Straßburg: „L’amico Fritz“, Pietro Mascagni

Premiere am 24.10.2014

Mascagni hatte nach seinem Sensationserfolg der Cavalleria Rusticana nicht mehr auf der Verismo-Welle weiterschwimmen wollen, sondern folgte dem Drang der jungen italienischen Oper (giovane scuola italiana), die sich wohl unter dem Eindruck der aufkommenden Wagnermania und der „Scapigliatura“ vielfach Themen widmete, deren Handlung nördlich der Alpen spielt. Mascagni griff dabei ein Sujet der französischen Literatur aus dem damals zum Deutschen Reich gehörenden Elsass auf. Emile Erckmann und Alexandre Chatrian, französische Patrioten, die aus dem ans Reich angeschlossenen Elsass-Lothringen stammten, hatten das Schauspiel L‘“Ami Fritz“ als Schauspiel herausgebracht, welches als Grundlage für das Libretto von P. Suardon (Nicola Daspuro) und Giovanni Targioni-Tozzetti diente. Also ein französisch-germanischer Stoff für eine italienische Oper! Mascagni wendet sich in dieser Oper mit dem deutschen Titel „Freund Fritz“ bewusst vom thematischen und teilweise auch vom musikalisch-stilistischen Verismo ab und schafft eine Pastorale mit flachen Verwicklungen und einem glücklichen Ende wie in einem Lore-Roman. Nicht die Musik, sondern das Sujet und das Libretto werden heute für eine wirkungsvolle Opernaufführung nicht mehr für adäquat gehalten werden und stehen einer häufigeren Aufführung des Werks entgegenstehen. (Operabase listet vier Neuproduktionen weltweit in drei Jahren.)

Geburtstagsfeier: Mark van Arsdale (Federico), Sévag Tachdjian (Hanezò), Anna Radziejewska (Beppe), Elia Fabbian (David), Brigitta Kele (Suzel), Tatiana Anlauf (Caterina), Teodor Ilincai (Fritz Kobus)

Die etwa 90-minütige Oper spielt im 19. Jhdt. im Elsass. Der stets um neue Eheschließungen im Dorf bemühte Rabbi David Sichel gratuliert seinem „Freund Fritz“, einem überzeugten Junggesellen und reichen Gutsbesitzer, zum Geburtstag und prophezeit auch ihm die Verehelichung. Daraus entsteht eine Wette: Sollte Fritz einmal heiraten, würde er als Wetteinsatz seinen besten Weinberg an David verlieren. Suzel, die Tochter eines Pächters von Fritz, bringt diesem zum Geburtstag Blumen; beide verlieben sich ineinander. David bekommt das spitz und macht Fritz mit der Behauptung eifersüchtig, Suzel solle bald jemand anderen heiraten. (Verwicklung!) Das beschleunigt aber letztlich die Eheschließung zwischen Fritz und Suzel, David gewinnt also die Wette und den Weinberg, macht diesen aber zum Hochzeitsgeschenk für Suzel. Das Stück ist in drei Akten aufgebaut: klassisch mit den Teilen Exposition „Verwicklung“ und Auflösung. Da die Verwicklung ebenso schwach wie durchsichtig ist, hat das Stück keine innere Spannkraft und plätschert als Pastorale vor sich hin. Feine und heitere Lyrismen und viel Charme bestimmen auch die Musik, die auch ohne größere Aufwallungen bleibt.

Die Uraufführung fand am 31. Oktober 1891 im Teatro Costanzi in Rom statt. In Deutschland wurde das Werk zum ersten Mal von Gustav Mahler während seiner Intendanz am 16. Januar 1892 in Hamburg unter seiner Stabführung aufgeführt und hatte zunächst großen Erfolg, ehe es nach dem Weltkrieg wieder in der Versenkung verschwand. Das bekannteste Stück der Oper ist das duetto delle ciliegie (Kirschenduett: „Suzel buon dì“) im zweiten Akt.

