Graz: „Cavalleria Rusticana/Pagliacci“

Alltagsrepertoire kontra Plácido Domingo….

Wenn Plácido Domingo zum ersten Male – noch dazu bei einem über ein Jahr intensiv beworbenen Konzert – in Graz auftritt, dann kann es nicht überraschen, wenn das Grazer Opernhaus am selben Abend halb leer bleibt! Schon bei der Stückeinführung im Grazer Opernhaus war die Produktionsdramaturgin Marlene Hahn verwundert über das geringe Publikumsinteresse. In ihrer klug aufgebauten Schilderung der Stücke und des Regiekonzepts zitierte sie eine Pressemeldung von der Wiener Erstaufführung, wonach damals wegen des enormen Publikumsinteresses die Theaterkassen wie bei der Türkenbelagerung verteidigt werden mussten. Nun: diesmal wird das in Graz offenbar nur für das „Domingo-Event“ gegolten haben. Der Domingo-Auftritt – ein klassischer Sommernachtstraum vor atemberaubender Kulisse – war nämlich als Freiluftkonzert auf dem Grazer Messegelände geplant und musste kurzfristig wegen Gewittergefahr in die 5500 Plätze fassende Stadthalle verlegt werden, was laut Nachtkritik für das Publikum teils chaotisch verlief….

Aber wenden wir uns dem eigentlichen Anlass zu:

Über die Grazer Saisoneröffnung mit Cavalleri/Pagliaccci gab es überaus kontroversielle Meinungen. Da las man z.B. in der Rundfunkkritik : In seiner dichten Regie verwebt der Schweizer Regisseur die beiden Opern intelligent miteinander: Die göttliche Ordnung der „Cavalleria“ kommt in Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“ förmlich auf dem harten Boden der Realität an. Bei Bachtrack hingegen hieß es: Cavalleria rusticana und Pagliacci als szenischer Totalausfall in Graz. Ich selbst hatte im vergangenen Herbst nicht die Premiere, sondern die 2.Vorstellung besucht – wer Interesse hat, kann weiter unten meinen Eindruck vom 4.10.2018 nachlesen. Es ist immer gut, eine Neuinszenierung mit gebührendem zeitlichem Abstand nochmals zu besuchen, umso mehr, als es von der musikalischen Umsetzung einiges Neues zu berichten gibt. So möchte ich mich primär darauf beziehen und fange mit dem Erfreulichsten an – noch dazu mit einem Bezug zum eingangs erwähnten Placido Domingo.

Der erst 25 Jahre alte Bariton Neven Crnić bot in der kleinen, aber äußerst dankbaren Rolle des Silvio in den Pagliacci für mich an diesem Abend die stimmlich beste Leistung. An der Grazer Kunstuniversität ausgebildet, ist er seit 2017 im Nachwuchsprogramm der Oper Graz und wechselt mit der Saison 2019/20 ins Ensemble der Oper Graz. Er war zwei Tage vorher beim Internationalen Haydn-Wettbewerb für klassisches Lied und Arie gleich zwei Mal höchst erfolgreich: Der bosnische Bariton wurde nicht nur mit dem ersten Preis, sondern auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Seit seinen ersten Auftritten an der Oper hat er sich stimmlich erfreulich weiterentwickelt, sang diesmal wunderschöne Belcanto-Phrasen und zeigte großes Volumen und strahlende Höhen. Mit seinem dunkel gefärbten Bariton wird er in einigen Jahren wohl ein sehr guter Tonio werden. Heute kann man sich jedenfalls schon auf seinen Posa in Verdis Don Carlo freuen, den er bei der Grazer Saisoneröffnung im Herbst 2019 singen wird. Und der Bezug zu Domingo: Neven Crnić ist unter jenen vierzig jungen Talenten aus der ganzen Welt, die sich für Plácido Domingos diesjährige Operalia-Competition im Juli in Prag qualifiziert haben – wir wünschen ihm viel Erfolg!

Seine Nedda Aurelia Florian war an diesem Abend leider nicht gut disponiert. Da wurde allzu viel die Stimme abgedunkelt und in der Höhe forciert. Die nötige stimmliche Leichtigkeit und Brillanz fehlte und man kann nur hoffen, dass dies bloß an der Tagesverfassung lag, ansonsten müsste man fürchten, dass sie im Herbst als Elisabetta überfordert sein wird.

