Berlin: Brahms-Perspektiven II

Konzert am 18.02.2019

Henri Dutilleux
TROIS STROPHES SUR LE NOM DE SACHER, für Violoncello

Henri Dutilleux
TOUT UN MONDE LOINTAIN Violoncello und Orchester

Johannes Brahms
SYMPHONIE NR. 2 in D-Dur

Im zweiten Sinfoniekonzert im Rahmen dieses Brahms-Festivals des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin stellte Chefdirigent Robin Ticciatider zweiten Sinfonie von Brahms zwei Werke des Franzosen Henri Dutilleux gegenüber. Doch welche perspektivischen Bezüge ergeben sich hier? Ausgerechnet Werke eines französischen Komponisten, wo doch die gegenseitige Zurückhaltung zwischen Brahms und den Franzosen ziemlich offenkundig ist und Brahms auch heutzutage in Frankreich nicht gerade zu den populärsten Komponisten zählt, wie der Musikwissenschaftler Dr. Jan Brachmann im wie stets sehr aufschlussreichen Vorgespräch mit Habakuk Traber erzählte, als er von einem Gespräch zwischen Pierre Boulez und Daniel Barenboim berichtete. Barenboim habe mit seinem Orchestre de Paris die Brahms-Sinfonien aufgeführt und Boulez soll danach ziemlich misslaunig gefragt haben, warum er bloß so minderwertige Musik aufführe … .

Die perspektivischen Bezüge ergeben sich aber nicht nur aus dem Kontrast der völligen Andersartigkeit des musikalischen Denkens. Denn es gibt durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Dutilleux und Brahms, am Offensichtlichsten die Liebe zum Klang des Cellos. Und so stand dieses warm klingende Saiteninstrument am Beginn solistisch im Zentrum des Podiums und der Aufmerksamkeit des Publikums (und des sich bereits auf dem Podium befindenden Orchesters): Nicolas Altstaedt spielte Dutilleux’ TROIS STROPHES SUR LE NOM DE SACHER für Violoncello solo. Man kam in den Genuss eines durch und durch fesselnden, ja faszinierenden Stücks, nicht ganz einfach zu Beginn, den Zugang dazu zu finden, doch nach und nach folgte man aufmerksam den Intervallsprüngen, dem hüpfenden Bogen, den Glissandi, den Doppelgriffen und Flageoletts, dem ätherischen Abgleiten in höchste Regionen, den unglaublichen Crescendi, dem Versinken in Zartheit, der packenden Virtuosität, mit welcher Nicolas Altstaedt diese zehnminütige Stück intonierte. WOW!

Gleich danach das wohl bekannteste Werk aus der Feder des französischen Komponisten, sein Werk TOUT UN MONDE LOINTAIN für Violoncello und Orchester. Das war ein überaus reichhaltiges Konzerterlebnis, steuerte doch das Orchester mystische, mysteriöse, melancholische, poetische (als Inspirationsquelle diente dem Komponisten ja Baudelaire) und gespenstische Klangfarben zu den eh schon vielfältigen, zum Teil auch sehr markigen Ausdrucksmöglichkeiten des Soloinstruments bei, spannende Wechselbeziehungen entstanden. Wunderschön die langen Kantilenen des Cellos von Nicolas Altstaedt, von den Streichern des DSO Berlin mit einnehmender Wärme aufgenommen, weitergesponnen, ein Zwiegesang von betörender Sinnlichkeit. Immer wieder erleichtern Reminiszenzen den Hörern den Zugang zum Stück. Robin Ticciati und das DSO Berlin waren dem Solisten Nicolas Altstaedt aufmerksame Partner. Das Verhauchen im Pianissimo am Ende war von einer unglaublichen Intensität erfüllt, kein Wunder, dass das Publikum bei der Uraufführung das Stück gleich nochmals hören wollte, dem Kritiker gestern Abend ging es auch so. Doch für eine Wiederholung reichte die zeit natürlich nicht, dafür aber für eine wunderbare Zugabe (von Jean Barrière – der von 1707-1747 lebte – das Adagio aus der Sonate Nr. 4. für zwei Celli in G-Dur – erneut eine Entdeckung, wie Igor Levits Zugabe gestern Abend) welche Nicolas Altstaedt zusammen mit dem ersten Cellisten des Orchesters spielte.

Nach der Pause ging es dann weiter mit dem Klang der Celli, denen in Johannes Brahms’ Sinfonien (und in seiner Kammermusik) ein bedeutender Platz zukommt. Zwar hat Brahms kein Cellokonzert geschrieben, doch gerade in seiner zweiten, der pastoralsten seiner Sinfonien, sind die tiefen Streicher meist die Impulsgeber für die Hauptthemen. Robin Ticciati ließ diese Sinfonie in größerer Besetzung spielen, als die erste am Abend zuvor. Vielleicht auch, um dem Werk dadurch mehr Gewicht zu verleihen. Relativ zügig stieg er mit dem wiederum ausgezeichnet spielenden Orchester in die Einleitung mit ihren Naturklängen ein, arbeitete den durchaus vorhandenen düsteren Untergrund fein und transparent heraus. Herrlich lieblich intonieren die Celli das prominente Seitenthema, bohren aber auch nach existentiellen, metaphysischen Problemen, denen die Posaunen Gewicht geben. Der Satz geht voller Lebendigkeit und sehr energiegeladen weiter. Die Celli bestimmen mit ihrem warmen Klang auch das Adagio, einer der wenigen wirklich langsamen Sätze in Brahms’ sinfonischem Schaffen. Mit klarer Zeichensetzung steuert Ticciati die feinen Einwürfe der Holzbläser, doch trotz allen Bemühens um Ausdrucksstärke erreicht Brahms im Adagio nicht die ernste oder tröstliche Tiefe z.B. eines Anton Bruckner. Eher belanglos dann das tänzelnde Allegretto grazioso, es huscht mit Lieblichkeit vorüber, wird präzise musiziert, aber hinterlässt keinen nachhaltigen Eindruck (da muss man Boulez schon beinahe zustimmen …) – ganz im Gegensatz zum Finale. Da steigt pure Freude auf, überschwänglicher Jubel, von Robin Ticciati und dem DSO Berlin effektvoll aufgebaut. Warme Emphase führt zum triumphalen Satzende, und mit den beiden tiefgründigen Ecksätzen und den ruhenden Binnensätzen erhält dann eben auch die D-Dur Sinfonie von Brahms ihren berechtigten Platz unter den vier Sinfonien von Johannes Brahms.

Am kommenden Freitag folgt die dritte Sinfonie von Brahms, mit perspektivischem Ausblick wiederum auf einen Franzosen (Debussy) und einem Blick zurück auf Richard Wagner.

Kaspar Sannemann 1.3.2019