Oldenburg: „Maria“, Roman Statkowski

Premiere am 17.03.2018

Düsteres Drama um Macht und Mord

Das Oldenburgische Staatstheater ist immer gut für Überraschungen. So konnte man in jüngster Zeit etwa mit „Cristina, Regina di Svezia“ von Jacopo Foroni und „Yvonne, Princesse de Bourgogne“ von Philippe Boesmans absolute Raritäten bewundern.

Den Status einer Rarität kann auch die 1906 uraufgeführte Oper „Maria“ des polnischen Komponisten Roman Statkowski (1859-1925) für sich beanspruchen. Sowohl das Werk wie auch der Komponist dürften den meisten völlig unbekannt sein. In Polen wurde „Maria“ zwar rund ein halbes Dutzend Mal inszeniert, außerhalb Polens fand „Maria“ aber erstmalig 2011 in Wexford auf die Bühne. In Oldenburg präsentieren Regisseurin Andrea Schwalbach und Generalmusikdirektor Hendrik Vestmann nun die deutsche Erstaufführung.

Das Libretto stammt vom Komponisten und basiert auf einem Gedicht von Antoni Malczewski. Der Woiwode, Chef einer regionalen Verwaltung, wollte seinen Sohn Wacƚaw eigentlich mit der polnischen Königstochter verheiraten, um seine Macht zu stärken. Der aber hat Maria, die Tochter des Gutsbesitzers Miecznik, geheiratet. Der Woiwode schickt seinen Sohn unter fadenscheinigem Vorwand in eine Schlacht und verspricht, danach die Schwiegertochter anzuerkennen. Tatsächlich beauftragt er aber seinen Vertrauten Zmora (Henry Kiichli), Maria zu beseitigen. Als Wacƚaw von dem Mord erfährt, will er seinen Vater töten, wird aber durch die Erscheinung von Marias Geist daran gehindert. Daraufhin bringt Wacƚaw sich selber um.

Das Wunder dieser Ausgrabung ist die Musik. Manche Opern sind durchaus zu Recht vergessen – diese jedenfalls nicht! Statkowski hat seine Musik mit Herz und Leidenschaft ausgestattet. Da gibt es dramatische Zuspitzungen von elementarer Kraft, aber auch lyrische Momente voller Zauber. Ganz wunderbar sind die vielen, rein orchestralen Einschübe, die von sinfonischem Atem geprägt sind. Die großen Chorszenen erinnern an die besten Momente von russischen Opern, die Leidenschaft der Liebenden ist glutvoll wie bei Puccini. Statkowskis „Maria“ ist in ihrem musikalischen Duktus deutlich an Tschaikowsky oder auch an Rimsky-Korssakoff angelehnt. Mit dezenten Leitmotiven findet sich sogar ein Bezug zu „Tristan und Isolde“. Hier wie dort geht es schließlich um eine Liebe, die im Diesseits keine Erfüllung finden kann. Hendrik Vestmann und das Oldenburgische Staatsorchester führen die Farbigkeit und die Schlagkraft dieser Musik glänzend vor. Da gibt es von der opulenten Ouvertüre bis zum dramatischen Finale keine Schwachstelle und kein Nachlassen der Intensität.

Zu der hervorragenden Leistung von Chor (Einstudierung Thomas Bönisch) und Orchester kommt die durchweg ausgezeichnete sängerische Besetzung. Die Oper enthält vier große und dankbare Partien. Den Wojewoda zeichnet Bass-Bariton Thomasz Wija sehr eindringlich als düsteren und skrupellosen Opernschurken. Sein Sohn Wacƚaw findet in Jason Kim einen Interpreten, der die Partie mit leidenschaftlicher Glut und tenoraler Strahlkraft gestaltet. Mit dunklem und kraftvoll geführtem Bariton gibt Kihun Yoon dem Vater von Maria besonderes Profil. Die Titelpartie wird von der Gastsängerin Arminia Friebe glänzend verkörpert. Sie verdeutlicht die Liebe und die Verzweiflung der Figur, ihre Kraft und ihre Schwäche gleichermaßen.

Andrea Schwalbach gelingt mit ihrer Regie eine zeitlose, eng an der Musik geführte Inszenierung, ohne dabei auf eindrucksvolle Effekte zu verzichten. Beim Mord an Maria, bei dem sie mit einer Plastiktüte erstickt wird und bis zum Eintreffen von Wacƚaw tot auf dem Sofa hängt, dringen die wie eine skurrile Karnevalsgesellschaft maskierten Häscher des Woiwoden in ihre Gemächer ein. Der Bühnenhimmel öffnet sich und Schneefall setzt ein. Anne Neuser zeichnet für die stimmige Bühnengestaltung verantwortlich.

Schwalbach zeichnet die Charaktere sehr genau. Der Woiwode ist ein skrupelloser Machtmensch, der über Leichen geht. Sein Sohn Wacƚaw ist vor Liebe so blind, dass er schnell auf die falschen Versprechungen des Vaters hereinfällt. Auch Marias Vater Miecznik scheint an ein glückliches Ende zu glauben, wenn er am Ende des zweiten Aktes in einer vor Pathos triefenden Szene freudig in den Krieg zieht. Einzig Maria scheint mit ihren Ängsten und Zweifeln dem Frieden nicht zu trauen. Sie trägt noch immer ihr Hochzeitskleid, wie ein Unterpfand ihres Glückes, das sich am Ende ja doch nicht erfüllt. Auf die Geistererscheinung Marias wird verzichtet.

Schauplatz ist ein etwas heruntergekommener Festsaal, in den eine kleine Bühne integriert ist, die später nach vorne gerollt wird. Auf ihr finden die Szenen zwischen Maria und ihrem Vater statt. Wojewoda sitzt auf einem Stuhl davor und genießt die Wirkung seiner Intrige. Die Gesellschaft beim Woiwoden ist von Angst geprägt: Es wird zwar ständig davon geredet, man solle tanzen, trinken und feiern, aber es ist eine erzwungene, unechte Heiterkeit. Auch beim Tanz zur Mazurka wirken die Menschen verkrampft. Nur Pacholę, die in ihrem roten Kleid aus der Menge hervorsticht, wagt es, mit ihrem Lied „Der Tod zerstört alle auf dieser Welt“ die tatsächliche Stimmung auszudrücken. Diese Figur wird bei Schwalbach aufgewertet, indem sie zur Gefährtin Marias wird, die am Ende sogar den Woiwoden ersticht. Britta Glaser überzeugt mit ihrem Gesang ebenso wie mit stummem Spiel. Ein Opernjuwel, das sich niemand entgehen lassen sollte!

Wolfgang Denker, 18.03.2018

Fotos von Stephan Walzl