Köln: „Der Zwerg“, Zemlinsky / „Petruschka“, Strawinsky

Genau 100 Jahre ist es her, dass im damals prunkvollen Kölner Opernhaus am Habsburgerring Zemlinskys „Der Zwerg“ uraufgeführt und vom Publikum jubelnd angenommen wurde. Damals wie heute kombinierte man den Einakter mit Strawinskys „Petruschka“, was seinerzeit, gerade ein paar Jahre nach der Pariser Uraufführung, für deutlich mehr Furore sorgte als heute.

In Köln spielt man nun bekannterweise seit zehn Jahren (sic!) in Provisorien und so ist es erfreulich, dass diese Produktion die räumlichen Möglichkeiten, die das Staatenhaus bietet, wieder einmal positiv nutzt. Das Publikum durchläuft ein weißer Catwalk, der in dem Geburtstagstisch der Infantin münden. Links und rechts davon ebenfalls Publikum, das während der Vorstellung mit Zuckerwatte und Sekt versorgt wird, vor Kopf ein plüschiger Revuevorhang und das üppig besetzte Orchester.

(c) Paul Leclaire

Regisseur Paul-Georg Dittrich wählt einen so verblüffend einfachen, wie sinnvollen Ansatz, um die Geschichte der gemeinen Infantin, die zum Geburtstag einen lebenden Zwerg geschenkt bekommt, dem sie Liebe vorgaukelt, und der daran zerbricht, als er merkt, wie hässlich er ist und dass er nur ein Opfer seiner Umwelt war, zu erzählen. Dittrich verkehrt die Verhältnisse und lässt die höfische Gesellschaft zu einer fatanstic-plastic Wonderland Gesellschaft verkommen, die mittels Selfies und Plastikkitsch, mit bunten Glitterballons und grellen Kleidern eine fiese, eine unangenehme Mischpoke darstellt, die sich nur selbst feiert, die mit Botox und Bleaching, mit OP und Perücke das eigene Altern versucht aufzuhalten und auf unerträgliche Weise dem eigenen Narzissmus frönt. In diese verrohte, oberflächliche, ja hässliche Welt gerät nun wie ein Zeitreisender im ordentlichen Anzug, mit Gehstock und Melone, mit Manieren und einem Gefühl für Distanz der vermeintlich hässliche Zwerg. Videoprojektionen lassen erahnen, dass er der Zwerg der Uraufführung ist. Dies mag vielleicht etwas konstruiert klingen; das, was dahinter steckt ist aber klug und gut gedacht: In der hochgeschwindelten Schönheit der Hofgesellschaft wird der letzte Anständige zum hässlichen Außenseiter. Dittrich greift mit der Frage, was nun wirklich schön ist und wer dies definiert, einen Zeitgeist an, der durch Instagram, TikTok und medialen Overkill geprägt ist. Er zeigt uns eine Gesellschaft, die Schönheit sehr eigen definiert. Um so bedrückender ist der Schluss des Stückes inszeniert, wenn dem Zwerg schmerzlich klar wird, dass er gar nicht geliebt wurde und wenn die ihn umgebende Gesellschaft auf einmal gealtert ist, wenn sie hinkend und mit fratzenartigen Gesichtern und grauem Haar die eigene Vergänglichkeit erkennt und wie ein Junkie scheinbar um Liebe bettelt und erkennt, wie vergänglich die eigene Schönheit ist, wie aber die Liebe von Bestand sein kann.

Dass dieses Konzept so gelingt, liegt nicht zuletzt am von Pia Dederichs und Lena Schmid entwickelten Setting, das den Raum klug nutzt und in wilden Bonbon-Farben die fiese und so vergängliche Hofgesellschaft in Szene setzt. Die Videos von Konrad Kästner legen bereits im Einlass den Link zur hundertjährigen Geschichte der Oper und der Verbindung zum Standort Köln und legen bitterböse Links zum Anliegen der Inszenierung.

