Man kann guten Gewissens von einer Referenz-Aufführung von Mozarts meisterhafter Opera Buffa berichten. Die Inszenierung hat nichts von ihrer Originalität, dem sprühenden, hintergründigen Witz und der intelligenten Subtilität eingebüßt – trotz einer Neubesetzung praktisch aller Partien für diese Wiederaufnahme. Einzig das verdiente Ensemblemitglied Ruben Drole in der (zum Glück durch den Regisseur etwas aufgewerteten Rolle des derben Gärtners Antonio) ist von der Premierenbesetzung übriggeblieben. Er stellte auch zwei Jahre später seine enorme szenische Präsenz unter Beweis. Für meine Eindrücke zur atemberaubenden Inszenierung durch Jan Philipp Gloger (die geniale – sängerfreundliche – Bühnengestaltung hatte Ben Baur entworfen, die passenden Kostüme stammen von Karin Jud, die Lichtgestaltung von Martin Gebhardt) verweise ich auf meine Kritik vom 19.6.2022.
Es gilt nun also der neue Interpret der Hauptpartien Dank und uneingeschränktes Lob auszusprechen, gerechterweise einfach in der Reihe der Besetzungsliste, da sie allesamt mit wunderbaren und herausragenden darstellerischen und gesanglichen Leistungen begeisterten.
Andrè Schuen, der weltweit gefragte Bariton aus dem Südtirol, sang einen überaus attraktiven Grafen Almaviva, ein echter Womanizer, mit verführerischer Stimme, die sowohl erotische Leidenschaft als auch die Wut des Hintergangenen mit Vehemenz und Eindringlichkeit auszudrücken wusste. Seine große Arie im dritten Akt Hai già vinta la causa war voll packender Dramatik. Seine Angetraute, die Gräfin Almaviva, wurde von Elbenita Kajtazi interpretiert: Bereits ihre erste Arie, die diffizile Cavatine Porgi, amor, qualche ristoro gelang zum Niederknien schön, mit herrlich aufblühender Emphase. Später zeigte sie durchaus nicht nur edle, melancholische Momente, sondern stellte auch ihre Kratzbürstigkeit zur Schau (man darf nicht vergessen, dass es sich bei der Figur um die quirlig-verschlagene Rosina aus dem Barbier von Sevilla handelt). Elbenita Kajtazis wunderschön geführter Sopran bereicherte die vielen Ensembles und begeisterte mit der Reinheit ihrer Phrasen im Accompagnato E Susanna non vien! und der Arie Dove sono i bei momenti.
EnsemblemitgliedAndrew Moore gab einen vor Energie nur so sprühenden Figaro mit einer unnachahmlichen szenischen Präsenz, herrlich stimmiger Mimik und stimmlich absolut top. Nach seinem großartigen Paolo Albiani in Simon Boccanegra erneut ein Beweis des immensen Talents dieses vielversprechenden Sängers. Überragend sang und spielte auch Nikola Hillebrand als Susanna. Berückend schön gestaltete sie u.a. die Rosenarie im vierten Akt, das Duett mit der Gräfin im dritten und die urkomischen Szenen im ersten und zweiten Akt. Es ist dies die umfangreichste Rolle der Oper und Nikola Hillebrand meisterte das alles mit einer sensationellen Selbstverständlichkeit, einer perfekten Ausdifferenzierung der Stimmungen und mit einer natürlichen, einnehmenden Darstellungskunst.
Als überaus gelungen darf man auch das Rollen- und Hausdebüt von Kady Evanyshyn in der zentralen Hosenrolle als Cherubino bezeichnen Dieser liebestolle, pubertäre Page ist ein Sympathieträger und taucht immer in den unglücklichsten Momenten auf. Kady Evanyshyn sang – sehr passend zur Hosenrolle – mit leicht herbem, burschikosem Timbre, ganz wunderbar. Freude machte auch das Wiedersehen und -hören mit Irène Friedli als Marcellina: Irène Friedli ist seit 30 Jahren eine wichtige Stütze des Ensembles in Zürich. Es war wunderbar, sie (nach der Produktion von Nozze 2007 unter Welser-Möst) erneut in dieser viel schauspielerisches Talent abverlangenden Rolle zu erleben. Leider wurde ihre Arie Il capro e la capretta gestrichen.
Jens-Erik Aasbø sang mit eindrücklicher, bassgewaltiger Agilität den am Ende schwulen Bartolo, der mit dem stimmlich und szenisch ebenso hervorragenden Basilio von Christopher Willoughby auf dem Dachboden ein Techtelmechtel eingeht. Cherubinos Klage Non so più cosa son cosa faccio hat alle anderen an diesem „tollen Tag“ auch befallen. Martin Zysset war eine Luxusbesetzung als stotternder Don Curzio und ganz besonders aufhorchen liess die stimmlich vielversprechende Marie Lombard als Barbarina, die auf dem Estrich ihre Unschuld verliert.
Zum ersten Mal dirigierte Antonello Manacorda die Philharmonie Zürich – und man hofft inständig, dass er unter der neuen Direktion des Opernhauses Zürich bald wiederkommt. Sein Dirigat war von einer prägnanten Verve und einer Feinfühligkeit geprägt, die keinen Moment Langeweile aufkommen ließ. Durch sein einfühlsames Mitatmen war er für die Sänger bestimmt eine wichtige Stütze. Er hob viele Details der Partitur wunderbar organisch heraus, ohne sich darin zu verlieren, ohne den Fluss versiegen zu lassen. Die hochgefahrene Philharmonia Zürich gestaltete die Musik Mozarts mit begeisternder Lebendigkeit. Ganz große Klasse. Enrico Maria Cacciari (Continuo Hammerklavier) und Claudius Herrmann (Continuo Cello) waren bestechende, virtuose Unterstützer in den Secco Rezitativen.
Fazit: Auch wer die Premierenserie erlebt hat, sollte sich eine der Vorstellungen in dieser praktisch vollständig und superb neu besetzten Wiederaufnahme nicht entgehen lassen. In den verbleibenden vier Aufführungen wird Olga Bezsmertna anstelle von Elbenita Kajtazi die Gräfin singen.
Kaspar Sannemann, 18. Dezember 2024
Le Nozze di Figaro
Wolfgang Amadeus Mozart
Opernhaus Zürich
15. Dezember 2024
Premiere war 2022
Regie: Jan Philipp Gloger
Musikalische Leitung: ntonello Manacorda
Philharmonie Zürich
Bilder sind von der Premiere 2022