Besuchte Vorstellung: 28. September 2019, (Premiere am 21. September 2019)
Große Stimmen im Provisorium
Zu den offenbar nur nach unabsehbarer Zeit fertig werdenden Opernhaus-Renovierungen gehört in Deutschland ganz sicher die Oper Köln, in der ich zusammen mit Düsseldorf meine ersten Wagner-Erfahrungen machte, 1967 sogar noch mit Birgit Nilsson in der „Walküre“, mit David Ward als Wotan. In Köln ist man nach der „Zeltphase“ am Dom nun aber sehr zufrieden mit dem Ausweichquartier Staatenhaus auf der anderen Rhein-Seite. Und in der Tat, Regisseur Patrick Kinmonth verstand mit dramaturgischer Unterstützung von Georg Kehren und seinem Bühnenbildner Darko Petrovic, der gemeinsam mit dem Regisseur auch die Videos gestaltete, eine interessante Lösung für diese Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“, Richard Wagners opus summum, zu finden. Er setzt ganz auf die Idee der nach Wagner „nie erlebten Liebe“ die nach Aussage des Komponisten „eine ganz innere, seelische geworden, sie ist ganz nach innen verlegt; was in dem inneren Menschen vorgeht, wird hier der wichtigste Teil der Handlung.“
Dementsprechend lässt er Petrovic eine Reihe von vier Schiffskabinen auf eine erhöhte Bühne setzen, in denen eben genau diese Verinnerlichung und Vereinsamung der Protagonisten auch optisch dargestellt werden kann. Allenfalls Brangäne ist bisweilen in Isoldes Kabine oder Kurwenal in Tristans, immer nur kurz. Wichtig scheint dem Regisseur zu sein, dass die Unmöglichkeit dieser Liebe in der räumlichen Trennung der beiden Liebenden zum Ausdruck gebracht wird. Und da bringt Kinmonth, dessen Vater Ire und Mutter Engländerin war und der einige Zeit seiner Kindheit damit verbrachte, immer wieder über die Irische See nach England und retour zu fahren, eine autobiografische Komponente in diesen „Tristan“ ein. Die Kabinen sind jenen des Schiffes „Innisfallen“ nachempfunden, mit dem er diese Überfahrten damals unternahm. Und sie eignen sich bestens für die Darstellung der beiden Einzelschicksale, zeitweise ausgedehnt auf die von Brangäne und Kurwenal, sodass dann einmal auch alle Kabinen „besetzt“ sind. Das erinnerte mich schon sehr an den „Tristan“ von Olivier Py vor vielen Jahren in Genf, der auch gern mit solchen Zellen arbeitet.
Kurwenal und König Marke sind meist links und rechts von dieser Kabinengruppe, ebenfalls der junge Seemann. Im 1. Aufzug befindet sich rechts die Kommandobrücke, man sieht mit Fernglas in ein schwarzes Loch. Denn man fährt ja gar nicht, die Reise findet allein in den Köpfen der Protagonistin statt. Die Informationsbeschaffung durch Melot für Marke zu Beginn des 2. Aufzugs hat eine klare Nazi-Ästhetik und erscheint mir deshalb entbehrlich, denn dieser Topos ist schon allzu sehr abgegriffen. Auf der linken Seite agiert meist Brangäne, wenn sie nicht bei Isolde und mit dem Kasten der diversen Tränke beschäftigt ist. Hier taucht auch immer wieder eine alte Frau auf, deren Herkunft im Dunkel bleibt, ebenso wie man im 2. Aufzug rechts und links eine junge Ausgabe von Isolde zu sehen bekommt. Also wieder diese Doppelung der Isolde, die auch im Oktober in Leipzig zu beobachten war. Dort traten die jungen Isolden gleich sechsfach auf – eine auch bei kleinerer Zahl wenig Sinn machende Idee und daher von der bei Kinmonth so akzentuiert auf die Einzelschicksale abstellenden Regie redundant. Die Kostüme von Annina von Pfuel sind gut auf die zeitgenössische Ästhetik abgestimmt: Tristan in einem dicken grauen Mantel, Isolde hingegen in einem königlich roten Gewand. Aber es gibt auch einen Poncho für sie, und Kurwenal sowie Marke treten in heutigen Straßenanzügen mit Krawatte auf. Andreas Grüter zeichnet für eine passende Lichtregie verantwortlich.
