Sofia: „Der Ring des Nibelungen“

WA – 21.-27. Mai 2016

Der „Ring“ nochmals im Ganzen besprochen

In diesem Jahr feiert die Nationaloper Sofia ihr 125jähriges Bestehen. Nicht zuletzt zu diesem hier besonders wichtigen Ereignis hat Generaldirektor Plamen Kartaloff die Internationalen Wagner Wochen ausgerufen, in deren Rahmen er eine Wiederaufnahme seines sehenswerten „Ring des Nibelungen“ vom 21. bis 27. Mai zeigte. Dieser „Ring“ wurde im letzten September auch im Festspielhaus Füssen im Allgäu mit großem Erfolg präsentiert.

Der „Ring“ in Sofia hatte mit dem „Rheingold“ unter der Stabführung von Manfred Mayrhofer mit dem Orchester der Nationaloper Sofia einen guten Start. Kartaloff hat mit seinem Story Board den „Ring“ aus der Musik und Werkaussage Richard Wagners inszeniert und damit eine außergewöhnlich große Harmonie zwischen Optik, fein ausgestalteter Personenregie und der Musik aus dem Graben erreicht. Wir erblicken im Wesentlichen einen beliebig variationsfähigen bühnengroßen Ring sowie einige kegelförmige Konusse, reduziert auf bestimmte symbolische Bedeutungen. Kartaloff setzt sie in ständiger Variation über den ganzen Zyklus hinweg dramaturgisch ein, wobei das Multimedia Design von Vera Petrova und Georgi Hristov sowie die Lichtregie von Andrej Hajdinjak eine ganz entscheidende Rolle spielen. Es gelingt dem Regieteam, mit den Bühnenbildelementen und fantastischen Figurinen von Nikolay Panayotov sowie dem facettenreichen Multimedia-Design, den Mythos des „Ring“ mit einer nahe an Wagners Regieanweisungen operierenden Dramaturgie mit großem Unterhaltungswert zu verbinden. Farbintensive und eindringliche Bilder waren da zu sehen, insbesondere die Regenbogenbrücke über die sieben hochstehenden Konusse auf dem Ring. Sie sehen wie Zinnen einer Burg, also Walhalls, aus.

Unterhaltsam waren wie immer in dieser Produktion die drei Rheintöchter, die auf Trampolinen unermüdlich mit ihren Sprüngen und Saltos (zeitweise von drei Akrobatinnen gedoubelt) eine Art Herumtollen im Rheinwasser suggerierten. Milena Gurova als Woglinde, Silvia Teneva als Wellgunde und Elena Marinova als Flosshilde sangen dazu klang- und ausdrucksvoll mit bestem Deutsch. Bühnenbeherrschend waren Nikolay Petrov als Wotan und Daniel Ostretsov als Loge. Und wenn diese beiden Figuren gut sind, kann im „Rheingold“ eigentlich nichts mehr schiefgehen – wie eben an diesem Abend. Petrov sang mit seinem gut geführten und kraftvollen Bassbariton einen beeindruckenden Wotan. Ostretsov gab einen sehr musikalischen und geschickt die Strippen ziehenden Loge. Biser Georgiev ist seit seinen letztjährigen Auftritten als Alberich noch besser geworden, sowohl stimmlich, wie auch darstellerisch – er lieferte eine beeindruckende Rollenstudie des Nibelungenfürsten. Stefan Vladimirov war ein wohlklingender Fasolt mit profundem Bass. Petar Buchkov stand ihm mit mehr Prägnanz in der Stimme kaum nach. Rumyana Petrova spielte als Fricka stark, blieb aber stimmlich etwas spröde. Silvana Pruchcheva war eine intensive Freia mit gut ansprechendem Sopran und großer Höhensicherheit. Svetozar Rangelov sang einen starken Donner mit viel Aktion auf der Bühne, und Hrisimir Damyanov gestaltete den Froh lyrisch klangschön. Plamen Papazikov war ein guter, fast baritonaler Mime, und Blagovesta Mekki-Tsvetkova ließ einmal mehr als Erda stimmliche Qualitäten vermissen – zu unscharf und klanglos ist ihr Mezzo für diese so wichtige Partie.