Brigitta Kele (Suzel), Elia Fabbian (David)

Als Pastorale mit etlichem Lokalkolorit inszenierte Vincent Boussard das Stück nun in Straßburg. Der Handlungsort „Alsazia“ ist im Libretto texto genannt, sicherlich auch ein Grund für den Wiederbelebungsversuch gerade in Straßburg. Elsässische Weingläser und die typische irdene Terrine für den Baeckoffe („Backofen: traditioneller elsässischer Eintopf) auf dem Tisch, die Kuckucksuhr an der Wand und die (allerdings farblich nicht sehr treffsichere) Tracht der Gouvernante Caterina verorten das Geschehen so eindeutig an den Rand der Vogesen mit seinen Weinbergen, wie man es seit der zauberhaften Inszenierung des „Hans Heiling“ von Andreas May an der Straßburger Rheinoper 2004 nicht mehr gesehen hat.

Für den Amico Fritz hat der Bühnenbildner Vincent Lemaire ein etwas schlichteres Bühnenbild gebaut, das im ersten und dritten Akt den Speisesaal des Fritz Kobus zeigt, im zweiten Akt den Hof des Hauses. Die Kostüme von Christian Lacroix sind nicht so schwelgerisch wie sonst von ihm gewohnt, aber durchaus inspiriert und von schlichter Schönheit. Vervollständigt wird die ansprechende Optik durch die Lichtregie von Guido Levi und die Videotechnik von Isabel Robson, welche im dritten Akt durch Projektionen auf den Prospekt die Personen als Schemen doppelt und etwas verfremdend verzerrt. Liebenswürdige Verfremdungen werden als Stilmittel von Regisseur Vincent Boussard verwendet, die die Geschichte mit viel Humor und gutmütiger Ironie auf die Bühne bringt. Mit einem kleinen dramaturgischen Trick komprimiert er die Handlung (Einheit von Ort, Zeit und Handlung sind im Libretto nicht gewahrt, denn allein zwischen ersten und zweitem Akt liegen drei Monate: von der Blüte der Märzveilchen (viole mammole) bis zur Kirschernte; so wird aus dem Veilchenstrauß, denn Suzel dem Gutsbesitzer überreicht einen prächtigen Strauß Sommerblumen.) Als ein ausgedehntes Violinsolo von der Ankunft des Zigeuners Beppe (der hat gar keine dramaturgische Funktion; aber ein Zigeuner muss halt her;) kündet, stößt dieser mit dem Bogen die Schlagläden auf; dabei hätte man fast angenommen, das er selbst die Violine spielt.

Brigitta Kele (Suzel), Teodor Ilincai (Fritz)

Der Regisseur hält die Protagonisten auf der Bühne immer in Bewegung. Die ist zwar nicht immer stringent, sondern auch schon mal Bewegung um der Bewegung willen. So steigt das Suzel mit einem recht kleinen Flachpinsel in der Hand auf eine Leiter legt drei Farbstriche an die Hausfassade und steigt wieder hinunter, während es in der Szene eigentlich um eine Schüssel Kirschen geht. Der Zigeuner kommt auch einmal als Engel aus dem Schnürboden herunter. Fast artistisch muten Bewegungseinlagen des Fritz an; seine energische Gouvernante mischt (meist) stumm mit ewigem Grummeln die Szene auf. Ein guter Einfall ist es, bei den beiden szenisch vorgesehenen Einsätzen des Chors diesen nicht als jubelnde Landleute in Trachten auf die Bühne zu bringen. Stattdessen singt der Chor aus den beiden Seiteneingängen des Grabens und in weiteren Szenen kommentierend und grundierend aus dem Off. Nach „Neudeutung“ verlangt der Stoff nicht; die Inszenierung macht das Beste daraus: ein heiteres Pastoralspiel. Da durften sogar sechs Hühner mittun, die lautlos und friedlich pickend auf der Bühne klarmachten, dass außer Veilchen, Kirschen und Wein die Landwirtschaft auch Handfesteres erzeugen muss. Ganz traute man Hühnern aber nicht, denn mit leichtem Maschendraht war die Bühne gegen Orchester und Saal gesichert.