Wenig überzeugend bis entbehrlich erscheinen mir die pantomimenartig in den Wellenberge andeutenden Erhebungen vor dem Schiff von Zeit zu Zeit über die Bühne schreitenden Statisten, die wahrscheinlich die sehr kraftvoll aus dem Off singenden Matrosen darstellen sollen. Dass Marke seine Enttäuschung von hier unten deutlich macht, ist hingegen nachvollziehbar, denn er ist stets außerhalb des wirklichen Geschehens, kommt Isolde nicht einmal nahe. Überraschenderweise sieht man hier auch mal einen richtigen Messer-Fight zwischen Tristan und Melot. Dass die kleine Fingerverletzung mit ein paar Blutstropfen den Titelheld aber daran hinsiechen lässt, ist nicht verständlich, aber eh wohl nur symbolisch gemeint.
Dafür singt KS Peter Seiffert den Tristan immer noch mit unglaublicher stimmlicher Kraft und heldentenoralem Glanz. Er hat die Partie völlig verinnerlicht, lässt seine jahrzehntelange Erfahrung arbeiten und ist in jedem Moment eine starke Persönlichkeit auf der Bühne. Die Schwedin Ingela Brimberg, die ich noch im Mai als Brünnhilde in einer „Walküre“ in Bordeaux erlebte (Interview Merker 07/2019) und einigen Wiener Opernfreunden sicher noch als Brünnhilde aus dem unsäglichen „Ring“-Verschnitt von Tatjana Gürbaca 2017 im Theater an der Wien in Erinnerung, ist nun mit ihrem Rollendebut in Köln auch eine Isolde von größter Qualität, stimmlich wie darstellerisch. Ihr farbenreicher Sopran meistert mühelos alle Herausforderungen der Rolle. Lange Bögen wechseln mit berührenden Piani, die Topnoten sitzen „sicher und fest“, und es ist Klang auf jedem Ton. Hinzu kommt ein intelligentes und stets situationsgerecht mimisch unterstütztes Spiel. Ich bin mir absolut sicher, dass Brimberg eine große Karriere vor sich hat, gerade auch im schweren Wagner-Fach, und damit die Tradition großer schwedischer Wagner-Interpretinnen weiterspinnen wird.
Der Bayreuth-erprobte Karl-Heinz Lehner singt einen sehr kantablen Könige Marke mit viel Ausdruck und Emotion. Claudia Mahnke, ebenfalls aus dem Castorf-„Ring“ in Bayreuth bekannt, ist ein Brangäne von größter Besorgnis um ihre Herrin und singt die Partie mit ihrem vollen und variationsreichen Mezzo klangvoll. Der junge Litauer Kostas Smoriginas sprang als Kurwenal ein und macht sein Rollendebut mit einem prägnanten und wortdeutlichen Bassbariton ganz ausgezeichnet, auch darstellerisch. John Heuzenroeder ist ein guter Melot, und der junge koreaner Young Woo Kim lässt für den Hirten und den jungen Seemann einen Tenor erklingen, der auf größere Aufgaben hinweist, insbesondere wohl auch im Mozart-Fach. In Köln ist selbst der vom Libretto so benachteiligte Steuermann noch gut.
Der südkoreanische Bariton Insik Choi singt die paar Zeilen mit sehr ansprechend. Rustam Samedov hat den Chor der Oper Köln aus dem off bestens einstudiert. Das Ensemble vermag im 1. Aufzug klare Akzente zu setzen.
Francois-Xavier Roth, seit Beginn der Spielzeit 2015/16 GMD der Stadt Köln und Gürzenich-Kapellmeister, vermochte mit dem Gürzenich-Orchester Köln die ganze Bandbreite der „Tristan“-Musik auszuloten und fand immer wieder zu eindrucksvollen subtilen Monemen, insbesondere im 2. Aufzug. Aber auch die großen Steigerungen zu Tristans Fieberphantasien gelangen gut und legten die große Wagner-Erfahrung dar, die dieses Orchester von je her hat. Mit diesem „Tristan“ auf einer übrigens auch akustisch guten Behelfsbühne kann sich die Oper Köln besser sehen lassen als manches Haus mit diesem Werk unter normalen szenischen Bedingungen.
Klaus Billand, 10.11.2019
(c) Bernd Uhlig