Köln: „Les Troyens“, Hector Berlioz

Premiere: 24.09.2022

Ein Paukenschlag

Wenn die Kölner Oberbürgermeisterin mit einer Sache in ihrem arg missglückten Grußwort vor Beginn der Vorstellung Recht hatte, dann, dass die Kölner Oper die Saison mit einem „Paukenschlag“ beginnt. Und dieser war es auch, der das Gelächter des Publikums über die Worte Rekers zur Eröffnung der Oper am Offenbachplatz und den bodenlosen Witz, dass der neue Intendant Hein Mulders als Niederländer Humor bewiese, dass er direkt zu Beginn der Spielzeit den „Fliegenden Holländer“ auf den Spielplan nehme, vergessen machte. Die Kölner Oper startete mit Berlioz Mammutwerk „Les Troyens“ und zeigte unterm Strich eine beachtliche Leistung, die vor allen Dingen auf musikalischer Seite zu punkten wusste.

Berlioz Werk, das im ersten Teil die Geschichte um das Trojanische Pferd und Cassandra behandelt und im zweiten Teil die Flucht des Aeneas nach Karthago und die kurze, aber leidenschaftliche Beziehung zu Königin Dido zum Inhalt hat, stellt enorme Anforderungen. Ein üppigst besetztes Orchester mit sechs Harfen, die auch omnipräsent als Blickfang am rechten Bühnenrand zu sehen sind, ein gigantischer Chorpart, sowie eine lange Besetzungsliste mit Titelpartien, die es in sich haben und die Höchstleistungen fordern und das in Wagnerschem Ausmaß von über fünf Stunden (mit zwei Pausen).

Bemerkenswert an diesem Abend ist zunächst das Setting, das sich Bühnenbildnerin Heike Scheele ausgedacht hat. In der Mitte der Bühne sitzt das Orchester, stets sichtbar. Um das Orchester herum, ein drehbarer Ring, der sich zu den Rändern der Bühne an Podien und Ränge anschließt, die an antike Tempel erinnern, aber auch die Assoziation eines Amphitheaters, ja einer Manege zulassen. Das ist zweckdienlich und sieht imposant aus, präsentiert sich aber für die Musik ausgesprochen vorteilhaft, für die Szene leider als hinderlich. Eine wirkliche Spielfläche ist eben nur der laufstegartige Ring um das Orchester und eine kleine Fläche an der linken Seite (rechts sitzen ja die Harfen). Regisseur Johannes Erath müht sich hier redlich Figuren Leben einzuhauchen, lässt immer wieder in der Form von Statisten eine ganze Göttergesellschaft durch den Abend gleiten, aber das Geschehen rutscht immer wieder sehr ins Statische ab. Das, was aktiv ist, das ist das Orchester und das wird aufgrund dieser Positionierung auch zum Hauptakteur. Gerade der erste Teil gerät so zu einer fast semikonzertanten Fassung. Im zweiten Teil bessert sich dies deutlich, die Chöre werden aktiver, die Figuren bekommen mehr Kontur, das Treiben wird lebendiger.

Dass die Figuren bei Berlioz bei weitem nicht so lebendig sind, wie bei einem Verdi oder einem Mozart wird spürbar. Immer wieder sind es die großen Tableaus, die Erath exzellent bebildert, aber die für den Zuschauer keinen Sog entfalten. Letztlich gibt es aufgrund der Bühnensituation, aber auch weil das Werk sich nicht immer für seine Protagonisten engagiert, viel Rumgestehe, das hübsch aussieht, aber nicht über fünf Stunden trägt. Entlarvend wird dies, wenn Enée und Didon ihr Duett singen und sich dann nach dem Manegenring nun auch das Orchester ein Mal um sich selbst dreht. Das sieht großartig aus, liefert interessante Klangperspektiven, aber das war es dann auch. Das ebenfalls von Heike Scheele gestaltete Kostümbild dagegen überzeugt vollkommen. In überwiegend schwarz und weiß gehaltene Kostümwelten ergeben sich vor den ansonsten nüchtern gehaltenen Wänden des Bühnenbildes friesartige Gesamtbilder, die raffiniert und detailverliebt daherkommen. Die Kostüme der Solisten (und vor allen Dingen die der Götter-Statisten) sind von Eleganz und Raffinesse geprägt.

