Premiere am 07.12.2019
Mord im Mafia-Milieu
Wo spielt eigentlich Verdis Un ballo in maschera? In Bremerhaven war 2017 der Schauplatz ein geheimnisvolles Land der Phantasie, in Bremen war 2018 die Oper (wie im Original) in Schweden angesiedelt. Und in Oldenburg hat Regisseurin Rodula Gaitanou die Handlung in ein Mafia-Milieu verlegt. Riccardo ist kein Graf oder König, sondern einfach der Boss einer kriminellen Gang, die bereits vom FBI ins Visier genommen wird. Gaitanou zieht dabei eine Parallele zu dem kolumbianischen Drogenkönig Pablo Escobar, der sogar zeitweilig Abgeordneter im kolumbianischen Kongress war.
Das klingt alles schlimmer als es ist, denn Rodula Gaitanou ist trotz dieser (eigentlich überflüssigen) Zutaten eine grundsolide und im guten Sinne fast konventionelle Inszenierung gelungen, die das Werk nicht verfälscht und die tragische Dreiecksgeschichte im Mittelpunkt belässt. Die emotionale Talfahrt von Renato, der sich von seiner Frau Amelia und seinem besten Freund Riccardo betrogen sieht, steht dabei im Zentrum und wird von ihr sehr eindringlich entwickelt. Seine Verzweiflung und seine Rachegedanken sind hier absolut nachvollziehbar.
Simon Corder hat eindrucksvolle Bühnenbilder entworfen: Zu Beginn eine Bar, in der der Page Oscar hinter dem Tresen bedient, und in der bereits die blonde und verführerische Amelia auftaucht. Der zweite Akt zeigt verfallene Mauerbögen in einem unheimlichen Wald, und der dritte Akt führt in eine wahrhaft opulente Bibliothek im Hause Renatos. Auch die im Stil der 90er Jahre gehaltenen Kostüme von Gøje Rostrup fügen sich da nahtlos ein.
Musikalisch herrscht Hochspannung. Wie Hendrik Vestmann am Pult des Oldenburgischen Staatsorchesters die Akzente setzt, lässt keine Wünsche offen. Die knalligen, trockenen Orchesterschläge zu Beginn der Ulrica-Szene, das leidenschaftlich gesteigerte Melos beim Liebesduett oder das gewaltige Chor-Fortissimo am Ende – das ist bezwingend.
Um den Einsatz von Jason Kim als Riccardo musste man krankheitsbedingt bangen. Vorsorglich stand Remus Alăzăroae bereit, um im Bedarfsfall von der Seite zu singen. Aber Kim sang die Partie strahlend, kraft- und ausdrucksvoll ohne jede Einbuße. Dass man den Schluss trotzdem dem Gast überließ, war eine faire Geste. Und auch der überzeugte mit weichem, lyrischem Tenor. Lada Kyssy ist eine Amelia, die mit schlankem, höhensicherem Sopran und sehr ausdrucksvoller Gestaltung für sich einnimmt. Kihun Yoon beherrscht als Renato in jeder Phase seiner Rolle die Bühne mit unglaublicher Präsenz. Mit wuchtigem, volltönendem Bariton verdeutlicht er die emotionalen Nöte und singt den Schluss von „Eri tu“ mit fast tränenerstickter Stimme. Maiju Vaahtoluoto gibt die Ulrica mit satter, „orgelnder“ Tiefe und Martyna Cymerman singt den Oscar mit blitzsauberen Koloraturen.
Die kleine Partie des Silvano hört man selten so eindringlich wie hier von Leonardo Lee. Immerhin ist er alternativ auch als Renato besetzt. Die Verschwörer Tom und Samuel sind bei Ill-Hoon Choung und Stephen K. Foster bestens aufgehoben, ebenso der Diener bei Georgi Nikolov und der Richter bei Volker Röhnert, der der Figur eine leicht komische Note verleiht. Chor und Extrachor (in der Einstudierung von Thomas Bönisch) zeigen sich in allerbester Form. Insgesamt eine sehens- und hörenswerte Produktion von Un ballo in maschera, die vom Publikum mit enthusiastischem Jubel aufgenommen wurde.
Wolfgang Denker, 09.12.2019
Fotos von Stephan Walzl