Oldenburg: „Yvonne, Princess de Bourgogne“

Premiere am 25.03.2017 besuchte Aufführung: 06.04.2017

Eine Gesellschaft entlarvt sich selbst

Es ist eher ungewöhnlich, dass die Titelfigur in einer Oper eine stumme Rolle ist. In „La Muette di Portici“ von Auber ist das so und in der in Oldenburg als deutsche Erstaufführung präsentierten „Yvonne, Princesse de Bourgogne“ von Pilippe Boesmans (Libretto von Luc Bondy und Marie-Louise Bischofberger) ist es auch fast so. Yvonne gibt, bis auf ganz wenige Worte, keinen Ton von sich. Dabei ist sie ständig auf der Bühne – und alles dreht sich nur um sie.

Als Vorlage für die 2009 in Paris uraufgeführte (und in Wien nachgespielte) Oper diente das gleichnamige Schauspiel von Witold Gombrowicz aus den 30er Jahren. Yvonne ist ein hässliches, plumpes und vor allem sehr schweigsames Mädchen. Aus purer Langeweile verlobt sich Prinz Philippe mit ihr. Lethargie scheint Yvonnes vorherrschendes Lebensgefühl zu sein. Das provoziert den Hofstaat, der sich zunehmend von ihrer bloßen Existenz bedroht fühlt. Auch der Prinz wird ihrer überdrüssig und verlobt sich mit Isabelle. Man beschließt, Yvonne auf „elegante“ Art zu ermorden, indem man ihr einen Barsch serviert, an dessen Gräten sie prompt erstickt. Nach einem kurzen „Lacrimosa“, mit dem die Oper endet, scheint man wieder zur Tagesordnung übergehen zu können.

Aber das darf bezweifelt werden, denn Yvonne hat in der Hofgesellschaft wie ein Katalysator gewirkt und zum Ausbruch von Streit, Aggression und der Abrechnung mit eigenen Schwächen geführt. Es ist ein ernstes und immer aktuelles Thema, das hier in der Form einer Farce mit durchaus auch heiteren Elementen angerissen wird. Wie reagiert eine Gesellschaft auf das Fremde? Warum ist es oft blanker Hass und Ablehnung? In „Yvonne, Princesse de Bourgogne“ hat sich die Gesellschaft jedenfalls selbst entlarvt.

Regisseurin Andrea Schwalbach geht in ihrer Inszenierung noch einen Schritt weiter, indem sie die Verhältnisse einfach umkehrt. Yvonne ist hier keineswegs ein hässliches Wesen, sondern ein zwar leicht debiles, aber liebenswertes Mädchen, das eigentlich Schutz und Fürsorge benötigt. Der Hofstaat, der als eitle, bigotte Gesellschaft gezeichnet wird und somit in Wahrheit das Hässliche repräsentiert, kann ihr das nicht geben. Hier triumphiert die Unmenschlichkeit. Die Frage, was „normal“ ist, hängt eben immer vom Blickwinkel und von den Verhältnissen ab. Diese Quintessenz kommt in der insgesamt kurzweiligen und temporeichen Inszenierung klar zum Ausdruck. Schwalbach inszeniert nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern spielt auch die komischen, grotesken Momente aus. Der König und sein Kammerherr etwa hätten auch in einer Offenbach-Operette oder in der Muppet-Show eine gute Figur gemacht. Und wenn Yvonne sich ein Tütü überstreift und ein paar hilflose Ballettschritte macht, weil sie sich nicht anders artikulieren kann, hat das etwas Rührendes.

Das phantasievolle Bühnenbild von Anne Neuser (sie sorgte auch für die ausgefallenen Kostüme) spielt mittels Projektionen durchgehend mit dem Fischmotiv und wird im Schlussakt gekrönt von einem riesigen Fischskelett mit gefährlichen Reißzähnen. Der weiße Hai lässt grüßen.

Das Markenzeichen der Musik von Pilippe Boesmans ist Eklektizismus. Er illustriert die Handlung mit vielen Anleihen und vielen Stilen. Im ersten Teil wirkt diese Musik noch etwas konstruiert, in der zweiten Hälfte gewinnt sie an Farbigkeit. Von Händel und Debussy bis zum zackigen Kosakenlied geht es im Geschwindmarsch durch die Epochen. Das Grummeln der tiefen Blechbläser und das flirrende Glissando der Geigen liefern beredte Kommentare, die von Vito Cristófaro mit dem Oldenburgischen Staatsorchester sorgfältig artikuliert werden.

In der Rolle der Yvonne kann Nientje C. Schwabe mit einer ausdrucksvollen Körpersprache überzeugen. Philipp Kapeller ist mit gleißendem Tenor der Prinz, Tomasz Wija und Paul Brady liefern als König und Kammerherr wahre Kabinettstückchen. Sarah Tuttle gibt die Parodie einer Regentin und greift dabei zu etwas schrillen Tönen. Hagar Sharvit ist eine flippige Isabelle. Tadellos erfüllt der von Thomas Bönisch einstudierte Chor seine Aufgaben, insbesondere im Lach-Ensemble.

Wolfgang Denker, 07.04.2017

Fotos von Stephan Walzl