Auf der musikalischen Seite überzeugt der Abend voll und ganz. Francois Xavier Roth wird zum musikalischen Hohepriester in der tempelartigen Anlage des Bühnenbildes. Wie in seinen anderen Berlioz-Dirigaten weiß er vollkommen zu überzeugen. Ohne Wucht und Schwere vermag er auch die Massenszenen in einem weichen, gut temperierten Klang zu halten. Das Gürzenich Orchester schwelgt in der Musik, es wogt und fließt im Holz und in den Streichern. Die von Rustan Samedov einstudierten Chöre leisten ebenfalls Beachtliches. Dass der Kölner Opernchor schon seit geraumer Zeit zu den besten in Deutschland gehören dürfte, wird durch eine von Präzision und Klangschönheit geprägte Leistung unterstrichen. Sicherlich kommt hier die Anordnung im Bühnenbild (man fühlte sich zeitweise an das Podium der Kölner Philharmonie erinnert) sehr zugute. Bei den Solisten zeigen alle eine hervorragende, ja teilweise exzellente Leistung. Aufgrund der Vielzahl der Rollen sei bei den kleineren Rollen besonders Insik Choi als Chorebe, sowie Dmitry Invanchey als Iopas genannte. Adriana Bastidas-Gamboa als Anna, sowie Lukas Singer als Panthée liefern stimmlich, wie szenisch absolut überzeugende Leistungen ab.

Dass man in Köln ein Händchen für gute Sänger hat, beweist ein Mal mehr die Besetzung der großen Partien. Im ersten Teil zeigt Isabelle Druet, die schon in „Beatrice et Benedict“ begeisterte, nach leichtem Stoff nun Dramatisches. Sie spielt die Seherin, der keiner glaubt mit großer Emphase und weiß die Qual ihrer Figur szenisch, wie musikalisch adäquat zu verkörpern. Im zweiten Teil begeistert Veronica Simeoni als Didon. Sie vermag die Glücks- und Unglücksmomente der karthagischen Königin genau auszuloten und beeindruckt mit warmer und berührender Stimme. Gerade das Duett im vierten Akt mit Enée wird zur musikalischen Sternstunde. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass auch diese Partie mit Enea Scala vortrefflich besetzt ist. Dabei fordert diese Partie einiges, denn die Figur taucht in allen Akten auf und treibt den Sänger in schwindelerregende Höhen und fordert gleichzeitig, dass er sich auch noch gegen ein gigantisches Orchester behauptet. Scala schafft dies. Im ersten Akt wird er noch etwas zurückhaltend, was aber verziehen ist, wenn man weiß, was noch zu leisten ist. Es mag auch dieses Wissen sein, dass bei den ersten Ausflügen in die Höhe noch eine Nuance Enge und Druck hören lässt, bevor Scala im vierten und fünften Akt zeigt, dass er für diese Partie eine wirklich exzellente Besetzung ist. Scala begeistert hier mit Strahlkraft ohne Schärfe, mit großartiger Artikulation und das wird mit einer exzellenten Bühnen-Präsenz unterstrichen.

Berlioz „Les Troyens“ sind wirklich ein Paukenschlag, ein gelungener Paukenschlag. Dass die szenische Umsetzung statisch gerät, ist letztendlich auch ein wenig dem Werk an sich geschuldet, dass die Bühnenanordnung im Staatenhaus dies noch befördert ist, vielleicht das einzige Manko, das dieser ansonsten überzeugende Abend zu bieten hat. Man darf in Köln nun gespannt sein, wie der neue Intendant Hein Mulders in Verbindung mit GMD Roth die Geschicke der Kölner Oper lenken wird. Dieser Abend war ein toller Auftakt (auch wenn die Planungen natürlich noch aus der Intendanz Mayer stammen!) und sei den Liebhabern französischer Oper und denen, die es noch werden wollen empfohlen.

Sebastian Jacobs, 26.9.22

Matthias Jung (c) Fotos

P.S. Es sei darauf hingewiesen, dass alternierend mit Enea Scala, Mirko Roschkowski die Partie des Enée singt.