Aufführung am 28. Februar 2018
Verhaltenes Paris-Debüt von Marina Rebeka mit einem „sehr alten“ Placido Domingo
Verdis „Traviata“ spielt in Paris, doch die Pariser Oper – wo das Werk eigentlich besonders gut hinpassen müsste – scheint kein Glück mit ihr zu haben. Da sich die Inszenierung von Franco Zeffirelli aus 1986 nicht halten konnte, beauftragte Hugues Gall Jonathan Miller 1997 mit einer neuen Produktion. Millers wunderschöne „Bohème“ wurde zwanzig Jahre lang gespielt, doch seine „Traviata“ war kein Erfolg. So bestellte Gerard Mortier 2007 eine andere bei Christoph Marthaler, die von einer seltenen Hässlichkeit war. 2014 wurde Benoît Jacquot gerufen, ein erfolgreicher Filmemacher, der 2010 sein Debüt als Opernregisseur mit einem wunderschönen „Werther“ in London gegeben hatte. Doch die „Kammeroper“ von Massenet – die er auch filmte – scheint ein Glücksfall gewesen zu sein, denn bei der „Traviata“ lieferte er nicht mehr als repertoiretaugliches Rampentheater (siehe unsere Premieren-Rezension im Merker VII/2014) – und er hat seitdem keine Oper mehr inszeniert.
Die Produktion hat jedoch zwei Qualitäten: sie sieht schön aus – Eleganz ist für das Pariser Stammpublikum ein Muss – und man kann mühelos große Sänger für ein paar Vorstellungen kommen lassen, denn viele Proben sind hier nicht nötig. So haben seit 2014 schon eine ansehnliche Reihe großer Sängerinnen an der Opéra de Paris eine „Traviata“ gesungen, beginnend mit Diana Damrau bis zu Sonya Yoncheva. Nun war Anna Netrebko an der Reihe, doch sie sagte krankheitsbedingt ihre drei Vorstellungen ab und wurde ersetzt durch Marina Rebeka (die schon die ersten fünf Vorstellungen dieser Serie gesungen hatte). So wie Marina Rebeka im November dem Merker Peter Dusek im Interview erzählte, ist die „Traviata“ ihre „Schicksalsoper“, mit der sie vor zehn Jahren in Erfurt ihr Bühnendebüt gegeben hat und sie seitdem schon in 14 Produktionen gesungen hat: u.a. an der Met, in Covent Garden, in München und letzten Herbst mit viel Erfolg an der Wiener Staatsoper. Wir waren also gespannt. Im ersten Akt sang sie „E strano“ sehr nuanciert, musikalisch und – mit Hilfe des Dirigenten – auffallend leise. Aber warum auch nicht? Es handelt sich ja um ein Selbstgespräch von Violetta in ihrem Boudoir, in das sie sich nach einem Hustenanfall zurückgezogen hat. Doch bei der leidenschaftlichen Trennung von Alfredo im zweiten Akt muss sie über das gesamte Orchester „Amami Alfredo quant io t’amo, Addio“ singen – und da verlor ihre Stimme ihr schönes Timbre und wurde schrill. In dem großen Saal der Opéra Bastille braucht man halt eine große Stimme…
Und wenn man die nicht hat, dann zumindest ein großes inneres Feuer. Mit diesem kam Placido Domingo im zweiten Akt auf die Bühne. Er war offensichtlich sehr glücklich da zu sein und spielte mit viel Überzeugung einen fast boshaften alten, aufgeregten, achtzigjährigen Giorgio Germont (was ja auch ungefähr sein eigenes Alter ist). So konnte er auch mit viel métier alle seine leider nun auftretenden stimmlichen Probleme überspielen. Seine kleine Arietta „Pura siccome un angelo“ verlief ganz problemlos, doch in dem „Wiegenlied“ für seinen Sohn versagte seine Stimme. Wir haben Domingo schon öfters als Giorgio Germont gehört, auch in dieser Inszenierung, aber noch nie wie an diesem Abend. Schon im ersten Satz, „Di provenza il mar, il sol, chi dal cor ti cancello“, musste er drei mal atmen (statt kein mal). Er brachte damit den Dirigenten in Schwierigkeiten (den er keines Blickes würdigte). Und als er beim letzten Satz angelangt war, „Ma se alfin ti trovo ancor“, bekam er das hohe G nicht (hoch für jeden Bariton), wiederholte es nicht (was viele andere auch nicht tun) und atmete vier mal – womit jedes Legato verloren ging und der Schluss verpuffte. Das Pariser Publikum klatschte laut und lang – doch der Beifall galt mehr dem einstigen Publikumsliebling als dem jetzigen Sänger, dem man nur raten kann, diese Rolle – die er noch einmal in Wien singen wird – so bald wie möglich abzulegen. Er kann doch noch so viel Anderes !
Neben einer uns nicht überzeugenden Violetta und einem uns sehr enttäuschenden Giorgio Germont, war Charles Castronovo als Alfredo der beste Sänger des Abends. Seine Stimme klang dunkler als sonst, was anscheinend an einer Erkältung lag (kein Wunder bei der „sibirischen Kälte“), doch auch er besaß so viel métier um all dem gewachsen zu sein. Der Rest der Besetzung war gut ohne wirklich hervorragend zu sein. Die Amerikanerin Virginie Verrez debütierte als Flora, Isabelle Druet sang Annina und wir freuten uns, einige Sänger des Atelier Lyrique und des Chors nun als Solisten auf der großen Bühne zu sehen, so wie Tiago Matos als Marquese d’Obigny und Pierpaolo Palloni als Comissionario. Dass der Abend nicht mehr Glanz bekam, lag neben der langweiligen Inszenierung auch an dem nicht sonderlich inspirierenden Dirigat von Dan Ettinger. Er fing fein und leise an und unterstützte die Sänger wo und wie er konnte. Doch dabei verzettelte er sich mehr und mehr und am Ende fehlten der große Bogen und die Dramatik. Eine undramatische „Traviata“ in Paris… die Opéra de Paris hat einfach kein Glück mit diesem Werk.
Bilder (c) Emilie Brouchon
Waldemar Kamer 3.3.18