Frankfurt: „Rodelinda, Regina De’ Longobardi“, Georg Friedrich Händel

In der ersten und zugleich letzten Wiederaufnahme zeigt die Oper Frankfurt eine der besonders gelungenen Ergebnisse der Zusammenarbeit des Regisseurs Claus Guth mit dem Bühnenbildner Christian Schmidt. Man kann an dieser Produktion geradezu musterhaft die Stilelemente der beiden Künstler studieren und dabei die perfekte Beherrschung ihrer Handwerkskunst bewundern. Das Bühnenbild zeigt ein für Schmidt typisches Herrenhaus mit zwei Geschossen, welches an drei Seiten aufgeschnitten ist, wodurch sich eine Vielzahl von Zimmern bespielen läßt. Eine ausladende Treppe, die vom Erdgeschoß in das obere Stockwerk führt, bietet Gelegenheit für große Auftritte. Die verschiedenen Stockwerke erlauben den Blick auf Parallelaktionen. Das Haus läßt sich zudem einmal um die eigene Achse drehen. So ergeben sich immer wieder neue Raumeindrücke. Ganz nebenbei ist das Drehen auch ein wirksames Mittel, um den Eindruck von Statik zu vermeiden.

© Barbara Aumüller

Dieses Bühnenbild bietet Guth die ideale Spielwiese, mit bewährten Mitteln abwechslungsreich, originell und doch einleuchtend die Handlung ohne Spannungsabfall zu erzählen und die Protagonisten differenziert zu zeichnen. Die für Barockopern typischen, langen Da-capo-Arien werden sinnfällig bebildert, szenischer Leerlauf wird so vermieden.

Der Coup der Inszenierung ist, daß sie die Perspektive des als stumme Rolle im Libretto vorgesehenen Flavio einnimmt, des halbwüchsigen Sohnes des Herrscherpaares Bertarido und Rodelinda. Dieses Kind muß erleben, wie sein Vater in einem Streit um die langobardische Königsherrschaft den eigenen Bruder tötet, flieht, dabei Frau und Kind zurückläßt, wo sie nun einem Usurpator, Herzog Grimoaldo, ausgesetzt sind, der den Thron an sich gerissen hat und Rodelinda Avancen macht. Bertarido läßt sich für tot erklären, kehrt jedoch heimlich zurück, um Frau und Sohn zu retten, wird entdeckt, eingekerkert und erneut fälschlich für tot erklärt. Der Regisseur stellt sich nun die Frage, was diese aufwühlenden Ereignisse wohl in einer Kinderseele bewirken. So erleben wir als zentrale Figur den kleinen Flavio, stumm und verängstigt, wie er seine Erlebnisse in Kinderzeichnungen zu Papier kritzelt. Seine wilden Skizzen werden auf das Mauerwerk projiziert. So zeigt sich, daß er alle Erwachsenen um ihn herum als Monster sieht, übergroß und bedrohlich, mit zu Fratzen verzerrten Gesichtern. Schlimmer noch: Diese Monster nehmen Gestalt an und spuken durch das Haus. Natürlich kann nur er sie wahrnehmen.

© Barbara Aumüller

Flavio bewegt sich in dieser Welt der Erwachsenen, deren Handeln er nicht versteht, und der Monster, die ihn bedrohen, wie in einer alptraumhaften Choreographie. Diese Choreographie ist derart ausgefeilt und nuanciert, daß ein Kind als Darsteller damit überfordert wäre. Für die Premiere im Jahr 2019 stand ein kleinwüchsiger Schauspieler zur Verfügung, der äußerlich aus der Entfernung des Zuschauerraumes in vollkommener Illusion tatsächlich als Kind erschien, aber über die darstellerischen Fähigkeiten eines Erwachsenen verfügte. Nun ist diese zentrale Figur mit der Tänzerin Irene Madrid besetzt, die ihre Sache gut macht. Allerdings kommt zu keinem Zeitpunkt die Illusion auf, es könne sich hier um einen kleinen Jungen handeln. Zu erkennen ist durchweg eine junge Frau, die in kurzen Hosen einen Knaben mimt, eben eine typische Hosenrolle.

