Köln: „Barkouf“, Jacques Offenbach

Premiere: 12.10.2019, besuchte Vorstellung: 18.10.2019

Von Hunden und anderen Machthabern

Mit den Wiederentdeckungen im Musiktheater ist das immer so eine Sache. Viele Komponisten haben in ihrem Oeuvre Werke, die es neben den paar populären Klassikern schwer haben den Weg auf die Bühne zu finden: Teils, weil das Sujet heute keiner mehr versteht, teils, weil die musikalische Perfektion nicht erreicht wurde, teils haben die Wirren der Zeit Teile oder das Ganze Opus in Archiven oder dunklen Dachböden verschwinden lassen. So erging es auch Offenbachs Opéra-comique „Barkouf – ou un chien au pouvoir“ (zu Deutsch: ein Hund an die Macht), die nach einer kurzen Serie von gerade mal acht Vorstellungen im Jahr 1860, erst in der nun auch in Köln gezeigten Koproduktion, im Dezember 2018 in Straßburg wieder das Bühnenlicht der Welt erblickte. Und hier gelingt der Kölner Oper ein echter Coup, denn zum einen geht sie im ausklingenden Offenbachjahr nochmals mit viel Energie auf die Zielgerade, zum anderen beschert sie dem oft gescholtenen und vielerorts erschöpfend ausgenudelten Operettenfach ein Stück, dem es zu wünschen wäre, dass es den Weg ins Repertoire schafft, denn dieses Werk hat eine Menge zu bieten: Offenbachsche Musik vom Feinsten, mit reizenden Ensembles, großen Tableaus und Arien aller Art von schlicht und zart bis zu wilder Kolloraturakrobatik. Und auch die Handlung bietet weitaus mehr an Aktualität und Inhalt, als es andere immer wieder gespielte Werke des Genres je getan haben. Übrigens mag es sein, dass aufgrund der pikanten Handlung das Werk zu seiner Zeit einfach keine Chance auf Erfolg hatte, denn politische Satire dieser Art kam damals bestimmt nicht gut an.

Aber worum geht es bei dem Stück? Offenbach siedelt seine Handlung im Orient an. Der Großmogul ist es leid, dass das Volk der Stadt die eingesetzten Gouverneure wegen deren Unfähigkeit immer wieder einfach aus dem Fenster wirft. In letzter Zeit ist dies sage und schreibe ganze zehn Mal passiert. So wird auch im ersten Akt der aktuelle Gouverneur unmittelbar vor Ankunft des Moguls, den man mit großem Pomp erwartet, angeblich vom Blitz getroffen, es wird jedoch klar formuliert, dass alle ja wissen, dass es sich um einen Aufstand handelte. Der Großmogul erscheint schließlich und setzt aus lauter Verärgerung einen Hund auf den vakanten Posten. Die junge Marktfrau Maima erkennt im neuen Gouverneur ihren Hund, den Soldaten ihr geraubt haben. Der neue Gouverneur wird gefeiert, jedoch stellt sich bald heraus, dass dieser das Volk nicht versteht und umgekehrt. Hinzu kommt, dass er auch den ein oder anderen Beamten übel zurichtet, denn – so erfährt der Zuschauer später, Barkouf wittert Korruption und Klüngel. Maima ist die einzige, die als „Dolmetscherin“ mit dem Tier umgehen kann und so mischt sie den Barkouf umgebenden Machtapparat ordentlich auf. Denn Barkouf ordnet natürlich Steuersenkungen an, schafft die Todesstrafe für Aufständige ab und wird so im Handumdrehen zum beliebten Herrscher. Das schafft natürlich Neider, wie etwa Bababeck, der ganz nebenbei auch noch seine nicht ganz so hübsch geratene Tochter mittels Erpressung an den Mann bringen will und eigentlich selber gerne Gouverneur geworden wäre. So kommt es schließlich zum Mordkomplott gegen Barkouf. Am Ende gibt es aber natürlich doch ein Happy End und die die Handlung umgarnenden Liebesgeschichten kommen ebenfalls zu einem glücklichen Finale.

