Florenz: „Risurrezione“

Premiere: 17.01.2020 – Maggio Musicale Fiorentino

Megararität von Franco Alfanos

Lieber Opernfreund-Freund,

Franco Alfano ist heutzutage vor allem dafür bekannt, dass er nach dem Tod von Giacomo Puccini dessen unvollendet gebliebene Turandot unter Zuhilfenahme der Skizzen des 1924 in Brüssel verstorbenen Komponisten vervollständig hat. Dass man Alfano damit nicht gerecht wird, zeigt seine Oper Risurrezione nach dem letzten Roman von Leo Tolstoi, die gestern am Teatro del Maggio Musicale Fiorentino eine umjubelte Premiere feiern durfte.

Risurezzione (Auferstehung) erzählt die Geschichte der Gesellschafterin Katiusha im Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die junge Frau trifft auf dem Landgut seiner Tante den Fürsten Dimitri wieder, den sie seit Kindertagen kennt und zu dem sie schon im Teenageralter zärtliche Gefühle entwickelt hatte. Dimitri verführt Katiusha und zieht am nächsten Tag in den Krieg. Die bleibt allein zurück und wird von Dimitris Tante vor die Tür gesetzt, als sich zeigt, dass sie schwanger ist. Das Kind stirbt und Katiusha muss sich als Prostituierte verdingen, um zu überleben. Im Bordell wird ihr ein Giftmord an einem Freier in die Schuhe geschoben, sie wird für 20 Jahre nach Sibirien verbannt. Dimtiri empfindet Reue, als er von ihrem Schicksal hört und versucht erst, sie auf dem Weg in die Verbannung zu retten – was sie ablehnt. Schließlich erreicht er sogar eine Begnadigung. Doch Katiusha bleibt lieber in Sibirien und heiratet den politischen Gefangenen Simonson, obwohl sie Dimitri nach wie vor liebt. Am Ostersonntag, dem Fest der Auferstehung, an dem die Oper auch begonnen hatte, endet die tragische Erzählung.

1904 war die Oper in Turan uraufgeführt worden und 1929 beim Maggio Musicale Fiorentino zu sehen. Gut 90 Jahre später zeigt man nun die Produktion, die Rosetta Cucchi 2017 für das Wexford Festival Opera konzipiert hatte, dem sie seit kurzem auch als künstlerische Leiterin vorsteht. Die aus Pesaro stammende Regisseurin erzählt die Geschichte stringent und mit eindrucksvollen Bildern, deutet den Palast der Fürstin mit einem Bett, einem Schreibtisch und einem überdimensionalen expressionistischen Gemälde an und für den Bahnhof, auf dem die schwangere Katiusha auf Dimitri wartet, reicht eine Bank, ehe Cucchi sich im Frauengefängnis von St. Petersburg von Tiziano Santi ein Zwangsarbeiterlager auf die Bühne stellen lässt, in dem – von Ginevra Lombardo gespenstisch ausgeleuchtet – die Frauen als Näherinnen schuften müssen. Das triste Sibirien ist schneebedeckt vor heller Betonwand, aus dem sich zum eindrucksvollen Schlussbild ein Weizenfeld herabsenkt, in dem sich Katiusha mit ihrer Vergangenheit versöhnt. Die einfallsreichen Kostüme von Claudia Pernigotti sind der historischen Zeit entlehnt und die durchdachte Personenführung von Rosetta Cucchi tut ein Übriges, dass es ein spannender und szenisch rundum gelungener Abend wird.

Und auch musikalisch bleiben kaum Wünsche offen. Zwar überzeugt mich das Spiel von Matthew Vickers nur bedingt. Der gutaussehende US-Amerikaner verfügt über einen klangschönen und höhensicheren Tenor, mit denen er die Herausforderungen der Partie, etwa die Arie Piangi, si, piangi im dritten Akt, scheinbar mühelos meistert, doch will mich über den Graben hinweg emotional nicht viel erreichen. Das mag aber auch daran liegen, dass seine Partnerin so eine Ausnahmekünstlerin ist und er daneben darstellerisch recht blass bleibt. Anne Sophie Duprels ist eine begnadete Sängerdarstellerin und wird den Ansprüchen an veristische Rollendarstellung vollends gerecht, durchlebt die Katiusha scheinbar mit jeder Faser ihres Körpers, singt leidenschaftlich und durchdringend und spielt einfach unglaublich. Man nimmt der aus Frankreich stammenden Sopranistin jede Facette ihrer Figur ab, das naive Mädchen im ersten Akt ebenso, wie die hoffnungsvolle Schwangere im zweiten Bild oder die desillusionierte Ex-Hure in der zweiten Hälfte des Abends. Brava!

Leon Kim berührt in seinem vergleichsweise kurzen Auftritt als Simonson im letzten Akt zutiefst und zeigt nicht nur im zu Herzen gehenden Quando la vidi zahlreiche Facetten seines durchdringenden Baritons. Ganze 27 weitere Rollen verzeichnet der Besetzungszettel, die teils mit engagiert aufspielenden Chorsolisten besetzt sind. Vor allem im Ohr bleiben der dabei der gespenstisch dunkle Alt von Ana Victoria Pitts als düstere Korableva oder der farbenfrohe Mezzosopran von Romina Tomasoni, die zuerst als gestrenge Matrena Pavlovna überzeugt, ehe sie im zweiten Akt als Anna der schwangeren Katiusha am Bahnhof eine mitfühlende und aufmunternde Freundin ist und wie Anne Sophie Duprels schon 2017 in Wexford auf der Bühne stand. Der eigentliche Star des Abends steht allerdings mit dem Rücken zum Publikum. Francesco Lanzillotta kitzelt alle Nuancen aus Franco Alfanos teilweise ausufernder Partitur, die unter seiner Leitung nach einer Mischung aus Mascagni und mit ordentlich Bombast gewürztem Puccini klingt. Lanzillotta entdeckt dem Zuschauer eine vielschichtige Komposition, Alfanos Verismo ist bei ihm in besten Händen.

Auch die Damen und Herren des Chores überzeugen. Lorenzo Fratini hat sie auf ihre umfangreiche Aufgabe präzise vorbereitet und so ist die Ausgrabung dieser Rarität purer Genuss, den das Publikum am Ende des Abends mit anhaltendem und begeisterten Beifall belohnt. Ich teile diese Begeisterung unverhohlen und empfehle Ihnen bis zur nächsten Möglichkeit, dieses Werk einmal auf der Bühne zu sehen, den kommerziell auf CD erschienenen Live-Mitschnitt mit Magda Olivero, den Sie sich auch auf youtube anhören können, ehe ich Ihnen schon morgen von Alfanos berühmtester Komposition berichten kann: dem Finale zur Turandot, die ich mir in Parma gerne für Sie anschaue.

Ihr Jochen Rüth 19.1.2020

Die Fotos stammen von Michele Monasta