Oldenburg: „La Sonnambula“

Premiere am 18.10.2019

Belcanto-Wonnen in Oldenburg

Vor einem Jahr konnte die Sopranistin Sooyeon Lee mit ihrer fulminanten Gestaltung der Titelpartie in Donizettis „Lucia di Lammermoor“ einhellig begeistern. Jetzt hat sie ihre damalige Leistung noch übertroffen. Der Komponist heißt diesmal nicht Donizetti sondern Vincenzo Bellini und ist fast ein Synonym für Belcanto und Melodienseligkeit. Seine Oper La Sonnambula („Die Nachtwandlerin“) erscheint in unseren Breiten eher selten auf den Spielplänen. Das Oldenburgische Staatstheater präsentiert sie auch „nur“ in konzertanter Form, wenn auch mit spielerischen Elementen angereichert. Aber das ist kein Manko, denn das dramaturgisch eher schwache Textbuch von Felice Romani mit seiner banalen Handlung steht per se hinter Bellinis herrlicher Musik zurück.

Die Handlung spielt in einem schweizerischen Bergdorf. Amina und Elvino wollen heiraten, was die Eifersucht von Elvinos früherer Freundin Lisa anstachelt. Sie selbst wird von Alessio umworben, dem sie aber keine Chance gibt. Inzwischen kommt Graf Rodolfo nach langer Abwesenheit ins Dorf zurück. Amina ist Schlafwandlerin und verirrt sich in Rodolfos Zimmer. Als man sie dort findet, bezichtigt Elvino sie der Untreue und will nun Lisa heiraten. Bei einem erneuten Schlafwandel spricht Amina nur von ihrer Liebe zu Elvino. Auch Graf Rodolfo bezeugt Aminas Unschuld, sodass dem glücklichen Ende nichts mehr im Wege steht.

Die Partie der Amina, die in früheren Jahren von Sängerinnen wie Maria Callas und Joan Sutherland geprägt wurde, erfordert eine erstrangige Belcanto-Sängerin. Und die steht dem Oldenburger Haus mit Sooyeon Lee zur Verfügung. Die aus Südkorea stammende Sängerin hat es erst kürzlich ins Finale des Wettbewerbs „BBC Cardiff Singer of the World“ geschafft und beweist nun als Amina erneut ihre außergewöhnlichen Qualitäten.

Sie singt die Partie nicht nur technisch perfekt, sondern auch mit beseeltem, zu Herzen gehendem Ausdruck. Ihr Stimmklang ist dabei von bezaubernder Süße, ihre Höhe von traumwandlerischer Sicherheit. Die oft in der Höhe angesetzten Schwelltöne, die agilen Koloraturen und die ebenmäßige Tonentfaltung begeistern ohne Einschränkung. Das alles zeigt sie schon in ihrer ersten Arie „Come per me sereno“ und erst recht in der großem Szene „Ah! Non credea mirarti“, in der sie noch mal alle Register ihres Könnens zieht. Mit etwas Glück dürfte sie Chancen auf eine internationale Karriere haben – das Format dazu hat sie.

Ihr zur Seite steht der aus Kolumbien stammende Tenor César Cortés als Elvino. Auch er wurde schon mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Belcanto-Preis des Festivals „Rossini in Wildbad“. Sein heller Tenor verfügt über ein ausgesprochen schmelzreiches Timbre und über eine strahlende Höhe. All seine Empfindungen von Liebe, Eifersucht und Enttäuschung verdeutlicht er mit seinem ausdruckvollen Gesang. Das wunderschöne Liebesduett „Prendi, l’anel ti dono“, bei dem er Amina den Verlobungsring überreicht, zeigt Innigkeit und Herzenswärme. Lee und Cortés sorgen für reinste Belcanto-Wonnen.

Die Lisa gewinnt in der Interpretation von Martha Eason besonderes Profil. Sie überzeugt mit ihrem klaren, frischen Sopran, aber auch mit ausgefeilter Mimik.

Herrlich, wie biestig sie ihre Eifersucht verdeutlicht. Eine gute Figur macht auch Ill-Hoon Choung als Graf Rodolfo. Sein schlanker Bass hat eine angenehme, elegante Färbung. Seine Cavatina „Vi ravviso , o luoghi ameni“ wirkt durch die Schlichtheit des Vortrags. Melanie Lang ist Teresa, die mitfühlende Mutter von Amina. Wenn sie stets ihre Handtasche mit sich herumschleppt, in der sich nicht nur ihre Noten, sondern auch ein Beweisstück für Lisas Untreue befinden, macht das Schmunzeln. Nahtlos (aber etwas unauffällig) fügt sich Alwin Kölblinger als Alessio ins Ensemble ein. Die wenigen Worte des Notars sind Georgi Nikolov anvertraut.

Der Chor (Einstudierung Thomas Bönisch) und das Oldenburgische Staatsorchester unter Vito Cristofaro zeigen sich von ihrer besten Seite. Schon die Ouvertüre mit ihren Echoeffekten macht Freude. Cristofaro schwelgt differenziert und mit vielen Nuancen in Bellinis Melodienseligkeit. Das kann auch der Zuschauer: Ein Abend zum Zurücklehnen und Genießen.

Wolfgang Denker, 19.10.2019

Fotos von Stephan Walzl