Von einer Ausnahme abgesehen, sind sämtliche Gesangspartien neu besetzt. Zudem sind drei Rollendebüts zu verzeichnen. Elena Villalón tritt zum ersten Mal in der Titelpartie auf. Anfangs hat man noch den Eindruck, daß sie sich an die Rolle herantastet, sehr auf Sicherheit singt. Zunehmend aber gewinnt der äußerlich stets tadellose Gesang mit klarer Sopranstimme an Farben und Kontur, wird eine innere Beteiligung erkennbar. So zollt der Zuhörer dem jungen Ensemblemitglied schließlich nicht bloß Bewunderung für makellose Koloraturen und dynamisch gut abgestufte Gesangslinien, sondern wird auch emotional gepackt. Einen guten Kontrast zu Villalóns glockenhellem Sopran bietet Zanda Švēde mit ihrem dunkl gefärbten Mezzo, mit dem sie Rodelindas anfängliche Gegenspielerin (samt sehenswertem Zickenkrieg) und spätere Verbündeten Eduige Profil verleiht. Als weiterer Debütant hat schließlich Josh Lovell die Rolle des Tenor-Bösewichts Grimoaldo übernommen. Die Partie liegt für einen Tenor recht tief, und so kann Lovell seine strahlende Höhe nur selten zur Geltung bringen. Stattdessen muß er sich mit Koloraturen in mittlerer Lage abmühen, was erkennbar nicht seine Stärke ist. Darstellerisch ist er als Usurpator im Zwiespalt zwischen Machtwillen und Verliebtheit eine ausgezeichnete Besetzung.

© Barbara Aumüller

Die beiden Counterpartien sind mit Sängern neu besetzt, die bereits über Rollenerfahrung verfügen. Lawrence Zazzo verleiht dem Bertarido sowohl stimmlich als auch mimisch deutlich stärkeres Profil, als Andreas Scholl dies im Premierenzyklus vermocht hatte. Mag Scholl auch die weichere, zumindest vor Mikrophonen schönere Stimme besitzen, so verfügt Zazzo über ein größeres Spektrum an Farben. Ihm gelingen die zurückhaltenden, melancholischen Töne der ersten Arien ebenso glaubhaft wie die energischeren, aufgewühlteren Passagen des weiteren Verlaufs. Von seiner in Frankfurt seit den Auftritten als Tamerlano und Giulio Ceseare bekannten enormen Bühnenpräsenz profitiert auch diese Wiederaufnahme. Rafał Tomkiewicz ist zum ersten Mal in Frankfurt zu erleben und überzeugt als Diener Unolfo mit seinem runden Countertenor, der durch alle Lagen ausgewogen klingt und in der Höhe keinerlei Schärfe aufweist.

Božidar Smiljanić gibt seinen bewährten Bösewicht Garibaldo wieder mit Stimmschwärze und Wucht, wobei es scheint, daß er in Stimme wie Statur seit der Premiere an Kraft und Volumen zugelegt hat.

Das Orchester produziert unter der Leitung von Simone Di Felice seinen inzwischen in vielen Händelopern ausgereiften Barocksound in gewohnter Güte und erhält dafür bereits nach der Pause vom Publikum starke Anerkennung.

Diese beispielhaft gelungene Inszenierung ist so reich an szenischen Einfällen, daß man auch beim wiederholten Ansehen noch neue Details entdecken kann. Die sängerisch starke Neubesetzung nimmt die Regievorgaben mit großer Spiellust auf, so daß die Wiederaufnahme mit der Frische einer Premiere präsentiert wird. Auch aus der kaum noch überschaubaren Reihe gelungener Händel-Produktionen an der Oper Frankfurt ragt Rodelinda als besonderes Schmuckstück heraus. Schade, daß dies bereits die letzte Wiederaufnahme sein soll.

Michael Demel, 8. Januar 2025


Rodelinda, Regina De‘ Longobardi
Dramma per musica von Georg Friedrich Händel

Oper Frankfurt

Wiederaufnahme am 5. Januar 2025
Premiere am 12. Mai 2019

Inszenierung: Claus Guth
Musikalische Leitung: Simone Di Felice
Frankfurter Opern- und Museumsorchester