Köln: „Die Trojaner“, Hector Berlioz

Erst einmal muß man klarstellen, daß jedes Haus, was sich an Hector Berlioz‚ Opus summum „Die Trojaner“ nach VergilsAeneis“ heranwagt, großer Respekt gezollt werden muß, denn der Aufwand, die Besetzung und ein szenisches Konzept für die göttlichen Längen dieser Grand Opera sind immens. So konnte sich der neue Intendant der Kölner Oper, Hein Moulders, mit einer sicherlich langfristig und sorgfältig geplanten Neuinszenierung zu Spielzeitbeginn schmücken. Dem GMD Francois-Xavier Roth, der ein ausgewiesener Berlioz-Liebhaber ist, sei dieser Höhepunkt an Berlioz-Pflege gedankt, „Benvenuto Cellini“ und „Beatrice et Benedict“ waren ja schon voraus gegangen. Schon beim Betreten des Zuschauerraumes zeigte die Bühne eine Aufweichung des gewohnten Guckkastens: ein bis in die Zuschauer ragender, weiß leuchtender Ring, umschließt das mittig positionierte Orchester, darum amphitheatralisch schwarze Stufen, das weckte einige Spannung.

Wäre ich Regisseur, würde ich einen Antrag, dieses Werk zu inszenieren, ablehnen, so genial die Musik ist, die Dramaturgie ist recht statisch und oratorienhaft, sinfonische Dichtungen durchweben die Oper und Ballett wird gefordert, historisch-mythische Tableaus werden zur Aufgabe. In Köln traut sich der bewährte Johannes Erath daran und stellt ein klassisches zwölfköpfiges Götterpantheon auf, schon ein bißchen verwittert aus verschiedenen Epochen gekleidet mit einem Hauch „ancien regime“ (Ausstattung: Heike Scheele). Dieser Olymp wird im Laufe der fünf Stunden (mit zwei Pausen) immer mehr Kontrolle und Ansehen über die Menschen verlieren, das „ancien regime“ setzt hier  Verweise auf den Verlauf der französischen Geschichte. Zumal mit Bacchus und Pluto zwei Chaosgötter (Rausch und Tod) gegen die bestehenden Verhältnisse arbeiten. Das als ausschmückendes Beiwerk zum Untergang Trojas und der unglücklichen Liebesgeschichte zwischen Dido und Äneas, die Statisten und Sänger setzen das mit unterhaltsamen Beibildern um.

Ansonsten inszeniert Erath mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg die Handlung um, denn der sich drehende Ring wird immer wieder mit der Personnage bestückt, läßt jedoch wenig Raum für dramatisches Spiel. Der Chor wird meistens im Amphitheater mit einer Gruppenchoreographie entsorgt, mal klappt es, mal wird es peinlich; Freudentänze sehen dann aus, als ob Erwachsene einen auf Kinderdisco machen. Völlig kalt läßt mich der Selbstmord der Trojanerinnen am Ende des zweiten Aktes, statt starrer Verinnerlicherung, schreit die Musik nach Pathos und Exstase – Fehlanzeige! Doch hat die Rücknahme auch ein Positives, denn sie läßt Muße sich auf die Musik zu konzentrieren. Die vordere Positionierung (vor dem Orchester) erleichtert den Sängern ihre Aufgabe, vielleicht wären einige der Solisten in einem „normalen“ Guckkastentheater, auch nicht so ganz geeignet für die Partien?

Kommen wir zum Vokalen, zunächst der Troja-Akt mit der Seherin Kassandra als Mittelpunkt: Isabelle Druet singt mit klassisch-gediegener Emphase und kontrolliertem Sopran, der sich wunderschön mit Insik Chois männlich warmem Bariton als verlobtem Chorebus mischt, mir persönlich fehlt bei ihrer Stimme etwas glühend Getriebenes, vielleicht Hysterisches, was ich bei dieser durch und durch verzweifelten Figur erwarte, aber so etwas ist halt persönliche Geschmackssache. Schon hier kristallisiert sich jedoch der vokale Mittelpunkt des Abends heraus: der Äneas des Äneas. Enea Scala ist eine wirklich perfekte Besetzung für diese so schwierige Partie, sie ist lang, sie ist hoch, fordert einige heldische Einsätze, braucht aber unbedingt eine lyrische Prägung mit ausgewiesener Legato-Kultur. Scala kommt klanglich deutlich aus dem Belcanto-Fach, seine Höhe ist leuchtend, seine Stimme ist extrem gut fokussiert, so daß, egal aus welcher Positionierung auf der Bühne, auch in den Ensembles seine Präsenz heraussticht. Vieles klingt bei ihm leichter, obwohl es doch sanglich so schwer ist – ein Glücksfall! Lucas Singer mit beachtlichem Bassbariton (Pantheus) und Giulia Montanari (Ascagnus) mit angenehmem Sopran begeiten ihn bis in die trojanischen Akte.

