Chemnitz: „Fidelio“

Besuchte Vorstellung am 29. Mai. 2019 (Premiere: 25. Mai 2019)

Eine Inszenierung zum Nachdenken

Die Oper Chemnitz hatte zur zweiten Aufführung ihrer leider wenig beachteten klugen und sensiblen Fidelio-Inszenierung eingeladen, um das desaströse Bild der Stadt in den Medien etwas gerade zu rücken. Eventuell wollte das Haus einen Beitrag zur Deutung des Wahlverhaltens vieler Sachsen am letzten Wochenende leisten.

In einer beliebigen Bananenrepublik unserer Tage ist das Mitglied der Oberklasse Florestan verschwunden. Seine Ehefrau Leonore nutzt skrupellos alle Möglichkeiten, um ihren Mann aufzuspüren und der Gesellschaft zurückzugeben. Da ist für sie auch legitim, in der Verkleidung als Fidelio die Treuherzigkeit des Gefangenenwärters Rocco zu missbrauchen, seine Tochter Marzelline verliebt zu machen und sogar eine Eheschließung vorzubereiten.

Soweit wirkt die Inszenierung von Robert Lehmeier mit ihrer guten Personenführung fast konventionell. Den ersten Akt mit der Vorbereitung einer Grillparty zu verbinden, bis dann die robusten Personenschützer des Pizarro die Bühne übernehmen, ist nicht besonders originell. Aber dass Lehmeier die Geschichte aus der Sicht Marzellines erzählen lässt, fand ich als Zuhörer angenehm. Denn die oft von Sängern gestammelten Rezitative und Dialoge zwischen den Musiknummern waren gestrichen. Stattdessen wurden die Reflexionen der jungen Frau von der guten Schauspielerinnenstimme Christine Gabsch aus dem “Off“ (so die nette Mitarbeiterin im die Einführungsvortrag) eingesprochen.

Lehmeiers Inszenierung schien sich damit auf die eigentlichen Verlierer des Geschehens, nämlich Marzelline, Rocco und Jaquino zu bewegen, als die Robert-Schumann-Philharmonie unter der beeindruckenden Leitung des „assistierenden Kapellmeisters“ Jakob Brenner mit der Leonoren-Ouvertüre Nr. 2 (von 1805), einem musikalischen Höhepunkt des Abends, das Finale vorbereitete.

Der Vorhang öffnete sich und statt der bis zu dieser Phase des Geschehens dunklen Farben überraschte Robert Lehmeier sein Publikum mit einem vorwiegend vertikal angeordnetem gewaltigen Statisterie-Aufgebot in bunter „Verkleidung“, fast regungslos nur mit einer der Pantomime entlehnten Armbewegung.

Vor diesem offensichtlich desinteressierten aber auch unbeachteten statischen Winke-Volk lässt Lehmeier die berühmte Schlussszene als „Friede-Freude-Eierkuchen“ in zugegebenermaßen hoher musikalischer Qualität ablaufen, indem sich der Minister, Leonore und Florestan mit Chorbegleitung gegenseitig befeiern. Dazu am rechten Bühnenbereich die „Verlierer“ Marzelline, Rocco und Jaquino.

Ein Opernschluss, der mir regelrecht im Halse stecken geblieben ist, denn sind nicht die wahren Verlierer jene, die nicht aus ihrer Beteiligungslosigkeit herausfinden?

Bei jedem unserer Abstecher nach Chemnitz hat uns die Qualität, wie dort musiziert und gesungen wird, gefallen. Die Robert-Schumann-Philharmonie überzeugte wieder als aufmerksamer Sängerbegleiter.

Eine sängerisch-schauspielerisch auch emotional bewegende Leistung bot die Koreanerin Guibee Yang vom Hausensemble als Marzelline. Spröder und gewollt distanzierter war als stimmgewaltige Leonore die finnische Sopranistin Pauliina Linnosaari zu erleben. Der Petersburger Viktor Antipenko ist seit seinen Einsätzen im "Ring" für das Haus ein häufiger und zuverlässiger Tenor-Gast. Stimmgewaltig erwies sich gleichfalls der ungarische Gast Kristián Cser in der Rolle des Pizarro. Über derart zuverlässige Ensemblemitglieder wie Magnus Piontek (Rocco) und Siyabonga Maqungo (Jaquino), verfügt auch nicht jedes Opernhaus. Florian Sievers als erster Gefangener und André Eckert sowie Andreas Beinhauer vervollständigten die Sänger-Riege.

Thomas Thielemann

Bildautor: Nasser Hashemi