(c) Paul Leclaire

Auf der musikalischen Seite überzeugt vor allem Kathrin Zukowski als Infantin Donna Clara. Sie spielt die widerlich eingebildete Göre, stakst über die Bühne wie eine überkandidelte Influencerin und singt dabei ausgezeichnet. Klar, klangschön und ohne die ätzende Attitüde ihrer Figur auf ihre Stimme abfärben zu lassen, meistert sie die Partie. Claudia Rohrbach als Zofe Ghita beweist, wie so oft, was für eine exzellente Sängerin und Schauspielerin sie ist. Christoph Seidel als Drag-Haushofmeister überzeugt durch eine perfekte Textverständlichkeit und viel Freude am Spiel. In der Titelpartie gab Burkhard Fritz sein Rollendebüt, das viele Fragezeichen hinterlassen hat. Man weiß nicht, ob man ihn als indisponiert hätte ansagen lassen müssen und dies zugunsten des durchinszenierten Einlasses nicht gemacht hat. Das, was Fritz gesanglich dargeboten hat, war jedenfalls mehr als bedenklich. Die Partie des Zwergs ist durch ihre beachtlichen Höhen und den begleitenden immensen Orchesterapparat teuflisch. Fritz hat die Höhe, wirkt aber permanent angestrengt, wuchtet sich durch den Part, kraftmeiert wenn ein Ton sitzt, und Bögen gelingen selten. Hinzu kommt, dass den Tenor wohl in der Tat stimmliche Probleme belasteten, die er mit Husten und Räuspern zu korrigieren versuchte. Szenisch blieb Fritz aber ebenfalls hinter dem restlichen Ensemble zurück.

Lawrence Renes am Pult des Gürzenich Orchesters musiziert einen makellosen Zemlinsky. Er führt das Orchester fein nuanciert, lässt es in den romantischen Bögen der Partitur schwelgen, lässt manchmal gar zarten, operettigen Schmelz anklingen und weiß genau, wie er diesen mit den kühnen Harmonien, mit schroffen Abbrüchen kontrastiert. Auch Strawinskys „Petruschka“ ist nie von derber Härte gekennzeichnet, obwohl dieses Stück das durchaus zulassen würde. Es bleibt immer klar, transparent, hier vielleicht manchmal etwas verhalten in der Dynamik, aber vor allen Dingen immer wieder sehr durchdacht, sehr exakt und genau interpretiert.

(c) Paul Leclaire / Petruschka

Ob man im Anschluss an die so schlüssige Deutung des Zwergs noch „Petruschka“ gebraucht hätte, bleibt 2022 fraglich. In dieser Produktion hat man Richard Siegal als Choreografen gewinnen können und mit ihm das am Kölner Schauspiel angesiedelte „Ballet of Difference“. Strawinskys Handlungsballett, das traditionelle russische Figuren vergleichbar mit dem deutschen „Kasperletheater“ aufnimmt und vom Lebendigwerden der Puppen erzählt, möchte hier scheinbar etwas sein, was es nicht ist. Der Besetzungszettel verrät uns, dass neben Ballerina und Magier Transhumanisten auf der Bühne sein sollen, um genau zu sein Soft Robots, Fluid Indentities und vieles mehr. Es ist tragisch, aber auch bezeichnend, wenn sich so etwas nur über den Besetzungszettel erzählt. Getanzt wurde freilich hübsch und technisch wirklich brillant. Und so war der Zuspruch des Publikums am Ende wohl auch eher dem Können der Tanzenden als dem gedachten, aber nicht erzählten Überbau geschuldet. Ein logischer Anschluss an den Zwerg hat sich dem Zuschauer jedenfalls nicht gezeigt – schade eigentlich.

Der Doppelabend in der Kölner Oper hinterlässt einen gemischten Eindruck. Auf der einen Seite macht es großen Spaß, sich auf das kluge Regiekonzept und die Musik Zemlinskys einzulassen, und macht es gerade in der unkonventionellen Lesart große Freude, dieses Werk zu entdecken. Auf der anderen Seite darf man für die kommenden Vorstellungen nur hoffen, dass der Protagonist sich erholt. Strawinskys Ballett wird zwar wunderbar musiziert und es mag Freunde des Tanzes auch begeistern, der hochengagierten Kompanie beim Tanzen zuzuschauen, aber einfach nur den rund 90-minütigen Einakter zu spielen, hätte dem Abend auch nicht geschadet, denn mangels einer sinnstiftenden Anbindung wirkt das recht kurze Ballett wie ein Anhängsel und verloren.

Das Publikum reagierte auf den Zwerg zunächst etwas verhalten und bedachte letztlich aber alle Beteiligten mit viel Applaus, bei Petruschka wurden die Tanzenden wahrlich bejubelt, wie eben auch das Orchester in beiden Teilen des Abends.

Sebastian Jacobs, 20.11.2022


Alexander Zemlinsky „Der Zwerg“

Nach dem Märchen „Der Geburstag der Infantin“ von Oscar Wilde

Igor Strawinsky „Petruschka“

Besuchte Premiere: 19.11.22 Köln / Ständehaus

Regisseur: Paul-Georg Dittrich

Setting: Pia Dederichs und Lena Schmid

Videos: Konrad Kästner

Dirigat: Lawrence Renes & Gürzenich Orchester Köln

Choreograf „Petruschka“: Richard Siegal