In der „Walküre“ begeisterten wie immer die acht Streitrosse der Walküren, die nun auf den zu Pferdeköpfen stilisierten Konussen saßen. Die Bilder des Walkürenritts lösten so auch einen intensiven Szenenapplaus aus. Alle acht Wotanstöchter waren stimmlich einwandfrei und wirkten so besonders in den Ensembleszenen sehr stark. Ebenso eindrucksvoll war auch der romantisch gezeichnete Wonnemond im 1. Aufzug, in dem Martin Iliev als tragischer Held Siegmund mit dem melancholisch klingenden Timbre seines eher schweren Tenors glänzen konnte. Das „Wälsungenblut“ am Ende des 1. Aufzugs konnte Iliev spektakulär lange halten. Er spielte die Rolle auch mit einem hohen Maß an Emotionalität und Authentizität, sodass die Darstellung des Wälsungenpaars sehr intensiv zu erleben war. Seine Partnerin Tsvetana Bandalovska war mit einem für die Rolle vielleicht etwas leichten Sopran, eine aber dennoch stimmlich und noch mehr durch ihre emphatische Gestaltung gute Sieglinde. Sie konnte vor allem mit ihrer Facettierung der Partie und ihrer Höhensicherheit beeindrucken. Angel Hristov sang als Zombie verkleidet einen Furcht einflößenden Hunding mit großer Durchschlagskraft seines kräftigen Basses. Eine wahrlich beeindruckende Rollenstudie lieferte aber Nikolay Petrov als Wotan, der das Debakel des Gottes schon während des Zwiegesprächs mit Fricka mit einer außergewöhnlich intensiven emotionalen Darstellung über die Rampe brachte. Dieser Gott fiel tief bis hin zu sichtbarer Verwirrung! Auch stimmlich konnte Petrov mit seinem dunkel konturierten Bassbariton überzeugen, wenngleich er nicht immer in vollständiger Harmonie mit dem Orchester lag. Die Fricka von Rumyana Petrova klang hingegen mit einem nicht besonders gut geführten, etwas verquollenen Mezzo weniger gut, konnte aber darstellerisch die Rolle voll ausloten. Der Star des Abends und auch in der „Götterdämmerung“ war aber einmal mehr Iordanka Derilova als Brünnhilde. Mit welcher stimmlichen Intensität sie die Höhen und langen Bögen der Partie meisterte und dabei auch spielerisch gestaltete, war wieder äußerst beeindruckend. Hinzu kommt ein gutes und jugendliches Aussehen, sodass man ihr die „reisige Maid“, aber dennoch später auch das wissende Weib, optisch perfekt abnimmt.

Im „Siegfried“ erlebte man Szenen mit Retrospektiven aus den beiden Abenden zuvor, die zunächst Mimes Erzählungen im 1. Aufzug begleiteten und sodann Siegfried, ohne dass er es bemerkte, beim Waldweben erschienen, immer wieder in Form seiner Eltern Siegmund und insbesondere Sieglindes. Kostadin Andreev war mit seiner heldentenoralen und baritonal unterlegten Stimme sowie beeindruckender Vitalität des jungen Naturburschen ein einnehmender Siegfried, auch wenn seine deutsche Diktion einige Wünsche offen ließ. Krasimir Dinev gab einen Mime auf Augenhöge mit einem metallischen Tenor, der durchaus heldischen Aplomb hören ließ. Er legte einen unglaublich aktiven Zwerg auf die Bretter der Nationaloper – anders kann man es nicht sagen, wenn man sah, was Siegfried in seiner Mürrischkeit so mit ihm trieb. Martin Tsonev war ein souveräner Wanderer, sowohl was seinen klangvollen und technisch besten geführten Bassbariton wie sein überzeugendes und engagiertes Spiel angeht. Er konnte die Souveränität des als Wanderer daher ziehenden Gottes bestens verkörpern. Die junge Radostina Nikolaeva sang eine vornehmlich lyrisch geprägte Brünnhilde und schloss an diesem Abend mit großem Erfolg an ihre Isolde aus dem Vorjahr an. All ihre hier so fordernden Höhen sang sie mit Bravour und stets guter Resonanz. Ihr hohes C am Schluss konnte sie bedeutend länger halten als viele führende Rollenvertreterinnen. Biser Georgiev war wieder ein engagierter und stimmlich intensiver Alberich. Petar Buchkov sang den aus nun blutrot beleuchteten Konussen bestehenden Fafner mit kraftvollem Bass, der noch von einem Megaphon verstärkt wurde. Die Erda von Blagovesta Mekki-Tvetkova ließ stimmlich einmal mehr an Präzision und Klarheit zu wünschen übrig, konnte die Rolle aber ansprechend gestalten. Milena Gurova sang einen klangvollen und differenzierten Waldvogel, der im Hintergrund auf einer Schaukel auf und nieder "flatterte" – ein sehr poetisches Bild.

