Vorstellung am 05.06.2019
Kunsinstallation statt lebendiges Musiktheater
Auf RobertWilsons Inszenierung von Bellinis NORMA muss man sich einlassen wollen, denn es handelt sich eher um eine Kunstinstallation als um eine Inszenierung des dramatischen Geschehens.
Aber wenn man sich der besonderen Ästhetik des Lichts, des Raums, der Kostüme und den von Wilsons Arbeiten gewohnten stilisierten Bewegungen hingibt, eröffnen sich dem Zuschauer ganz eigentümliche, singuläre und gar auch sinnliche gedankliche Räume und Assoziationen. Dabei muss man nicht jede Metapher des Wilsonschen Konzepts verstehen wollen. Es reicht offen zu sein und sich der Schönheit der Bilder zu ergeben, denn sie nehmen den beinahe transzendentalen Fluss der langen, langen Melodiebögen Bellinis auf, versetzen den Zuschauer/Zuhörer quasi in einen tranceähnlichen Zustand – und so wird der Abend trotz fehlender emotionaler „Action“ auf der Bühne nie zu lang. Um diesen Zustand zu erreichen, braucht es natürlich eine adäquate musikalische Unterstützung aus dem Graben und von den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne. Im Gegensatz zu meinen Eindrücken von der Premiere 2011 trat das Wunder des Wilsonschen Gesamtkunstwerks nun 2019 ein. An erster Stelle ist die Sängerin der höchst anspruchsvollen Titelpartie zu würdigen: Maria Agresta bringt mit ihren fantastischen vokalen Möglichkeiten alles mit, was die Gefühlswelt der Norma benötigt. Sie kann resolut sein, aber auch empfindsam zart, rasen vor Wut und Eifersucht, aber auch verzweifelt lieben. Ihre Piani sind nicht von dieser Welt, wunderbar zart und sauber hingetupft, doch tragfähig bis in die hinterste Reihe des zweiten Ranges (wo ich sass). Dabei legt sie ihre Stimme perfekt auf den Atem, singt die langen Bögen mit einer unglaublichen gestalterischen Eingebungskraft, kann Töne unfassbar lange und sauber halten. Stupenda!!!
Als römischer Feldherr Pollione debütiert der sich auf dem Sprung zur ganz grossen Karriere befindliche Tenor Micheal Spyres. Seine Stimme vermochte vor allem in der Mittellage und den tieferen Regionen mit markantem, virilem Timbre zu begeistern. In den höheren Lagen (vor allem in der Auftrittskavatine Meco all’altar die Venere) drohte seine Stimme nach hinten zu rutschen, was zwar der Intonation nicht schadete, doch die Klangfarbe leicht unangenehm veränderte. Allerdings war dann das, was er in der darauf folgenden Cabaletta ablieferte unglaublich virtuos, biegsam und höhensicher. Anna Goryachova sang eine sehr bodenständige Adalgisa. Ihr leicht metallisch gefärbter Mezzosopran war für die Rolle der jungen Priesterin vielleicht eine Spur zu reif – und doch gerieten die Duette mit Norma zu den Höhepunkten des Abends. Zum Niederknien schön. Ildo Song sang mit profundem Bass einen warmstimmigen Oroveso, Thobela Ntshanyana liess in der kleinen Rolle des Flavio mit herrlichen Spitzentönen aufhorchen und Irène Friedli sang eine starke Clotilde. Am Pult stand GMD Fabio Luisi. Ihm gelang es hervorragend zusammen mit der Philharmonia Zürich den Spannungsbogen über den gesamten Abend aufrechtzuerhalten, klar zu strukturieren, zu formen, leuchtende Soli der exzellenten Holzbläser hervorzuheben. Eine runde Sache – die an wenigen Stellen durch den etwas schleppenden Chor der Oper Zürich leicht ins Wackeln geriet. Fazit: Lohnenswert!
Kaspar Sannemann 11.6.2019
Bilder (c) Susanne Schwierz