Besuchte Premiere am 20.05.17
Übersteigerter Historismus
Es begann wieder einmal mit einer Ausgrabung des Instituts "Palazzo Bru Zane", das sich um die Wiederentdeckung der französischen Opern immer wieder verdient macht. 2015 gab es am Münchner Gasteig die konzertante Aufführung mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer, die letztjährig auf CD erschienen ist und allen Opernfreunden an Herz gelegt werden sollte. Schirmer, als Intendant der Leipziger Oper war nicht faul, da er sich von der Qualität des Werkes, wie dem Publikumserfolg der Aufführung, überzeugen ließ, und setzte die Oper auf den Spileplan des Hauses, wo sie nach 140 Jahren ihre, man darf es bereits sagen, gelungene Wiederaufführung erlebte. "Cinq Mars" entstand nach dem gleichnamigen Roman von Alfred de Vigny, der in Frankreich, als erster historischer Roman nach dem Vorbild Walter Scotts, einen Kultstatus genießt, wie hierzulande vielleicht Goethes "Wahlverwandtschaften". Es handelt sich um eine Figur und Episode aus der französichen Geschichte, die wahr ist: der junge und bildschöne Marquis Cinq-Mars wurde durch Protektion von Kardinal Richelieu schnell zum Favoriten von Ludwig XIII. , es sind Liebschaften mit Marie Gonzaga, spätere polnische Königin, und Marion Delorme, eine der großen Kurtisanen ihrer Zeit, belegt.
Zwischen den Intrigen der königs- und der kardinalstreuen Seiten neigte er wohl zu einer Selbstüberschätzung und wurde mit seinem Freund Conseiller de Thou enthauptet. Das in etwa die historischen Fakten. Das Libretto betont die Liebesintrige zwischen Marie Gonzaga und Cinq-Mars in Gegensatz zu ihrer politischen Verheiratung durch Richelieu, setzt die graue Eminenz des Kardinal, den berüchtigten Spitzel und Kapuzinermönch Pere Joseph als direkten Gegenspieler ein. Ansonsten alles wahre Historie mit damals real existierendem Personal. Eine Mantel- und Degenoper mit großem Ballett und tragischem Ausgang, was in diesem Satz etwas abwertend klingen mag, ist jedoch nicht so gemeint, denn das Stück bietet neben tollen Schauplätzen und effektvoller Handlung, eine sehr inspirierte Musik. Relativ spät in seinem Schaffen erklingen zwar keine neuen musikalischen Entwicklungen Gounods, doch erkennt man gleich beim Erklingen der Ouverture den Komponisten an seinem speziellen Ton, was ich für eine Qualität halte. Die Musik hat Haltung, bietet schöne Farben und hat melodische Meriten. Diese ganze Wiederentdeckung macht wirklich mehr Lust auf den noch unbekannten Gounod.
Als szenisches Team hat man sich in Leipzig für den, an der dortigen Oper bekannten, Regisseur Anthony Pilavachi mit Markus Meyer als Ausstatter an seiner Seite entschieden, wie sich zeigte eine gute Entscheidung, denn, meines Erachtens, braucht eine Wiederentdeckung keine verquere Neudeutung, sondern eine positives Hervorkehren der Werte des Stückes, ansonsten hieße das, daß man nicht daran glaubt, dann sollte man es lieber lassen. Doch das ist in Leipzig eben nicht passiert. Dem Auge wird große französische Ausstattunsoper geboten, mit der nötigen Stilisierung auf das geschichtliche Thema, eine Art übersteigerter Historismus mit sichtbaren doppeltem Bildrahmen. Die Kostüme wirken historisch ohne es zu sein, die Herren ganz bei Ludwig XIII. , die Damen eher bei der Zeit der Uraufführung, gibt es doch für unser Empfinden ein ganz rundes Bild, das durch die bewußt eingesetzten Soffittenbühnen unterstrichen wird, zumal die Übergänge zwischen den verschiedenen Schauplätzen fast fließend und ohne große Umbaupausen ineinander übergehen. Je mehr das Drama fortschreitet, um so zurückgenommener wird die Optik, was sehr vorteilhaft für die Oper ist. Pilavachis Personenführung kommt sehr intensiv, manchmal auch stilisiert, herüber, auch hier finden sich durchaus Elemente der Übersteigerung, manchmal sogar eine leichte Nähe zur "Operette", jedoch wird nie das Werk verraten, sondern immer ernst genommen. Es kommt keine Langweile auf, aber auch keine szenische Überfrachtung, die von der Oper unnötig ablenken. Man hat sich auch für die Ballettmusik entschieden, mir persönlich kommt Julia Grunwalds Choreographie etwas flapsig daher, auch wenn ich verstehe, was damit zum Ausdruck gebracht wird, allgemein gefällt das Ballett jedoch. Szenisch kann man von einem durchaus von einem "Wurf" mit großem Schauwert sprechen.
