniel Eggert, der als eleganter Eremit mit profundem Bass punktet. Und Samiel? Den macht Martin Bermoser zu einem Kabinettstückchen. Mit seiner unwiderstehlichen Ausstrahlung schwingt er sich zur Hauptperson dieser Inszenierung auf.
Wolfgang Denker, 20. September 2024
Der Freischütz
Oper von Carl Maria von Weber
Oldenburgisches Staatstheater
Premiere am 14. September 2024
Besuchte Aufführung am 18. September 2024
Inszenierung: Joan Anton Rechi
Musikalische Leitung: Hendrik Vestmann
Oldenburgisches Staatsorchester
Weitere Vorstellungen: 27. September, 1., 3., 6., 20. Oktober, 8., 10., 22. November 2024,
4., 5., 12., 17., 18. Januar 2025
Die Bilder zeigen die teilweise abweichende Besetzung der Premiere.