Zürich: „Le Comte Ory“

Vorstellung am 16.01.2022

Wenn ich meine Rezension der Premiere von Rossinis zweitletzter Oper LE COMTE ORY von vor fast genau elf Jahren durchlese, kann ich es kaum fassen, dass ich damals so begeistert war. Natürlich bin ich älter geworden (hoffentlich auch reifer …), finde eventuell nach zwei Jahren Pandemie und #metoo Debatte auch nicht mehr alles Boulevard – und Zotenhafte lustig, habe mehr Lust auf wirkliche Ausgrabungen aus dem reichhaltigen Fundus der Operngeschichte. Denn dieses Konglomerat oder Pasticcio aus früheren Werken Rossinis überzeugt mich nicht (mehr). Dafür können die Ausführenden selbstredend nichts, sie gaben ihr Bestes. Zugegebenermassen musste ich im Verlauf des Abends auch ein paarmal schmunzeln, doch so richtig lustig ist sie eigentlich nicht, die Geschichte über den übergriffigen, dauergeilen Grafen Ory, der Frauen jeden Alters reihenweise flachlegt, und am selbst Ende genasführt wird, vermag höchstens ein müdes Lächeln auszulösen. Musikalisch weist das Werk neben pointierten rossinischen Perlen doch auch einige Längen auf. Trotz der wirklich einfallsreichen und stimmigen Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier im herrlich detailverliebten Bühnenbild von Christian Fenouillat, welche für diese Wiederaufnahmenserie sorgfältig neu einstudiert wurde und mit grosser Spielfreude des Ensembles und des Chores aufwartete, vermochte die Aufführung nur streckenweise zu fesseln.

Wie gesagt, die Ausführenden auf der Bühne und im Graben machten nichts falsch: Mit gekonnt platzierten Akzenten, mechanischer Räderwerkmusik, subtilen accelerandi und organischen crescendi setzte die Philharmonia Zürich unter der schwungvollen Leitung von Victorien Vanoosten Rossinis Partitur um. Von der ursprünglichen Premierenbesetzung sind Liliana Nikiteanu als umwerfend komische Ragonde und Rebeca Olvera als mit herrlichen Koloraturen und wunderschönen Spitzentönen auftrumpfender Page Isolier übrig geblieben. Oliver Widmer als Orys Gehilfe Raimbaud war ebenfalls bereits 2011 mit dabei. Neu besetzt sind Graf Ory, die Gräfin Adèle und der Gouverneur. Edgardo Rocha glänzte als Ory mit fantastischer szenischer und stimmlicher Präsenz, blieb der hohen Tessitura dieser tenore di grazia Partie nichts an Geschmeidigkeit und Höhensicherheit schuldig. Klasse! Auch Brenda Rae als Adèle glänzte mit stupenden Koloraturketten, agiler Stimmführung, vorgetäuschter Schwermut und herrlichem Spiel. Man muss in dieser Oper zwar relativ lange auf den Auftritt der weiblichen Hauptfigur warten, doch dieser Auftritt (eher eine Anfahrt) im 2CV hatte es in sich. Andrew Moore stattete den Gouverneur mit wendigem Bass aus, seine grosse Arie im ersten Akt ein Hochgenuss. Vortrefflich gelang das a cappella concertato des gesamten Ensembles im ersten Akt.

Es ist verständlich, dass man die 2011 so erfolgreiche Produktion ab und zu wiederaufnimmt. Die bis ins letzte Detail in Kostümen und Bühne genau die Nachkriegsjahre in einer französischen Kleinstadt zeichnende Inszenierung ist schon sehenswert. Mit einer Neuproduktion des Werks kann man aber getrost wieder mindestens 30 Jahre ins Land ziehen lassen (so lange dauerte es von der Produktion aus der Ära Drese bis zu der Premiere von 2011, die in die letzte Spielzeit Pereiras fiel). Es warten unzählige weitere Schätze (auch komische Opern), die es aus den weit über 100’000 komponierten Bünenwerken zu heben gilt.

Die nächste Rossini-Premiere steht übrigens bald bevor, am 6. März wird L’ITALIANA IN ALGERI präsentiert, erneut eine Opera buffa aus der Feder des Vielschreibers Rossini. Zudem wird auch IL TURCO IN ITALIA im Februar wieder aufgenommen. Die Liebhaber der komischen Opern Rossinis werden also (zu?) sehr verwöhnt.

https://www.oper-aktuell.info/kritiken/artikel/zuerich-le-comte-ory-16012022.html

Kaspar Sannemann 18.1.2022

Bilder © Toni Suter