Karthago: Manchmal haben Sänger einfach einen schlechten Abend; Veronica Simeoni muß als Dido betrunken auftreten (Regie!), doch leider liegt sie auch öfters mit ihrer Intonation zu tief und zieht von unten in den Ton und wirkt manchmal etwas unsicher, aber zu dieser Ursache kommen wir später. Auch Adriana Bastidas – Gamboa kommt mit ihrem samtigen Mezzo etwas wackelig daher. Die karthagischen Herren Narbal und Iopas legen hervorragende Visitenkarten ab; Nicolas Cavallier und Cyrille Dubois machen das mit strahlendem Tenor und sonorem Bariton, hier möge man mir einfach die vage Zuordnung verzeihen, aber diese beiden Rollen bringe ich immer durcheinander. Ein Kabinettstückchen bietet Young Woo Kim mit dem Lied des Hylas, ein ausgesprochen klangschöner lyrischer Tenor, der sich für Größeres empfiehlt. Doch auch David Howes und Christoph Seidl stechen mit tollem Stimmmaterial aus dem tieferen Bereich aus den im ganzen gut besetzten Nebenpartien heraus und machen neugierig auf mehr.

Francois-Xavier Roth gilt ja als ausgewiesener Berlioz-Experte, doch er schien an diesem Abend einen neuen Ansatz zu verfolgen, der leider auch zu einigen Unsicherheiten führte (Ursache!). Bei Berlioz muss man sich, wenn man ihn hört, immer wieder bewußt machen, in welchem zeitlichen Umfeld er lebte und komponierte, um sich wach zu halten, wie modern und schockierend er auf seine Zeitgenossen wirken musste. Doch das wäre nur das eine Gesicht des janusköpfigen Künstlers, denn sein großes Wissen , um die große Vergangenheit der französischen Musik mit ihren Wurzeln, ist die andere Seite. An diese traditionelle Seite wollte wohl Roth an diesem Abend anknüpfen und verwirrte seine vokalen Mitstreiter, denn das tadellose Gürzenich-Orchester folgte ohne großen Wimpernschlag seinen Intentionen. Roth schraubte die exzentrische Romantik Berlioz zurück und versuchte sich an klassizistischem Faltenwurf von Cherubini und Spontini, an der sprachlichen Agogik des französischen Barock (Rameau), wirkte also eher einen kühlenden, denn leidenschaftlichen Einfluss aus. Man merkte es bei ein paar Irritationen mit den sonst eindrucksvollen Chören der Kölner Oper, schwieriger im Duett Dido-Anna (dritter Akt) und gerade am Beginn der „Nuit d `ivresse“, dem grossen Duett zwischen Dido und Äneas. Doch es gelang stets die Wackler wieder aufzufangen. Im fünften Akt ließ er dann den leidenschaftlichen Romantiker zum Zug gelangen, was dann selbverständlicher und doch runder klang.

Fazit: Eine durchaus unterhaltsam dekorierte Szene, nicht immer auf der emotionalen Tiefe, die man bei dem Werk erreichen könnte. Musikalisch sehr beachtlich mit interpretatorischen Einschränkungen. Doch die fünf Stunden vergingen wie im Flug und ohne jegliche Langeweile. Das Publikum war begeistert und feierte die Künstler .

Martin Freitag, 23.10.2022


Hector Berlioz – Les Troyens (Die Trojaner) / Premiere am 24.09.2022 Oper Köln

Inszenierung: Johannes Erath

Musikalische Leitung: Francois-Xavier Roth

Gürzenich-Orchester Köln

Trailer