Zürich: „Iphigénie en Tauride“

Vorstellung am 23.02.2020

Auch drei Wochen nach der Premiere hat diese Produktion nichts an bezwingender, konzentrierter und albtraumhafter Kraft eingebüsst – im Gegenteil. Denn auch beim zweiten Besuch dieser Inszenierung des Hausherrn Andreas Homoki in der passend zum Stück düster-unheimlichen Ausstattung durch Michael Levine wird man sofort hineingezogen in die Spirale von Träumen, Gewalt und nur teils geglückter Katharsis. Die Besetzung war natürlich dieselbe, wie anlässlich der Premiere, mit einer gewichtigen Ausnahme, denn Birgitte Christensen (in den ersten Vorstellungen noch als Göttin Diane zu erleben) hat jetzt die Titelrolle von Cecilia Bartoli übernommen. Es geht nun nicht darum zu evaluieren, welche der beiden Künstlerinnen "besser" war. Denn beide wussten und wissen das Beste aus ihren unterschiedlichen stimmlichen Voraussetzungen für ihre Rollengestaltung der Iphigénie herauszuholen. Frau Christensen kann dabei auf ihre Erfahrungen sowohl in den dramatischen Partien des Mozartfachs (Donna Anna, Vitellia) als auch in den zentralen Rollen des italienischen Repertoires (Violetta, Elisabetta, Liù, Aida) und des Barock (Alcina, Alceste) zurückgreifen. Und so legt sie auch die von Albträumen heimgesuchte Iphigénie an. Bereits in der die Oper eröffnenden Sturmszene kommt ihre sicher geführte Sopranstimme mit dramatischer Kraft zur Geltung, die Szene wird auch dank der erneut bestechend sicheren Einwürfe des Damenchors zu einem ersten Höhepunkt des Abends, gefolgt von der berührend gestalteten Arie O toi qui prolonges mes jours. Im zweiten Akt ergibt sich diese wunderbare Konstellation erneut, nämlich bei der "Heimwehklage" der auf Tauris festgehaltenen griechischen Priesterinnen und Iphigénies Trauer über die Auslöschung ihrer Familie (O mlaheureuse Iphigénie!).

Der dritte Akt gehört grösstenteils den beiden in tiefer Liebe verbundenen Freunden Oreste und Pylade, welch von Stéphane Degout und Frédéric Antoun erneut mit famoser Rollengestaltung verkörpert werden, Degout ist der sich wegen seiner Schuld und den den ihn verfolgenden Eumeniden in hochdramatische Ausbrüche steigernde Oreste, Antoun spendet mit seinem wunderbar timbrierten Tenor balsamischen Trost und zeigt heroische Aufopferungsbereitschaft. Ganz stark ist Birgitte Christensen dann erneut im vierten Akt, wo sie in ihrer grossen Arie Je t’implore et je tremble ihrer Verzweiflung Ausdruck gibt, weil sie ihrem brutalen Amt (als strandende Fremde zu schlachtende Priesterin) nicht mehr gewachsen ist. Erneut findet Frau Christensen hier zu berückend gestalteten Passagen voll glühender Intensität. Die Bitten (erneut mit Unterstützung des herausragend singenden Damchors) finden schliesslich Gehör bei der Göttin Diana, welche, gesungen von Justyna Bluj (kündigt sich hier bereits erneut eine Iphigénie an?), mit wohldosierter Dramatik und autoritärer Durchschlagskraft den schuldbeladenen Bann über das Geschlecht der Atriden aufhebt. Allerdings vertraut Homoki dem Happyend nicht so ganz, wie in meiner untenstehenden Rezension der Premiere nachzulesen ist.

Kaspar Sannemann, 24.2.2020

Bilder siehe Erstbesprechung unten!