Frankfurt: „Pénélope“, Gabriel Fauré (1. Bericht)

6. Dezember 2019

Geballte Frauenpower hat die Oper Frankfurt für Gabriel Faurés von den Bühnen arg vernachlässigte singuläre Oper PÉNÉLOPE aufgeboten. Die Partitur lag in den Händen der Dirigentin Joana Mallwitz, Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg, Operndirigentin des Jahres 2019 (Opernwelt), die anspruchsvolle und gewaltig umfangreiche Titelpartie gestaltete Paula Murrihy und inszeniert hat Corinna Tetzel, die Kostüme entwarf Raphaela Rose und die dezent eingesetzten Videoclips kreierte Bibi Abel. Die Produktion wurde zudem von der Dramaturgin Stephanie Schulze betreut.

Die wunderschöne, zwischen Impressionismus und verhallender Spätromantik angesiedelte Farbenpracht von Faurés Musiksprache wurde von Joana Mallwitz und dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit feingesponnenem, herrlich austariertem Klang evoziert. Nur schon das Vorspiel war ein Traum: Warmer Streicherklang für das unendliche Warten Pénélopes auf ihren verschollenen Gatten, quintenselig schiebt sich das Motive des Ulysse dazwischen, verwebt sich mit dem ersten Motiv – wunderbar. Und zum Glück vor dem geschlossenen Vorhang, so dass man glückselig und konzentriert in diese Klangwelt eintauchen konnte. Im Verlauf des Abends mischten sich auch mal zarte Orientalismen in die Musik, alles blieb in einem weichen, transparenten Fluss, nie zu dick, nie zu dünn, stets auf Ausdruck und Unterstützung der Sänger bedacht. In der groß angelegten Titelpartie brillierte die Mezzosopranistin Paula Murrihy, die kürzlich als Idamante (IDOMENEO) und zweite Dame (ZAUBERFLÖTE) bei den Salzburger Festspielen begeisterte. Frau Murrihys wunderbar klarer, sauber geführter Mezzosopran war geradezu ideal für diese Partie. Sie führte ihre Stimme schlank, unforciert und passend mit wenig Vibrato. An diesem Abend waren alle Sänger mikrofoniert, da die Vorstellung für eine CD Produktion des Labels OehmsClassics aufgenommen wurde.

Es ist erfreulich, dass die sich die Oper Frankfurt gerne auf Entdeckungsreise nach selten gespielten Werken begibt und diese dann auch einspielt. Selbstverständlich wurden die Stimmen gestern Abend durch die Mikroports nicht verstärkt, diese dienten lediglich der Aufnahmetechnik! Die zweite größere Frauenrolle war die von Ulysses Amme Euryclée, ebenfalls für Mezzosopran gesetzt. Joanna Motulewicz sang die Rolle exzellent, mit warmer, schön gerundeter Tongebung. Ausgezeichnet besetzt waren auch die Mägde mit Nina Tarandek, Angela Vallone, Bianca Andrew, Julia Moorman und Monika Buczkowska. Julia Kathrin Heße sang Eurynome und Anna Spohia Beller, Solistin des Kinderchors, sang mit zarter, lichter Stimme den Hirten, der mit seinen Pfeilen im Köcher ein Art Amor darstellte und die weißen Trauerrosen der Pénélope durch seine Pfeile ersetzen wollte. Allein, es half nichts, denn die Regisseurin traut selbst dem (von Männern entworfenen) Happyend der Geschichte nicht. Sie setzt auf eine moderne, feministische Sicht auf das Werk. Pénélope behält (auch im wortwörtlichen Sinne) fast durchgehend die Hosen an. Der strenge schwarze Hosenanzug weist auf ihre Macht als Königin von Ithaka hin. Gespielt wird aber nicht in einem Palast, sondern auf dem Flachdach eines eher heruntergekommenen Strandhauses (Bühne: Rifail Ajdarpasic), eine Satellitenschüssel, die schon Rost angesetzt hat, steht da (man hat es wohl aufgegeben, Nachrichten – über Überlebende des trojanischen Krieges – zu empfangen). Bilige rote Gartenstühle mit Schnurbespannung stehen rum. Der Horizont wird ab und an mal krisselig, kein Wunder, bei der Qualität dieser Satellitenschüssel. Sehr gelungen ist der Einfall der Regisseurin, dass Pénélope das Tuch an dem sie tagsüber webt und das sie nachts wieder auftrennt, um keinen der Freier heiraten zu müssen, an ihrem Körper trägt. Es ist also nicht wie sie vorgibt, das Leichentuch für den Schiegervater Laertes, sondern es ist quasi ihr eigenes Totenhemd, denn irgendwie ist sie innerlich der Welt bereits abhanden gekommen, da ihre große Liebe, Ulysse, nicht zurückkehrt. Und als er dann nach 20 Jahren des Wartens kommt, erkennt sie ihn lange nicht wieder. Das ist nicht nur seltsam, denn Menschen verändern sich (vor allem durch 10 Jahre traumatischer Kriegserfahrungen und eine ebenso lange Irrfahrt danach) , eine erneute Annäherung kann schwierig werden – darin kann man der Regisseurin Corinna Tetzel nur beipflichten. Allerdings haben die schaffenden Männer (Gabriel Fauré, sein Librettist René Fauchois und der für die Vorlage verantwortliche Homer) ein anderes, für das Liebespaar glücklicheres Ende vorgegeben.

In dieser Aufführung nun öffnet sich ein Spalt auf dem Betonflachdach, Pénélope und Ulysse sind nur kurz zusammen, dann geht Ulysse alleine ab, versinkt im Dunkel des sich öffnenden Spaltes, Pénélope bleibt alleine zurück. Somit ist auch die Reinvestitur des Patriarchats gescheitert. Der Tenor Eric Laporte sang einen ausgezeichneten Ulysse. Sein Tenor traf den manchmal leicht schneidenden Tonfall des etwas gebrochenen Helden perfekt, Phrasierung und Diktion des Kanadiers waren makellos. Er verlieh den vielen im deklamatorischen Stil gehaltenen Passagen herrlichen Glanz. Die Freier lassen es sich gut gehen in diesem Strandbungalow. Sie stecken in schwarzen, smart geschnittenen Anzügen, tragen exquisites Schuhwerk, braune oder schwarze Lederschuhe, weiche Loafers und teure weiße Sneakers. Ihr Benehmen ist allerdings nicht so vornehm, sie urinieren schon mal auf das Dach und stellen unverfroren den Mägden nach und verlangen Oralsex (erstaunlich, dass sich die Damen in den zitronengelben Kostümen dies gefallen lassen, vor allem in der heutigen Zeit, in der das Ganze abläuft – #metoo ist wohl noch nicht auf Ithaka angekommen). Stimmlich bildeten diese Freier ein ganz herausragendes Quintett: Eurymaque (mit herrlich präsentem Bariton, Sebastian Geyer), Aninoüs (Peter Marsh, mit hellem Tenor), Léodès (Ralf Simon), Ctésippe (Dietrich Volle) und Pisandre (Danylo Matviienko). Der Hirte und langjährige Vertraute von Ulysse, Eumée, wurde vom Bassbariton Božidar Smiljanić mit einnehmendem Timbre interpretiert.

Fazit: Wunderbare Musik, die eine intensive Beschäftigung mit diesem Werk überaus lohnt, Dirigat und Besetzung absolut erstklassig, die feministische Sicht auf ein von Männern geschaffenes Werk eher gewöhnungsbedürftig.

Bilder (c) Barbara Aumüller

Kaspar Sannemann 7.12.2019