Aufführung am 16. 3.2017
Mit stupender Beharrlichkeit geht es der Operette seit einiger Zeit ans Leder, häufig wird sie als überlebt diffamiert, ihr gar ein Tod auf Raten prophezeit. Diesen Schwarzsehern boten nunmehr der renommierte Komponist Benjamin Schweitzer und dessen Librettist Constantin von Castenstein eine Steilvorlage, indem sie der gescholtenen Gattung mit ihrer jüngsten Schöpfung quasi ein Begräbnis erster Klasse bereiteten. Als Ausgangspunkt dienten ihnen die diversen Finanzcrashs unserer Tage, und somit gewähren sie ihren beiden historisch belegten Anti-Helden John Blunt und George Caswall eine Art Zeitreise, die die beiden Gauner aus der Gegenwart, hernach assistiert von den Damen Pandora und Lady Hamilton, nach England (18. Jahrhundert) und Holland (17. Jahrhundert) katapultiert, wo sie als Chefs der South Sea Company und später mit der von ihnen initiierten Tulpen-Blase samt den auf sie Setzenden beträchtlichen Schiffbruch erleiden.
Bertolt Brecht und Kurt Weill hätten sich gewiss mit Vergnügen auf eine solche Vorlage gestürzt. Leider führt uns die als Uraufführung in Chemnitz herausgekommene „Operette“ schmerzlich vor Augen, dass deren Autoren weder dem gewieften listigen Augsburger noch dem in allen musikalischen Sätteln beheimateten Dessauer das Wasser reichen können. Bevor wir an den titelgebenden zarten Geschöpfen Floras schnuppern können, müssen wir einen sich ziemlich atonal gebenden 1. Akt überstehen, dem auch das letzte Quäntchen eines nur ansatzweise überzeugenden musikalischen Einfalls abgeht. Nach der Pause schleichen sich dann einige für das Orchester dankbare spätromantische Reminiszenzen in das ermüdende Klangbild ein, soll sich eine bemühte Parodie auf Leporellos Registerarie witzig ausnehmen. Dieser minimale Ausflug ins Unterhaltsame wurde jedoch umgehend mit einem sich bis zum Geht-nicht-mehr dahinschleppenden Holzschuhtanz in sein Gegenteil verkehrt. Verbürgte historische Persönlichkeiten lassen sich z. T. nur identifizieren, wenn man die damit betrauten Darsteller seit Jahren von der Bühne her kennt.
„Wer die Operette liebt, wird sich an den witzigen Dialogen und einigen hinreißenden musikalischen Zugnummern erfreuen, aber auch erfahren, was Operette noch alles kann.“ (Benjamin Schweitzer). Schade nur, wenn dem Rezensenten besagter Witz weitgehend verborgen blieb, er die sogenannten Zugnummern suchte wie die Nadel im Heuhaufen und konstatieren musste, was die Autoren alles (noch) nicht können. Immerhin darf man den Chemnitzer Theaterleuten eine Aufführung attestieren, die alles unternahm, diesem zweifelhaften Musenkind zumindest einen Achtungserfolg zu bescheren.
Regisseur Robert Lehmeier zeichnete gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Tom Musch für eine Inszenierung verantwortlich, die ein bestens funktionierendes Theater auf dem Theater gewährte, die Möglichkeiten der Drehscheibe raffiniert einbezog und alle Darsteller, einschließlich der von Stefan Bilz einstudierten Damen und Herren des Chores, zu, soweit dies die Vorlage einräumte, plausiblen Aktionen anregte. Die historisch fein nachempfundenen Kostüme steuerte Ingeborg Bernerth bei. Auch Choreograph Danny Costello legte Wert auf rasanten tänzerischen Einsatz, bei dem erwähnten Holzschuhtanz allerdings ein aussichtsloses Unterfangen.
Zu den Positiva zählte ferner das beispielhafte Engagement aller Solisten für eine kaum zu gewinnende Schlacht. So gaben Reto Raphael Rosin und Andreas Kindschuh als die beiden Finanzjongleure zwei ausgebuffte Schlitzohren, die das Negative der Figuren beträchtlich in den Hintergrund drängten und ihre musikalisch unergiebigen Aufgaben mit Spielwitz konterten. In den Part der Lady Hamilton teilten sich seit der Premiere Sophia Maeno (Gesang) und Sylvia Schramm als Darstellerin. Als aparte Pandora gefiel Sylvia Rena Ziegler. Hans Gröning präsentierte sich mit rauhem Bariton als Sir Harley und Peter Stuyvesant. Vertretern des hauseigenen Ensembles blieben zahlreiche kleinere Parts vorbehalten. Als stummer Gast gewann die königliche Hündin Hariett Lady of Orplid die ungeteilte Sympathie des Auditoriums. Ekkehard Klemm, gebürtiger Chemnitzer und ausgewiesener Anwalt zeitgenössischer Musik, hatte die musikalische Leitung übernommen und waltete mit beispielhafter Sorgfalt seines, in diesem Fall gewiss nicht überregionalen Erfolg verheißenden Amtes.
Gewiss bedeutete die Klassifizierung dieser „Südseetulpen“ als Operette einen gehörigen Etikettenschwindel. Es wäre jedoch voreilig, Misslungenes mit dem Tod der Gattung gleichzusetzen.
Biulder (c) Theater Chemnitz / Dieter Wuschanski
Joachim Weise 26.3.2017
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