Frankfurt: „Fedora“, Umberto Giordano (2. Bericht)

Die große Schauspielerin Sarah Bernhardt, Diva par excellence, welche die Rolle der Fedora in Victorien Sardous Drama aus der Taufe gehoben hatte, sagte über die Figur: „Für mich ist Fedora wie eine zweite Erschaffung der Frau. Eva, die Schöpfung Gottes, ist die Frau. Fedora, die Kreation Sardous, das sind alle Frauen, das ist die Verkörperung aller weiblichen Vorzüge und Schwächen … Ein gefallener Engel mit weißen Flügeln.“

Genau diese Vielschichtigkeit Fedoras kommt in Christof Loys großartiger Inszenierung beeindruckend zur Geltung. In einem salonartigen Einheitsbühnenbild (die Bühne und die fantastische, einfallsreiche Kostümdramaturgie wurden von Herbert Murauer entworfen) läßt Loy das Melodram abspielen. Die Hinterbühne wird durch einen gigantischen Goldrahmen abgetrennt. Darauf werden in schwarz-weiß Projektionen live close-ups der Protagonistin, aber auch Wege, Handlungen und Emotionen aus dem Backstage-Bereich projiziert. Die Tapete, die den Rahmen ausfüllt, kann aber auch hochgefahren werden und den Blick auf stimmungsvolle tableaux vivants freigeben, so im zweiten Akt den Pariser Salon oder im dritten Akt die gelöste Stimmung in der Wohngemeinschaft der Ferienwohnung im Berner Oberland. Giordanos FEDORA läuft ja oft Gefahr, zum bloßen Ausstattungsstück zu verkommen (die dankbaren Schauplätze St.Petersburg, Paris und Schweizer Bergidylle laden natürlich vordergründig dazu ein) oder zum Vehikel für Operndiven gegen Ende ihrer Karrieren. Dies ist hier an der Oper Frankfurt weder mit Loys kluger Inszenierung (Übernahme aus Stockholm) noch mit der Interpretin der Titelrolle, Nadja Stefanoff, der Fall. Nadja Stefanoff besticht sowohl mit ihrer ausdrucksstarken, wunderschön timbrierten und vortrefflich geführten Stimme, als auch mit ihrer grandiosen szenischen Präsenz, welche in den intimen Nahaufnahmen ein überragendes schauspielerisches Talent offenbart. Da weht ein Hauch von Hollywood mit den melodramatischen Filmen der 40er und 50er Jahre durch das Haus. Und wie Sarah Bernhardt angemerkt hatte, ist auch Nadja Stefanoff alle Frauen, mal berechnend wie Bette Davis, mal rasend vor Rach- und Eifersucht wie Joan Crawford oder Glenn Close, gar naiv wie Doris Day. Da der Zuschauer in diesem pièce-bien-faite immer mehr weiß, als die Protagonisten, kriegt die ganze Handlung den Touch des Film noir.

