Graz: „Der Barbier von Sevilla“

5. 10. 2018 (Wiederaufnahme aus der Saison 2015/16)

Wohlgelungene Wiederaufnahme

Slipped-Disc

Slipped-Disc, eine englische Website („the world’s most-read cultural website“) mit mehr als einer Million monatlicher Zugriffe, vermeldete im April dieses Jahres: A small town in Austria has twice as many opera premieres as the Met. Nun, diese Meldung brachte die Oper Graz kurz in die internationalen Schlagzeilen und wurde auch über Facebook stolz verbreitet. Wenn man nur die Zahl der Neueinstudierungen als Vergleich heranzieht, dann mag es ja stimmen. Die Met hat 4 Neuproduktionen angekündigt und Graz 8 Neuproduktionen (inklusive Operette und Musical). Allerdings hat die Met insgesamt 28 Opern in ihrem Jahresrepertoire , während Graz zu den 8 Neuproduktionen nur zwei Wiederaufnahmen anbieten kann. Und noch ein Vergleich: vor 50 Jahren gab es in Graz in der Saison 1968/69 noch 10 Opernpremieren, 4 Operetten und 1 Musical sowie 2 Ballettproduktionen – und damals klagte man, weil 10 Jahre davor in der Saison 1958/59 noch 31 Opern, 11 Operetten und 3 Ballette auf dem Jahresspielplan standen…….

Aber genug der Vergleiche und Statistiken. Was zählt, ist immer die Qualität der aktuellen Aufführung und da ist über die Grazer Wiederaufnahme von Rossinis Meisterwerk durchaus sehr Erfreuliches zu berichten. Bei der aktuellen Wiederaufnahme handelt es sich um eine Inszenierung aus der ersten von Intendantin Nora Schmid verantworteten Spielzeit 2015/16. Ich schrieb damals in der Premierenkritik u.a. Folgendes:

Der Friseur Figaro, seine Geräte und alles Haarige stehen im Mittelpunkt – „Figaro ist der Spielleiter der Geschichte, er kreiert die Frisuren und Kostüme der Mitspieler und hat den Verlauf der Geschichte voll in der Hand. Bei uns ist er in gewisser Weise auch der Schöpfer des Bühnenbildes.“ (Zitate aus dem Programmheft). Die Idee mit der ….. Kopfplastik ist natürlich nicht neu – man denke nur an den einen Premierenskandal provozierenden Frauentorso , den vor über 40 Jahren Ruth Berghaus in ihrer Münchner Barbier-Inszenierung auf die Bühne gestellt hatte und in und an dem die Sängerinnen und Sänger herumkletterten. Der Kopf ist eine raffinierte, sich drehende und wandelnde Bühnenkonstruktion (Bühne & Kostüme: Okarina Peter und Timo Dentler), die dem Regisseur Axel Köhler vielfältige Spielebenen ermöglicht. Das wird auch weidlich ausgenutzt – die skurril-drastisch kostümierte Sängerschar wird in ständiger, geradezu hektischer Bewegung gehalten. Ein Detailgag jagt den anderen – alles dreht sich um Haare – , der Dienerchor begleitet das Ständchen des Grafen auf Kämmen, Figaro vertreibt diesen Chor – gleichsam als lästiges Ungeziefer – mit einem Vergasungsinstrument, ………, die Waffen des Soldatenchors sind Haarföhne und da zum Geschäft des Friseurs auch die Pediküre gehört, wird auch die aus der Badewanne steigende Rosina gleich behandelt. Es gibt eine Fülle von Einfällen und Aktionen – aber letztlich fehlt dem Ganzen die mediterrane Leichtigkeit……… Diesmal war es recht platter Slapstick und Aktionismus mit skurril-überzeichneten Figuren. Es fehlte der leichtfüßige und übersprudelnde Charme, den Rossini in seiner unsterblichen Musik versprüht.

Die Ausstattung ist natürlich gleichgeblieben, die Figuren sind nach wie vor skurril überzeichnet, aber man registrierte diesmal dankbar, dass sich die krampfhafte und oft aufgesetzt wirkende Lustigkeit der seinerzeitigen Premiere merklich entspannt hat und man erlebte einen wirklich heiteren Abend. Das mag ein Verdienst des Spielleiters der Wiederaufnahme Christian Thausing sein – aber vor allem: die natürliche Spielfreude aller Ausführenden war ansteckend und das Publikum (einschließlich des Berichterstatters!) genoss den Abend merklich animiert.

