Lüttich: „Il trovatore“

Premiere: 16.09.2018, besuchte Vorstellung: 22.09.2018

…wie aus dem Bilderbuch

Lieber Opernfreund-Freund,

einen „Trovatore“ wie aus dem Bilderbuch präsentiert derzeit die Opéra Royal de Wallonie-Liège. Wieder einmal beweist das Lütticher Haus, dass konventionelle Lesart keineswegs Langeweile bedeuten muss, und zeigt ein packendes dunkles Drama um Eifersucht, Liebe, Rache und Hass, bei dem einfach alles stimmt.

Regisseur Stefano Vizioli erzählt die wirre Story stringent – und das allein ist ja schon Kunst genug. Zwar verliert sich der Italiener bisweilen in ein wenig Rampengestehe während der Duette, zeigt aber gerade in den Massenszenen und bewundernswerterweise auch in den Situationen, in denen ein Protagonist alleine auf der Bühne ist, eine lebendige Umsetzung, die keine Langeweile aufkommen lässt. Vizioli bemüht sich nicht um psychologisch ausgetüftelter Deutung von „El Trovador“ des Spaniers Antionio García Gutiérrez aus dem Jahr 1836, das Verdi 17 Jahre später zusammen mit dem Librettisten Salvatore Cammarano zum „Trovatore“ formte, er lässt die Bilder für sich sprechen – und das ist in diesem Fall kein schlechter Rat, denn der eigentliche Star der Szene am gestrigen Abend ist die Szene selbst.

Das ausgetüftelte Licht von Franco Marri ist dermaßen stimmungsvoll und auf den Punkt, erschafft Bedrohung und Beklemmung, wird zum Spiegel der Seele der Protagonisten und verwandelt durchsichtigen Chiffon in einer Sekunde in undurchdringlich wirkende Mauern – bravourös! Den Bühnenaufbau bilden zwei dreieckige, an Rampen erinnernde Versatzstücke, die beliebig hin und her geschoben und gedreht werden können, mal Treppe und mal Rammbock sind, den Raum öffnen oder begrenzen und das Bühnenbild so immer wieder neu und variantenreich erscheinen lassen. Er stammt wie die durchweg gelungenen Kostüme, die einen förmlich ins Spanien des beginnenden 15. Jahrhunderts ziehen, von Alessandro Ciammarughi, der wesentlichen Anteil daran hat, dass Stefano Vizioli dieser Wurf gelingen konnte, der in Kooperation mit dem Teatro Lirico Giuseppe Verdi in Triest entstanden ist.

Und auch der künstlerische Teil des Abends bietet wenig Anlass zur Klage. Zwar klingt mir Yolanda Auyanet in den ausbruchsartigen Höhen mitunter ein wenig scharf und bemüht, die spanische Sopranistin mit dem warmen und verführerischen Timbre in der Mittellage versöhnt mich aber immer wieder mit ihren engelsgleichen Pianobögen und auch darstellerisch ist sie als Leonora ein Gewinn. Die Bühnenpräsenz des Italieners Mario Cassi ist überwältigend und auch sein kraftvoller Bariton zeigt eindrucksvoll alle Farben des Grafen Luna, der zwischen Liebe und Hass schwankt. Fabio Sartoris Tenor verfügt über eine wahnsinnige Strahlkraft. Er zeigt als Manrico gerne und oft seine bombensichere Höhe, beschränkt sich bei der Rollengestaltung allerdings nie auf reine Kraftmeierei sondern liefert auch in den leisen Momenten mit Gefühl und Schmelz in der Stimme ein überzeugendes Rollenportrait. Luciano Montanaro ist ein solider Ferrando, während Julie Bailly mit ihrem frisch klingenden Mezzo Leonora eine verlässliche Freundin ist. Fehlt nur noch sie: die Zigeunerin. Eigentlich wollte Verdi die Oper ja nach ihr „Azucena“ nennen – und ich bin mir sicher, hätte er gestern Violeta Urmana in dieser Partie gehört, er hätte es getan. Die aus Litauen stammende Sängerin ist eine Art Chamäleon, startete ihre Karriere im Mezzofach, ehe sie vor 15 Jahren erfolgreich ins dramatische Sopranfach wechselte. Und nun findet sie zurück zu ihren Wurzeln, tritt dermaßen überzeugend als Azucena auf, singt und spielt so umwerfend, intensiv und kraftvoll, dass es einen förmlich in den Sessel drückt. Dabei bleibt sie nie eindimensional und zeigt unzählige Nuancen ihrer wundervollen Stimme. Ein Erlebnis!

Verdiopern sind oft chorszenendurchwirkt und auch beim “Trovatore“ spart der Maestro aus Roncole nicht mit so anspruchs- wie effektvollem Choreinsatz, den die Damen und vor allem die Herren unter der Leitung von Pierre Iodice bravourös meistern. Daniel Oren am Pult lässt puren Verdiklang aus dem Graben tönen. Seine abwechslungsreichen Tempi lassen die oft gehörten Melodien immer wieder neu erscheinen und so wird es auch klanglich ein eindrucksvoller und frischer Abend, den ich Ihnen unumwunden empfehlen kann. Wer den Weg nach Lüttich scheut, der kann sich die gestrige Aufführung auch im Web anschauen. France.tv hat die Aufführung live im Internet übertragen und dort kann man sie hier noch abrufen.

Ihr Jochen Rüth 23.09.2018

Fotos © Opéra Royal de Wallonie-Liège