Premiere am 28.9.2019
Finale im sterbenden Bergdorf
„Vollendet das ewige Werk“ singt Wotan im „Rheingold“ und meint damit den Bau der Götterburg Walhall. Und alle am Oldenburgischen Staatstheater könnten eigentlich einstimmen. Da wäre dann aber die in der Oldenburger Theatergeschichte erstmalige Vollendung der kompletten Tetralogie von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ gemeint. Begonnen hat das ehrgeizige Unterfangen im Februar 2017 und fand nun mit der Götterdämmerung seinen krönenden Abschluss. Eine Mammutaufgabe ist vollbracht – und das auf allerhöchstem Niveau. Das gilt für die Regie und die Bühnenbilder ebenso wie für die Leistungen der Solisten, des Dirigenten und des Orchesters.
Regisseur Paul Esterhazy hat sein Konzept vom „Rheingold“ bis zur Götterdämmerung konsequent und klug durchgezogen. Das abgeschiedene Bergdorf ist auch hier wieder Schauplatz der Handlung. Aber der Großbauer Wotan hat inzwischen abgedankt und sitzt nur noch apathisch auf einer Bank oder beobachtet das Geschehen. Seine Funktion, die des Chefs im Dorf, hat nicht Gunther übernommen, sondern es ist Hagen, der hier eindeutig das Sagen hat. Nicht ohne Grund, denn Gunther ist hier ein debiler Trottel, der ständig seinen Stammtisch-Wimpel vor sich herträgt, während Hagen ein Meister der Manipulation ist.
Die Zeit ist nicht spurlos am Bergdorf vorübergegangen. Die Weltesche ist inzwischen gefällt worden und es liegen nur noch kahle Äste herum, die später zum Entfachen des Weltenbrands benutzt werden. Die Szenerie suggeriert eine düstere Endzeitstimmung. Die Bühne und die Kostüme von Mathis Neidhardt unterstreichen das trefflich. Mittels Drehbühne gibt es, wie auch schon an den anderen drei Abenden, immer neue Perspektivwechsel.
Eine triste Scheune, eine Bauernstube, Brünnhildes Schlafkammer, ein in Nebel getauchter Wald oder die Waschküche, in der die Nornen agieren – alles führt die optischen Eindrücke der ersten drei Teile fort und ist doch auch wieder aufregend neu. Esterhazy hat den vier Teilen des „Rings“ die vier Jahreszeiten zugeordnet. Hier im Winter fallen auch hin und wieder Schneeflocken, etwa bei der Szene der Waltraute. Und auch die Gefühlskälte hat Einzug ins Bergdorf gehalten, etwa wenn der tote Siegfried an einem Seil wie ein erlegtes Wild fortgezerrt wird. Einzig Brünnhilde hat noch menschliche Empfindungen.
Esterhazys Ansatz, die Teile rückblickend und vorausschauend zu verzahnen, greift hier ebenfalls perfekt. So tauchen Siegfrieds Bär und der Waldvogel auch hier auf. Und es ist der Feuergott Loge, der Brünnhilde beim Zündeln hilft. Die Charakterisierung der Figuren ist bis ins Detail ausgefeilt. Auch Hagen ist nicht nur der kraftstrotzende Bösewicht, er hat deutlich psychische Probleme. Die Erscheinung Alberichs erlebt er als Albtraum in der Sauna.
Wie das Oldenburgische Staatstheater musikalisch auch diese Götterdämmerung gestemmt hat, ist sensationell. Das Oldenburgische Staatsorchester musiziert unter Hendrik Vestmann auf einem gleichbleibend hohen Niveau. Insbesondere die Blechbläser sind einfach toll. Was hier an Klangrausch, an klugem Herausarbeiten der dramatischen Höhepunkte und Disposition der Tempi erreicht wird – darauf kann man in Oldenburg stolz sein. Stolz sein kann man auch auf die geschlossene Ensembleleistung. Mit Nancy Weißbach steht eine Brünnhilde zur Verfügung, deren Sopran mit stählernem Glanz mühelos alles überstrahlt. Dazu kommt eine bezwingende Bühnenpräsenz. Mit dieser Leistung könnte sie auch in Bayreuth bestehen. Ebenfalls ganz großes Format beweist Randall Jakobsh als Hagen. Seinem Wachtgesang und seinen Mannenrufen sichert er mit schwarzem Bass überwältigende Urgewalt. Dass Zoltán Nyári das richtige stimmliche Format für den Siegfried hat, zeigt sich erneut auch in der Götterdämmerung. Seine vor allem kraftvolle Gestaltung kann überzeugen, weil er auch zu differenzierteren Tönen fähig ist. Michael Kupfer-Radecky war in der „Walküre“ noch der Wotan. Jetzt zeigt er als Gunther ein stimmstarkes Charakterporträt. Mit Melanie Lang (Waltraute), Aile Asszonyi (Gutrune, 3. Norn), Leonardo Lee (Alberich), Maiju Vaahtoluoto (1. Norn), Ann-Beth Solvang (2. Norn, Floßhilde), Martha Eason (Woglinde) und Nian Wang (Wellgunde) sind alle weiteren Partien bestens besetzt.
Im Juni, September und Oktober 2020 wird der „Ring“ dann in Oldenburg zyklisch aufgeführt.
Wolfgang Denker, 29.9.2019
Fotos von Stephan Walzl