Premiere 02.10.2022
Deutsche Erstaufführung
Mit Fortsetzungen ist es ja so eine Sache, haftet ihnen doch immer das Vorurteil an, dass sie eh nicht so gut sein können wie der erste Teil. Die Kölner Produktion „Miranda“ knüpft nun an nichts geringeres als Shakespeares Meisterwerk „Der Sturm“ an. Zum Glück erübrigt sich die Frage welcher Teil nun besser sei, denn dafür sind Theaterstück und neu arrangiertes Pasticcio – denn das ist „Miranda“ – zu verschieden. Was sich zweifelsohne sagen lässt, ist dass die Fortsetzung ein ausgesprochen kurzweiliges, spannendes Stück Musiktheater ist. Aber um was geht es eigentlich? Miranda hat ihren eigenen Selbstmord inszeniert und crasht ihre eigene Trauerfeier. Als Braut mit vorgehaltener Pistole nimmt sie Rache und arbeitet ihre Traumata (aus Teil 1) auf und die sind nicht ohne: Verschleppung, Vergewaltigung und Verheiratung als Kind. Da hat sich einiges aufgestaut und mit dieser emotionalen Aufladung nimmt Miranda zunächst die Trauergesellschaft als Geisel, knöpft sich dann aber ihren Mann Ferdinand und vor allen Dingen ihren Vater Prospero vor, der am Ende über den eigenen Tod sinniert und am liebsten wieder zurück auf die Insel will, von der er im Shakespeareschen Original noch geflüchtet ist.
„Miranda“, eine Koproduktion mit verschiedenen internationalen Theatern, kam bereits 2017 heraus und begeisterte nun mit etwas Corona-Verzögerung das Kölner Publikum. Der Musiker Raphael Pichon, Librettistin Cordelia Lynn und Regisseurin Katie Mitchell haben einen rund 90-minütigen Opern-Thriller geschaffen, der packend und kurzweilig ist. Behutsam wird mit Sprache gearbeitet, die Musik Purcells, die mit einigen wenigen Ausnahmen ausschließlich verwendet wird, ist hervorragend mit der Handlung verwoben. Gerade das Archaische, das der Musik des „Oprheus Britannicus“ zu eigen ist, bildet einen spannenden Kontrast zum ansonsten realistisch heutigen Personal auf der Bühne und dem postmodernen Kirchenraum auf der Bühne, den Chloe Lamford entworfen hat. Die Regie Mitchells ist packend und mitreißend. Die Personenführung logisch, die Figuren klar und scharf konturiert gezeichnet.
Aber auch auf musikalischer Seite hat der Abend einiges zu bieten. George Petrou führt ein klein besetztes, teils kammermusikalisch agierendes Ensemble des Gürzenich Orchesters. Hier wird ein luzider, reiner Purcell musiziert. Von der Bühne kommt dagegen manchmal etwas zu viel Kraft. Die Singenden steigen immer wieder mit viel Power und großer Dynamik in ihre Einsätze ein – das passt nicht immer zu den so zarten Einsätzen im Orchester. Ob dies aber der akustischen Situation im Staatenhaus geschuldet sein mag, ist hier nicht zu beantworten. Denn eigentlich singen die Beteiligten durch die Bank weg wunderbar. Vor einer Woche noch bei den „Trojanern“ auf der Bühne, glänzt Adriana Bastidas-Gamboa hier einmal mehr szenisch als wütende „Miranda“. Stimmlich bringt sie viel Opulenz in die Partie, manchmal zu viel, singt aber ansonsten wunderschön und lässt tief in die Seele ihrer so verletzten Figur blicken.
Alaistar Miles liefert als cholerischer Prospero ein mitreißendes Rollenportrait ab, das am Ende fast Mitleid erregt. John Heuzenroeder als Pastor ist der ruhende Pol in allem. Vermittelnd und kommentierend kommt ihm eine wichtige Rolle zu, die er vortrefflich spielt und singt. Der Knabensopran Jakob Geppert als Anthony beeindruckt mit glockenheller gutsitzender Stimme und fügt sich auch schauspielerisch in das Ensemble exzellent ein. Auch die weiteren Rollen überzeugen szenisch wie musikalisch vollkommen. Ein kleiner Opernchor ergänzt die Szenerie und zeigt ein feines Gespür für die Anforderungen von Barockmusik
und agiert mit großer Spielfreude.
Die Produktion „Miranda“ überzeugt und ist ein schöner Kontrapunkt zum Bombast der letzten Premiere. Der Streifzug durch Purcells Musik ist lohnend und bringt einem diesen Komponisten, den man als Opernfreund ja fast nur für „Dido und Aeneas“ kennt, näher.
Sebastian Jacobs, 3.10.22
Die Fotos stammen von © Sandra Then