Die musikalische Leitung hatte in dieser Vorstellung Marius Burkert von der Opernchefin Oksana Lyniv übernommen. Er ist ein Routinier österreichischer Dirigierkultur. Er spannte mit den sehr gut disponierten Grazer Philharmonikern (Hörner!) die großen Bögen in den beiden veristischen Einaktern mit gebührender Intensität. Da erlebte man saftigen Orchesterklang und Emotion – fallweise kleinere rhythmische Unebenheiten zwischen Orchester und Bühne fielen da überhaupt nicht ins Gewicht – die große Linie stimmte ganz einfach.

Neu war auch die Besetzung von Alfio und Tonio. Diese beiden Partien hatte nun der 40-jährige norwegische Bariton Yngve Søberg übernommen. Er verfügt über ein warm-timbriertes, leicht gutturales Timbre, allerdings ohne strahlende Spitzentöne. Insgesamt fand man an diesem Abend jenen stimmlichen Eindruck bestätigt, den er offenbar im Herbst 2018 unter Fabio Luisi als Rigoletto in Florenz hinterlassen hatte: è piuttosto corto in alto; giustamente vengono eliminati alcuni acuti di rito non scritti (hier nachzulesen) Auch in Graz beim Prolog fehlten die gewohnten Spitzentöne! Von Yngve Søberg gibt es keine Szenenfotos dieser Produktion – aber auf der website seiner Agentur können sich Interessierte einen optischen und akustischen Eindruck von ihm verschaffen.

Turiddu und Canio war wie bei der Premiere der Australier Aldo di Toro – Santuzza war wieder die türkische Mezzosopranistin Ezgi Kutlu. Beide erwiesen sich neuerlich als sehr gute Besetzungen. Mareike Jankowski (Lola), Cheryl Studer (Mamma Lucia) und Albert Memeti (Beppo) ergänzten sehr ordentlich in ihren kleinen, aber wichtigen Rollen. Chor & Extrachor der Oper Graz (Leitung: Bernhard Schneider) sangen sicher und präzise und ließen sich bewundernswert in die ihnen von der Regie vorgegebenen Aktionen ein.

Mit der Inszenierungsidee konnte ich mich auch beim zweiten Besuch nicht anfreunden. Wie so oft in der letzten Zeit erlebte ich eine musikalisch ordentliche bis sehr gute Wiedergabe in einer fragwürdigen szenischen Aufbereitung. Ich kann nur wiederholen, was ich beim ersten Male geschrieben hatte: Ich erspare mir, auf die Details des Konzepts einzugehen – es genügt, auf die (wahrhaft unfreundliche) Kritik im Neuen Merker zu verweisen -Thomas Prochazka hat minutiös in zwei getrennten Berichten hier und hier aufgelistet, was an diesem Abend auf der Bühne zu sehen war.

Und so verließ ich die Oper in jener apokalyptischen Stimmung, die am Ende der Pagliaccci gezeigt wurde. Ich kann nicht umhin und muss Thomas Prochazka zitieren:

Nachdem Canio Nedda ans Bühnenportal gezerrt und dort erstochen hat, kommt Silvio von der Seite hereingerannt, um sich ebenfalls erstechen zu lassen. In diesem Punkt kennt selbst Fioroni kein Pardon: Hier muss der Partitur Genüge getan werden! Dass im selben Moment der Guck­kasten nach unten fährt… Dass die Bühne eingenebelt und in orangerotes Licht getaucht wird, darein ein umgeknickter Strommast sowie links und rechts angeordnete Wohnblöcke um die Aufmerksamkeit eines schon längst verstörten Publikums wetteifern, während Canio (gleich Lucky Luke) in die Apokalypse schlendert: Schlusspunkt einer handwerklich schlechten Arbeit.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Zuletzt doch noch etwas zum versöhnlichen Ausklang: Wie schön, dass die Oper Graz ein wahrhaft treues Opernpublikum hat, das trotz Domingo und wohl auch trotz des Wissens, was einen szenisch erwartet, gekommen ist! Wenn auch das Haus diesmal nur schütter besucht war und manche auch in der Pause das Haus verließen: das Publikum hat sowohl nach der Cavalleria als auch nach den Pagliaccci die Musikerinnen und Musiker mit herzlichem und verdientem Beifall belohnt.

Hermann Becke, 13. 6. 2019

Szenenfotos: Oper Graz © Werner Kmetitsch

Hinweis:

In dem (wie in Graz üblich bei der Premiere noch nicht verfügbaren) 9-Minuten- Video mit ausführlichen Interviews kann man sich über die Intentionen der Regie informieren.