Zürich, Konzert: „Philharmonia Zürich“, Rachmaninow

Mit einem auf vier Abende angelegten Konzert-Zyklus gedenken das Opernhaus Zürich und die Tonhalle-Gesellschaft Zürich des 150. Geburtstages von Sergej Rachmaninow. Diese Konzerte werden von den jeweiligen Chefs geleitet, Gianandrea Noseda von der Philharmonia Zürich (dem Orchester des Opernhauses) und Paavo Järvi vom Tonhalle-Orchester Zürich.

Den Anfang m:chten gestern Vormittag Gianandrea Noseda mit der Philharmonia Zürich. Als Solisten für Rachmaninows 3. Klavierkonzert hatte man den Starpianisten Yefim Bronfman eingeladen – was für eine superbe Wahl! Bronfman brillierte in diesem so überaus anspruchsvollen Werk, wohl dem schwierigsten aus Rachmaninows Schaffen, mit ganz dem Werk dienender differenzierter Gestaltungskraft, ohne pianistische Eitelkeiten oder selbstgefällige Zurschaustellung seines immensen Könnens. Mit wunderbar getragenem schlichten Cantabile stieg er mit dem Hauptthema in den ersten Satz ein, den Blick immer wieder auf den Dirigenten und ins Orchester gerichtet und so höchste Präzision im Zusammenspiel erlangend. Bronfam erreichte durch seine Anschlagstechnik und die ausgefeilte Dynamik einen wunderbar gerundeten Klang, spielte die vertracktesten Fingersätze mit einer Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit, die erstaunte. Emphasen, wellenartig aufgebaut, führten vom Piano ins Fortissimo und wieder zurück, die Melodieführung blieb stets klar hervorgehoben. Die Wucht der Kadenz mit den gewaltigen, immer schneller in der Abfolge dahinrauschenden Intervallsprüngen und sich verdichtenden Akkorden, fuhr gewaltig ein, wirkte jedoch nie als selbstverliebte Eitelkeit des Virtuosen. Fast träumerisch gelang dank der aufmerksamen und „mitatmenden“ Orchesterleitung Nosedas die Rückkehr nach der Kadenz ins gemeinsame Musizieren mit dem Orchester in ausdrucksintensivem, gehaltvollem Piano.

Nach der schwermütigen Einleitung durch Oboe und Streicher nahm Bronfman am Klavier das Thema feinfühlig auf und wandelte es gekonnt ins Friedvolle, Tröstende. Komplexe solistische Verarbeitungen des Themas gestaltete der Pianist mit aufwühlender Empfindungskraft, führte nach ausladenden Exkursen zurück zum Hauptthema. Extreme Virtuosität demonstrierte Bronfman im Finalsatz, türmte rasende Akkordkaskaden und pianistische Wogen auf (blieb dabei äußerlich jedoch die Ruhe selbst!) und liess selbst in dichtesten Passagen gekonnt das Hauptthema aufschimmern. Mit weit ausholender Klangsinnlichkeit kulminierte das Konzert mit perfekt akzentuierten Läufen, Kaskaden und Akkordfolgen – der erlösende Jubel des Publikums im ausverkauften Saal feierte die Ausführenden enthusiastisch. Natürlich wurde eine Zugabe erklatscht, Bronfman spielte das Nocturne in Des-Dur op. 27 Nr. 2 von Frédéric Chopin, wunderbar zart und fein, so richtig zum Runterkommen nach dem erschlagenden Finale des Rachmaninow-Konzerts.

Nach der Pause dann Rachmaninows Sinfonisches Poem „Die Glocken“ für Sopran, Tenor, Bariton, großen gemischten Chor und Orchester. Was für ein gigantisches Epos, wegen des immensen Aufwands leider nicht allzu häufig aufgeführt. Umso dankbarer war man Gianandrea Noseda und allen Ausführenden für die bereichernde Begegnung mit dieser hochinteressanten Komposition, die Rachmaninow von seiner durchaus auch in die Moderne weisenden Seite zeigte. Im ersten Teil des Gedichts (ursprünglich aus der Feder von Edgar Allan Poe, aber Rachmaninow benutzte eine Nachdichtung von Konstantin Balmont) wird eine Schlittenfahrt mit Schellenglöckchen heraufbeschworen, ein Tenor (Sergey Korokhadov, mit der typisch russisch klingenden, prägnanten und leicht schneidenden Schärfe im Timbre) singt den Text; zusammen mit den wuchtigen Einwürfen und der reichhaltigen Dichte der Orchestersprache führt dies zu einer unglaublich faszinierenden Klangdichte. Im zweiten Satz besingt die glutvolle, satte Sopranstimme Elena Stikhinas den Klang der Hochzeitsglocken, die Musik wird breiter, weitet sich wie zu den Freuden und dem Mysterium einer Liebesnacht. Elena Stikhina gestaltet das mit unter die Haut gehender Intensität. Die hochdramatische, schreckerfüllte Schilderung der Feuersbrunst im dritten Satz bleibt alleinige Angelegenheit des Chores und des Orchesters. Der von Janko Kostelic einstudierte Chor der Oper Zürich schlägt einen mit seinem aufwühlenden Gesamtklang vollständig in den Bann dieser Musik. Das Englischhorn stimmt auf den Schlusssatz ein, diesen letzten Gang, den der Mensch zu gehen hat. Mit profunder Bassgewalt schildert Alexey Markov das Lebensende, die schweren Steine, die sich aufs Herz legen, den Abstieg ins Grab.

(c) Sanneman

Doch dieser letzte Gang wird nicht etwa begleitet von milder Stille, ganz im Gegenteil, für Poe und Rachmaninow ist das Sterben schmerzvoll, folternd, gewalttätig. Da braust der Klang auf, Noseda, der Chor und das Orchester drehen an der Volumenschraube und reizen die Dynamik, welche der Saal des Opernhauses gerade noch zulässt, bis zum Äußersten aus. Gewaltig! Immerhin darf man sich ganz am Ende dann doch noch von den friedlich verklingenden Klängen der beiden Harfen und des fein intonierenden Orchesters in die Gruft senken lassen. Wunderbar!

Kaspar Sannemann, 14. Februar 2023


Zürich, Opernhaus

12. Februar 2023

Sergej Rachmaninow: Klavierkonzert Nr. 3 in d-Moll

Sergej Rachmaninow: Die Glocke, Chor-Sinfonie für gemischten Chor, Sopran, Tenor und Bariton

Yefim Bronfman, Klavier

Chorleitung: Janko Kosteli

Chor der Oper Zürich

Gianandrea Noseda, Dirigat

Philharmonia Zürich