Brigitta Kele (Suzel), Teodor Ilincai (Fritz)

Sicher hat Mascagni von seinem um einige Jahre älteren Freund Puccini etliche musikalische Anregungen erhalten. Der phänomenale Erfolg des mit besserem Bühnengespür versehenen Puccini hat die Freundschaft zwischen den beiden stark abkühlen lassen. Mascagni hat aber mit reichlichen Tantiemen aus seiner Cavalleria bis ans Ende seines langen Lebens 1945 auch keine Not leiden müssen. Seine Nähe zum melodischen und harmonischen Duktus der Verismo-Musik à la Puccini scheint in der Amico-Partitur immer wieder auf. Aber dazu hat einen heiteren Klassizismus entwickelt, der schon in Richtung der Musik Wolf-Ferraris weist. Insbesondere diesen heiteren Ton mit seiner transparenten Instrumentierung trifft Italien-Spezialist Paolo Carignani am Pult des Orchestre philharmonique de Strasbourg ganz ausgezeichnet. Abgesehen von ein paar Verknotungen der Trompeten ganz zu Beginn folgte auch das Orchester dem Maestro in feinem, filigranem Musizieren mit vielen Farbschattierungen durch die Holzbläser. Die Partitur sieht keine rhythmisch-harmonischen Floskeln zur Solistenbegleitung vor, sondern jeweils eigene, spezifisch instrumentierte Linien, mit denen Carignani die Sänger gut zu tragen verstand. Ein schöner, satter Streicherklang dominierte das Zwischenspiel zwischen zweitem und drittem Akt. Dazu kamen etliche einfühlsam musizierte Soli wie die schon erwähnte Auftrittsvioline für Beppe sowie Flöten- und (natürlich!) Schalmeiensoli. Die (dramaturgisch wenig stringente) Rolle des Zigeuners bot dem Komponisten die Möglichkeit, noch zusätzliches Kolorit in die Partitur einzubauen. Den in kleiner Besetzung angetretenen Chor der Opéra national du Rhin hatte Sandrine Abello präpariert.

Hochzeitsfeier: Tatiana Anlauf (Caterina), Mark van Arsdale (Federico), Sévag Tachdjian (Hanezò), Anna Radziejewska (Beppe), Elia Fabbian (David), Brigitta Kele (Suzel), Teodor Ilincai (Fritz Kobus)

Ein gediegenes Solistenensemble rundete den Abend musikalisch ab. Brigitta Kele gab eine perfekte Suzel. Dazu trugen ihre anmutige jugendlich-schlanke Bühnenerscheinung und ihr reizendes Spiel ebenso bei wie ihr jugendlicher Sopran. Idealtypisch für diese Rolle die Nuancierung der Farbgebung und die warmen, leuchtenden Höhen, die Innigkeit der Lyrismen und die zurückhaltenden dramatischen Passagen. Teodor Ilincai als Fritz gefiel mit bronzenem Tenormaterial von baritonaler Eindunkelung, ohne kehlig zu wirken, und sparte nicht mit seinen kraftvoll-stahligen klaren und sicheren Höhen. Gute Textverständlichkeit paarte sich mit großem darstellerischen Einsatz. In seinen beiden Duetten mit Suzel, die nicht über die gleiche Durchschlagkraft verfügt, hätte er sich indes etwas zurücknehmen sollen. In der dritten Hauptrolle wirkte im Straßenanzug, aber mit angeklebten Schläfenlocken Elia Fabbian als Rabbiner David Sichel. Sein überaus kraftvoller Bariton zeigte in den fordernden Höhen eine gewisse Rauigkeit. Anna Radziejewska begeisterte das Publikum in der Hosenrolle des Beppe mit den betörend klaren Tiefen ihre Mezzo und schlanken gut konturierten hohen Passagen. Sévag Tachdjian mit verlässlichem Bariton als Hanezò, Tatiana Anlauf in der sehr kleinen Sopranrolle der Gouvernante Caterina und Mark van Arsdale mit schwankendem hellen Tenor als Federico rundeten in den marginalen Rollen das Tableau ab.

85 Minuten dauert das Stück: Es ist so voll von musikalischen Schönheiten, dass man über den unheilbar flachen Inhalt hinwegsehen kann. Aber auch eine so gelungene Aufführung wie diese wird das Stück nicht populär machen. Großer Beifall, rhythmisches Klatschen, allerdings in Straßburg fast die Regel. Die Oper kommt noch am 26. und 28.10, sowie am 5. und 7.11. im Opernhaus in Straßburg und danach noch am 21. und 23. November in der Filature in Mülhausen.

Manfred Langer, 29.09.2014
Fotos: Alain Kaiser

CD-Tipp: Live-Aufnahme Deutsche Oper Berlin 2008; unsere CD-Besprechung