Die „Götterdämmerung“ begann mit einer eindrucksvollen Nornenszene, in der mit viel Aktion Tsvetana Sarambelieva als Erste, Ina Petrova als Zweite und Lyubov Metodieva als Dritte Norn ein gutes stimmliches Terzett bildeten. Das Vorspiel wurde aufgrund der vokal und darstellerisch großartigen Leistung von Martin Iliev als Siegfried und Iordanka Derilova als Brünnhilde einer der Höhepunkte des Abends und provozierte an seinem Ende wiederum Szenenapplaus. Atanas Mladenov sang einen klangvollen Gunther mit nicht allzu großer Stimme und die Sieglinde Tsvetana Bandalovska gab nun eine stimmlich etwas leichte Gutrune. Angel Hristov verkörperte einen finsteren Hagen mit kraftvollem und prägnantem Bass, hatte im 2. Aufzug aber etwas Mühe bei einigen Höhen. Biser Georgiev war ein eindringlicher Alberich, während Tsvetana Sarambelieva in der langen Solopartie der Waltraute mit einer etwas unsauberen Stimmführung nicht ganz überzeugen konnte. Bei den wiederum guten Rheintöchtern ersetzte Irina Zhekova Milena Gurova als Woglinde. Düster dräuend wirkten die Mannen mit ihren fledermausartigen Standarten, die an die Vögel im gleichnamigen Film von Alfred Hitchcock erinnerten. Der nicht allzu große, von Violeta Dimitrova geleitete Chor, war relativ weit hinten aufgestellt und verlor so etwas an Klangfülle. Stimmlich und von der Transparenz her war aber alles in Ordnung. Szenisch besonders beeindruckend war das Ende dieser „Götterdämmerung“, als man zunächst das sich in unendlich viele Splitter auflösende Walhall gewahrte und ganz zum Schluss zum Motiv der Mutterliebe Sieglindes ein Lichstrahl wie ein Zeichen der Hoffnung auf die leere Bühne fiel…

Manfred Mayrhofer hatte mit dem Orchester der Sofia Oper einen guten Start in diesen „Ring“, wobei kleinere Ungenauigkeiten einiger Musiker kaum ins Gewicht fielen. Er steigerte sich jedoch erheblich in der „Walküre“, in der er das Orchester zu großer Intensität anregte und sowohl die lyrischen Passagen wie die besonders dynamischen und dramatischeren Momente sehr gut heraus arbeitete. Musikalisch konnte sich dieser „Ring“ im „Siegfried“ weiter steigern. Denn hier war offenbar die ganze Erfahrung des Orchesters mit der Tetralogie aus dem Vorjahr wieder zugegen. Mayrhofer dirigierte ein erstklassiges Vorspiel zum 3. Aufzug und konnte auch das Durchschreiten des Feuers durch Siegfried mit guter musikalischer Facettierung dirigieren. Dass er die Tetralogie viele Jahre nicht dirigiert hatte, wurde niemandem bewusst. Folgerichtig bekam der Dirigent nach der „Walküre“ und dem „Siegfried“ besonders emphatischen Applaus. Das hohe Niveau setzte sich schließlich in der „Götterdämmerung“ fort, sodass man am Ende von einem sehr guten musikalischen „Ring“ sprechen konnte, wobei Mayrhofer stets sehr engen Kontakt zwischen Graben und Sängern sicher stellte. Es gelang eine Tetralogie im Sinne des Gesamtkunstwerk-Begriffs Richard Wagners wie aus einem Guss. Großer Applaus für alle Mitwirkenden, teilweise mit signifikanten Bravi.

Am 27. Mai, dem Tag der „Götterdämmerung“, moderierte der Verfasser dieser Kritik wie schon in Füssen 2015 wieder ein Symposium zum Thema „Wagnersches Regietheater gegenüber traditionellen Inszenierungsstilen“. Es fand bei gutem Besuch im Goethe-Institut Sofia statt.

Fotos bei den Einzelbesprechungen unten

Klaus Billand, 27.6.2016