Am deutlichsten war diese erfreuliche Metamorphose bei der 31-jährigen Katalanin Anna Brull zu registrieren. Vor drei Jahren war die Rosina ihre erste Hauptrolle in Graz. Sie bewältigte die Partie schon damals stimmlich sehr gut und setzte das von der Regie vorgegebene überzogene Rollenkonzept getreulich, aber ohne individuelles Profil um. Diesmal war sie der souveräne stimmliche und darstellerische Mittelpunkt. Die ein wenig steife Skurrilität war zu einer geradezu überschäumenden natürlichen Bühnenpräsenz geworden. Mit ihrem hellen, absolut sicher geführten Mezzo war sie auch stimmlich eine ideale Besetzung. Und ebenso glänzend war ihr Almaviva, der von der Komischen Oper Berlin kommende Tenor Tansel Akzeybek . Mit seiner klug differenzierenden Spielfreude war er ein kongenialer Partner, und auch stimmlich war er wie vor drei Jahren eine ausgezeichnete, vom Publikum zu Recht bejubelte Besetzung. Er bringt für diese Rolle das rechte helle Timbre mit und verfügt über eine sichere Höhe, die er z.B. mit einem strahlenden (in der Partitur nicht vorgesehenen) hohen C im Finale des 1.Aktes eindrucksvoll bewies. Allein wegen dieser beiden Protagonisten lohnt sich der Besuch dieser Produktion! Alle anderen Rollen waren gegenüber der Premiere neu und ebenfalls sehr gut besetzt.

Da ist an erster Stelle der polnische Bariton Dariusz Perczak zu nennen, der so wie Anna Brull aus dem Grazer Opernstudio herausgewachsen ist. Vor drei Jahren hatte er noch den Fiorello gesungen. Ich schrieb damals über ihn: das ist eine kernige und gut sitzende Stimme, die man schon bald in größeren Aufgaben hören möchte. Inzwischen hat Perczak in Graz schon eine Reihe großer Rollen gesungen (Marcello, Conte im Figaro, Onegin). Nun konnte er knapp vor seinem 29. Geburtstag mit dem Figaro reüssieren. Schon in der Auftrittsarie überzeugte er mit dunkel-timbrierter Stimme und absolut sicheren Spitzentönen. Auch darstellerisch hat sich Dariusz Perczak im Laufe der letzten Jahre viel an Lockerheit erarbeitet. Wenn er die Rolle noch öfter singt, wird er auch in den Ensembles noch stärker präsent sein können und an stimmlicher Wendigkeit in den Presto-Passagen dazugewinnen. Jedenfalls ist auch er ein erfreuliches Beispiel der Nachwuchspflege der Oper Graz. Sieglinde Feldhofer , Grazer Operettenliebling, war eine resolut-charmante Berta und profitierte davon, dass in Graz die ursprüngliche Rossini-Fassung aufgeführt wird, in der die Partie der Berta in den Ensembles höher liegt als die der Rosina. So konnte sie im Finale des 1. Aktes das Ensemble strahlend anführen. Peter Kellner, der Basilio der Premiere des Jahres 2015, ist inzwischen an die Staatsoper Wien abgewandert (siehe dazu sein eben erschienenes Interview ). Der Basilio der Wiederaufnahme war nun Michael Hauenstein , der diese Partie auch schon in Zürich verkörpert hatte. Er bot mit rundem Bass eine sichere stimmliche Interpretation, blieb allerdings darstellerisch ein wenig blass. David McShane, seit über 30 Jahren eine Stütze des Grazer Ensembles, war der bedauernswerte Bartolo – auch er stimmlich und darstellerisch auf dem hohen Niveau des Ensembles. Besonders zu danken ist Ivan Oreščanin, der ganz kurzfristig den Fiorello und den Offizier übernehmen musste und wie immer prägnante Figuren auf die Bühne stellte.

Sehr erfreulich war auch die Leistung des 27-jährigen Dirigenten Marcus Merkel. Er hielt Orchester und Bühne sicher und straff zusammen und gestaltete vor allem die berühmten Rossini-Crescendi völlig bruchlos. Aber er ließ auch den Solisten und den mit schönen Leistungen aufwartenden Instrumentalsoli der Grazer Philharmoniker immer genügend Raum zur musikalischen Entfaltung, ohne dadurch den Bogen des Gesamtzusammenhangs zu beeinträchtigen. Man muss kein Prophet sein, wenn man Marcus Merkel eine erfreuliche Karriere voraussagt, die er schon jetzt auch international begonnen hat.

Alles in allem also war dies eine sehr erfreuliche und mit verdientem Beifall akklamierte Aufführung – schade ist nur, dass es bis zum Jahresende nur mehr vier Vorstellungen gibt. Es wäre eine würdige Produktion, um im Jahre 2019 des 200. Geburtstages der deutschen Erstaufführung von Rossinis Barbier zu gedenken, die im Jahre 1819 (mit 21 Wiederholungen!) in Graz stattfand.

Hermann Becke, 6. 10. 2018

Fotos: Oper Graz, © Werner Kmetitsch