Giordano hat eine stimmungsvolle, atmosphärisch dicht an die drei Handlungsorte angelehnte Musik komponiert. Die ist mit eingängigen Erinnerungsmotiven durchsetzt, die Musikalität der Dialoge ist eindrucksvoll an den Sprachduktus angelehnt und doch nie bloß Konversation. Immer wieder steigen ariose, emphatische Ausbrüche auf, der Spannungsbogen reißt nie ab. Dafür sorgt das wunderbar differenziert die Feinheiten der Partitur transportierende Frankfurter Opern- und Museumorchester unter der exzellenten, die Ausführenden auf der Bühne auf herrlichen Orchesterwolken tragenden Leitung von Lorenzo Passerini. Das ist Musik, die mal zum Dahinschmelzen schön ist, wie das bekannte Intermezzo sinfonico, dann wieder aufrüttelt wie Filmmusik zu einem Thriller. Einer der vielen musikalischen Höhepunkte stellt wohl die Salonszene in Paris dar: Während der Pianist auf der Hinterbühne als Neffe und Nachfolger Chopins ein Live-Konzert gibt, entlockt Fedora auf der Vorderbühne Loris das Geständnis des Mordes an ihrem Verlobten. Das ist musikalisch und szenisch Kino von der besten Sorte, dreißig Jahre bevor der Tonfilm erfunden wurde. Der Kapellmeister der Oper Frankfurt, Simone de Felice, sprang persönlich für den vorgesehenen und leider erkrankten Pianisten Mariusz Klubczuk ein. Simone de Felice glänzten mit brillant perlendem Klavierspiel und verführerischer szenischer Ausstrahlung. Schließlich verdreht er ja der lebenslustigen Gräfin Olga Sukarew – mit überragender stimmlicher und darstellerischer Gewandtheit gesungen von Bianca Tognocchi – den Kopf. In diesem Akt hat auch der primo uomo seinen ersten Auftritt. Und was für einen! Nach einem ultrakurzen Dialog mit Fedora stimmt er DIE Arie des Stücks an: Amor ti vieta di non amar. Jonathan Tetelman singt das natürlich mit dem gebotenen tenoralen Schmelz, seine Stimme ist dermaßen schon gefärbt, daß man einfach hin und weg ist, ja sogar Gänsehaut kriegt und wohlige Schauer spürt. Was seine Interpretation jedoch ganz einzigartig macht, ist das wunderbar organisch (und natürlich den Effekt nicht negierende) aus bezwingend feinem, intovertierten Piano aufgebaute Crescendo zum Ende der Arie hin. Ganz große Klasse! Auch im weiteren Verlauf des Stücks singt und agiert er mit sympathischer Naivität, läßt seine herrliche Stimme in den Ariosi und den Duetten immer wieder aufblitzen, wechselt im dritten Akt von verliebt-verspieltem Humor zu erbarmungsloser Wut und am Ende zu hilfloser Verzweiflung, wenn Fedora sich vergiftet und ihm entschwindet. Szenisch ist auch dies von Christof Loy sehr gelungen gelöst worden. Fedora stirbt hier nicht in seinen Armen, zum traurigen Gesang des Hirtenjungen (mit berührender Zartheit gesungen von Samuel Preissenberger) geht sie ganz unscheinbar nach hinten ab.

Das Gegenpaar zu den beiden tragischen Protagonisten verkörpern Olga und der Diplomat de Siriex. Dieser wird mit einnehmendem Bariton von Nicholas Brownlee verkörpert. Großartig seine Analyse der russischen Frauen, nicht weniger eloquent und witzig vorgetragen fällt Bianca Tognocchis Replik über die französischen Männer aus, worin Giordano und sein Librettist nicht gerade Werbung für die Champagnermarke Veuve Cliquot machten …. . Gabriel Rollinson macht großen Eindruck als Borow, Arzt und Freund von Loris. Einen bemerkenswerten Auftritt hat der Baß Thomas Faulkner als Kutscher Cirillo, als er zur Zeugeneinvernahme durch den Polizeikommissar Gretch (sehr gut dargestellt von Frederic Jost) aufgeboten wird. Aufhorchen ließ der samtene Mezzosopran von Bianca Andrew als Laufbursche Dimitri, dem vom Regisseur noch ein niedliches homoerotisches Verhältnis mit einem anderen Bediensteten angedichtet wurde, warum auch immer, vielleicht um weitere „Aspects of Love“ in die an Elementen eh schon reiche Handlung einzufügen.

Eines wurde an diesem Abend klar: Diese Oper gehört (wieder) vermehrt auf die Bühne, nicht nur für Liebhaber des Verismo, sondern für alle, die gut gemachte, kurzweilige Stücke lieben. Die 100 pauenlosen Minuten vergingen jedenfalls wie im Flug. In dieser exzellenten Besetzung und mit diesem szenischen Konzept ist das einstige Erfolgswerk purer Opern- und Theatergenuss.

(Bilder: siehe Premierenkritik)

Kaspar Sannemann, 9.4.22