Zürich: „Die Csárdásfürstin“

Ach, sie klangen alle so vielversprechend, die Gedanken des Regisseurs Jan Philipp Gloger zu seiner Inszenierung der CSÁRDÁSFÜRSTIN, welche man im Programmheft und im Magazin des Opernhauses Zürich nachlesen konnte. Kálmáns kurz vor dem ersten Weltkrieg begonnene und in den ersten Kriegsjahren vollendete Operette handelt tatsächlich von und in einer Welt, welche buchstäblich am Abgrund tanzt, über ihre Verhältnisse lebt und ins Verderben rennt. Ganz nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Gloger nun interpretiert diesen Tanz auf dem Vulkan als „Kreuzfahrt in den Untergang“, mit Anspielungen auf den Untergang der Titanic und dessen Verfilmung durch James Cameron – mit umgekehrten Vorzeichen, die Frau ist hier die „Arme“ und der Mann der „Reiche“. Die Jeunesse dorée hat sich also auf eine Luxusjacht abgesetzt, cruist über die Weltmeere, lässt Alkohol in Strömen fliessen, befindet sich im Dauerrausch, wie wenn es kein Morgen gäbe.

Der Text von Leo Stein und Beló Berbach gibt dies alles tatsächlich her (mit geringfügigen Änderungen). In der Sichtweise von Gloger sind die Männer der Handlung vor allem eins: Sie sind Schweine. Triebgesteuert, frauenverachtend, chauvinistisch. Natürlich haben sie auch kein Umweltbewusstsein, leere Flaschen, Plastikbecher, Zigarettenpackungen werden achtlos ins Meer geworfen. Das Personal wird hochnäsig behandelt, einheimische Prostituierte werden mittels Ruderboot von einem Zuhälter an Bord gebracht, taugen gerade mal für einen blow job und einen Klaps auf den Hintern und werden mit billigen Minions- und Micky-Maus-Handpuppen abgespeist anstelle einer anständigen Bezahlung für die Dienste. Das Geld hat natürlich der Zuhälter für sich eingestrichen. Halt gemacht wird auf einer Südseeinsel, wo sich Edwin und Sylva in einer absurden Zeremonie ein Heiratsversprechen geben. Doch die Katasprophe nimmt ihren Lauf, die Natur wehrt sich gegen die Klimaerwärmung und die Vermüllung, das Schiff erleidet Schiffbruch. Das Personal sinkt auf den Meeresgrund, die „Reichen“ werden vom Milliardärs-Papa mittels Helikopter gerettet, die Chansonnette Sylva ist dem Papa jedoch nicht genehm. Schliesslich kommt auch Edwin doch wieder auf den aus dem Ozean ragenden Bug der Jacht zurück, die Wolken dräuen, die Jacht gelangt irgendwie in den Weltraum, die letzten Überlebenden, die beiden Paare Sylva-Edwin und Boni-Stasi durchleben einen Aschenregen, die Erde explodiert, sie landen bei den Marsmenschen, die sich jedoch bald kopfschüttelnd von den immer noch champagnerseligen beautiful people abwenden. Kopfschüttelnd sitzt man am Ende auch im Zuschauersaal, man hatte eine Mischung aus Tagesschau und Heute Show erlebt, fuhr in den pausenlosen zwei Stunden an Inuit auf schmelzenden Eisschollen vorbei, durchlebte die Sintflut 1:1 mit putzigen, tanzenden Tierpaaren, die sich schliesslich am Plastik zu Tode frassen, sah pseudofolkoristische Tänze der Bewohner der Südseeinseln, ein Gummiboot mit Flüchtlingen (?) schwamm unbemerkt vorbei und ein U-Boot tauchte auf.

Man begegnete selbst Noah mit Leierkasten, der ein Couplet aus der Kálmáns Operette DIE FASCHINGSFEE vor dem Vorhang zum besten gab, inklusive neu eingefügter Corona-Strophe. Operette darf und soll überzeichnen, keine Frage. Doch den ständig erhobenen moralischen Zeigefinger braucht ein intelligentes Publikum nicht. Es ist klar, coronabedingt konnte der Chor nicht auf der Bühne agieren (der Platz auf der Jacht wäre dazu sowieso nicht ausreichend gewesen…). Tanz bekam man jedoch in gewitzten Choreografien (von Melissa King) durchaus zu sehen. Da die neun Tänzer eine eigene, geschlossene Infektionsgruppe bilden, ist das glücklicherweise auf der Bühne erlaubt. Nicht alles war natürlich misslungen, die Personenführung und die Charakterisierung der fünf Protagonisten innerhalb des Konzepts war vorzüglich, einleuchtend und differenziert gehalten,- ja es reichte manchmal gar zum Schmunzeln. Die Bühne von Franziska Bornkamm sah eigentlich sehr gelungen aus (aber nicht unbedingt für dieses Werk), die Kostüme von Karin Jud wirkten teils herrlich geschmacklos (Boni), wie es eben oft für diese Art von High Society passt.

Nun hätte der Abend eigentlich zumindest musikalisch zünden sollen, tat er aber nicht. Das knüppeldick aufgetragene Moralisieren legte sich scheinbar bleischwer auf die Sänger, obwohl Lorenzo Viotti am Pult der Philharmonia Zürich mit Schmiss und Feuer leitete. Die eingängigen, wunderbaren Melodien aus Kálmáns Feder wirkten trotzdem im Saal oft zu melodramatisch und zu depressiv. Vielleicht lag es daran, dass (wie beim BORIS letzten Sonntag) das Orchester wegen der Corona-Auflagen nicht im Graben spielen durfte, sondern mittels ausgeklügelter Technik live aus dem Probesaal zugeschaltet wurde. Präzision ist natürlich immer wichtig, doch scheint mir, dass bei einer Operette das Timing ganz besondes entscheidend ist. Und hier schien auf der Bühne eine gewisse lähmende Angst vorzuherrschen, dass Einsätze nicht kongurent sein könnten, was sich dynamisch in einer gewissen Verhaltenheit (und Bravheit) des Gesangs ausdrückte. Darstellerisch blieben jedoch keine Wünsche offen. Annette Dasch als Sylva sang und spielte sich ausgezeichnet durch das Stück, Lebenslust und Verzweiflung wechselten sich ab, Pavol Breslik setzte seinen wunderschön timbrierten Tenor mit Schmelz ein und gab einen zwischen Melancohlie und ungestümem Übermut schwankenden Edwin.

Spencer Lang war der lebenslustig Boni, der alles, was das High life zu bieten hat, unbeschwert reinhzieht und Rebecca Olvera zeichnete ein differenziertes Porträt der hysterischen, leicht fatalistischen Stasi. Martin Zysset brillierte als nicht so ganz in Würde alternder Feri.

Es ist zu hoffen, dass sich die musikalische Verhaltenheit (eventuell der Premierennervosität und den erschwerenden Rahmenbedingungen wegen der Pandemie geschuldet) im Verlauf der Vorstellungen noch legen wird. Die Reaktion des Publikums war jedenfalls überaus freundlich, mit viel Applaus für Solisten, Dirigent und Orchester, das diesen über Videoleinwand aus dem Probesaal entgegennahm.

Fazit: Das so genannt „leichte“ Genre der Operette ist halt eben doch sehr „schwer“ umzusetzen!

Kaspar Sannemann, 27.9.2020

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