David Reiland findet am Pult des Gewandhausorchesters direkt von der Ouverture den rechten Ton und die Klangbalance für Gounod, da muß man gar nicht viel schreiben, das klingt einfach alles richtig. Der Tenor Mathias Vidal hatte schon in München die Aufführung bestritten und zeigt sich auch auf der Aufnahme als adäquate Besetzung, er hatte die Partie innerhalb von vierundzwanzig Stunden für einen erkrankten Kollegen übernommen, sich in Leipzig für ihn als Titelhelden zu entscheiden, ist ein schönes Dankeschön für diese Leistung und in jeder Weise gerechtfertigt, denn mit seinem schönen Tenorklang kann man es auch stilistisch nicht richtiger singen. Fabienne Conrad ist die Marie de Gonzaga an seiner Seite; ich habe lange kein so schönes Liebespaar auf der Opernbühne gesehen. Auf ihrer vokalen Habenseite zeigt sich ein sehr schön timbrierter, cremiger Sopran von etwas instrumentaler Führung, zumal sie sich auf der Bühne mit einer sehr tänzerischen Sinnlichkeit zu bewegen weiß, leider könnte die Stimme ruhig etwas größer und in der Höhe brillianter sein, insgesamt doch eine gute Leistung. Ein bißchen wie Carlos und Posa wirken Cinq-Mars und De Thou; Jonathan Michie ist als De Thou nicht nur der Publikumsliebling des Abends, sondern mit seinem keine Wünsche auflassenden Kavaliersbariton mein Favorit. Grandios auch Mark Schnaible als graue Eminenz Pere Joseph, einem Menschen von so unheimlicher Ausstrahlung auf der Bühne, das man ihm im richtigen Leben nicht begegnen möchte, fahle Bassfarben mit justierender Sonorität unterstreichen den Charakter eines sadistischen Menschen, der anderen nur schaden will, die Figur könnte eine der fiesesten Opernbösewichte sein.
Die etwas kleineren und Nebenrollen sind an der Leipziger Oper ebenfalls ganz hervorragend besetzt: Danae Kontora mit leicht metallischem Koloratursopran als Marion Delorme und mit etwas pastoserem Mezzosopran Sandra Maxheimer als tänzerische Ninon de Lenclos. Sebastian Soules als Vicomte de Fontrailles mit großem Baritonmaterial, ebenso wie der mächtige Bass von Randall Jakobsh als König von Frankreich. Jeffrey Krueger und Joshua Morris gleich in je zwei Partien, ein Extralob an die Maskenabteilung, man hätte sie nicht unbedingt als der gleiche Sänger wiedererkannt, dazu Artur Mateusz Garbas und Jean-Baptiste Mouret. Ganz hervorragend auch die Statisterie, die teilweise schon sehr szenisch intensive Solorollen zu soielen hatten, die Tänzer des Leipziger Oper, die in der Choreographie immer wieder etwas "daneben" tanzen mußten, keine leichte Aufgabe. Und natürlich der großartige Chor der Leipziger Oper unter Alessandro Zuppardos Einstudierung, die einen wahrlich nicht geringen Anteil am Gelingen des Abends hatten, hier muß ich übrigens nochmal erwähnen, das durch die Kostümaufteilung in goldglitzerde und schlichtere Gewänder sehr schön die beiden Parteien des französischen Hofes aufgezeigt wurden.
Eine ganz lohnende Fahrt (in eine ganz tolle Stadt), um ein wirklich zu entdeckendes Werk in einer absolut erstklassigen Aufführung kennenzulernen; ein großer Abend für die Leipziger Oper, für die französische Oper und für Charles Gounod.
Martin Freitag 22.5.2017
Fotos (c) Tom Schulze / Oper Leipzig