Die Inszenierung von Mariame Clément zeigt keinen plüschig-romantisierten Orient, sondern spielt in einem totalitären Staat. Da stolzieren wie ein Weihnachtsbaum behangene Militärs über die Bühne, die im richtigen Moment auch mal zur Maske greifen und so zu einem der derzeit weltweit regierenden Schurkenpräsidenten werden (Trump, Erdogan, Orban usw.), da bereitet uniform gekleidetes Volk den Blumenschmuck für die Ankunft des Machthabers vor und die Revolutionäre tragen brav ihren Arafat-Schal. Das Zusammentreffen dieser Gruppen setzt Clément mit guter Personenführung in Szene, wobei jedoch gerade die großen Szenen oftmals schnell zu einem Tableau werden in dem dann nur noch wenig passiert. Ausgesprochen charmant sind Szenen, die ein bisschen mehr theatrale Anarchie wagen, wie etwa der absurd überzeichnete Revue-Auftritt des Großmoguls. Dabei scheut Clément keineswegs den Humor und das Publikum lacht immer wieder herzlich. Bleibt der erste Akt noch etwas langatmig, geraten der zweite und dritte flott und unterhaltsam auch wenn hier und da sicherlich noch die ein oder andere Pointe möglich gewesen wäre. Ausstatterin Julia Hansen liefert eine detailverliebte Bühne, die von repräsentativen Räumen mit leichtem DDR-Charme auf ein riesiges, staubiges Archiv (samt tölpeligem Archivar) wechselt, in deren Mitte der neue „Thronsaal“ in Form einer Hundehütte steht. Hansen, die auch für die Kostüme verantwortlich ist, greift hier zu zweckdienlichen Outfits, scheut sich aber auch nicht von einigen schrillen Akzenten, die ebenfalls für den ein oder anderen Lacher gut sind.

Musikalisch hat der Abend ebenfalls einiges zu bieten: Am Pult des Gürzenich-Orchesters steht der ehemalige Essener GMD Stefan Soltesz, der einen glasklaren und höchst delikaten Offenbach musiziert. Fast kammermusikalisch fein führt er die Musiker durch die Partitur und lässt nur selten größere Ausbrüche zu. Man wünscht sich gelegentlich, dass vielleicht nicht jede einzelne Note so akurat und auf der Perlenschnur präsentiert würde, sondern dass er – der Strauss-Experte! – mal ein bisschen mehr Schwelgen, ein bisschen mehr Rausch zuließe. Aber den Sängern tut es gut, denn die verteufelt schweren Ensembles gelingen so auf den Punkt und gerade das Zurückhalten im Graben lässt viel Raum für die Stimmen der Sänger.

Sarah Aristidou singt das Blumenmädchen Maime klangschön und präsentiert sich in in allen Lagen vortrefflich, einzig ein bisschen mehr Bühnenpräsenz wäre wünschenswert, denn hier kaufen ihre andere den Schneid ab. So etwa Judith Thielsen als Balkis, die Freundin der Maime, die mit großem komödiantischem Talent und viel Kraft in der Stimme auf der Bühne unterwegs ist. Matthias Klink als Gegenspieler zu Barkouf überzeugt szenisch und stimmlich absolut. Er gibt einen widerwärtigen Intriganten, dem alle Mittel Recht sind seine schwer an den Mann zu bringende Tochter zu verheiraten. Eben diese Tochter singt Kathrin Zukowski, Mitglied des Opernstudios, die sich mit ihrer Leistung aber keineswegs hinter ihren Kollegen verstecken muss. Martin Koch als Eunuch Kalibou, Patrick Kabongo als Saeb und Sunnyboy Dladla als Xailoum liefern exzellente Rollenportraits ab und fügen sich stimmlich in eine hervorragende Ensemble-Leistung ein. Bjarni Thor Krstinsson ist als Großmogul eine wunderbar operettige Charge eines korrupten Machthabers. Der von Rustan Samedov einstudierte Chor meistert seinen Part mit samtweichem Klang und großer Akkuratesse.

Mit Barkouf ist der Kölner Oper ein wirklich charmanter Abend gelungen, der am Ende mit großem Jubel vom Publikum belohnt wurde. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Stück nicht wieder in den Archiven verschwindet, sondern seinen Siegeszug über die Bühnen antritt, denn verdient hat es das allemal. Und so ist der Kölner Oper wirklich ein guter Abschluss für das Offenbach-Jahr gelungen, der neugierig macht, sich mehr mit diesem Komponisten zu beschäftigen. Es sei am Rande angemerkt, dass hierzu auch eine kleine Ausstellung im Foyer des Staatenhauses einlädt, sowie ein das Programmheft separat ergänzendes Büchlein über Kölns großen Komponistensohn, das der Dramaturg der Produktion Georg Kehren verfasst hat.

Sebastian Jacobs, 18.10.2019

Bilder (c) Paul Leclaire