Schlosskirche, 12.9.2022
Erstaunlich: Da kennt man, wenn man nicht gerade LP- und CD-Sammler und exzessiver Barockmusiksucher ist, den Namen nur von einer alten und älteren Opernaufnahme, und dann begegnet der Komponist innerhalb von zwei Jahren gleich zweimal auf den Programmzetteln der diversen Bayreuther Festivals für sog. Alte Musik.
Giovanni Bonincini war einst ein bekannter Meister, in Zusammenhang mit Händel begegnet er hier und da noch in der Literatur. Kein Wunder: eine Oper wie Polifemo, die zuletzt in einem Gastspiel des Potsdamer Musikfestivals bei der Musica Bayreuth im Opernhaus zu erleben war, ist ein schönes Stück. Und hört man bei einem Kerzenlicht-Konzert ein paar Kantaten und Instrumentalstücke des Meisters, der seine Karriere in Bologna begann und in Wien starb, weiß man, wieso die Zeitgenossen den Mann aus Modena so schätzten – vorausgesetzt, man hört Meister-Interpretinnen und Interpreten am Werk, die den sound der Zeit ins Heute bringen. Auftritt also von Sonja Runje und der Hofkapelle München unter ihrem Leiter Rüdiger Lotter. Mit fünf Kantaten und 4 Sonaten, einem Alt und sechs Musikern, begeben wir uns in das beginnende 18. Jahrhundert, in dem das höfische Arkadien en vogue war. Im Widerspiel von Rezitativ und Arie, schnellem und langsamem Satz, öffnet sich eine künstlich-kunstvolle Welt, die dem Thema des amourösen Schmerzes einen Raum einräumt, der noch in der frühen Mozartzeit auf die Bühnen und in die Bücher gebracht wurde. Sonja Runje – das ist eine Stimme wie braune Schokolade. Sie schmeichelt sich ins Ohr und kann alles: das sensitiv Beseelte und das Erregte – wobei die Expressivität bei Bononcini meist bukolisch ausdrucksvoll, also nicht extra extrovertiert klingt, auch wenn das „libertá“ in Già la stagion d‘amore wie gegen den Text komponiert scheint und im Schlussstück, Siedi, Amarilli mia, die „Liebesbande“ in dramatischen Intervallen ausgedrückt werden. Übrigens klingt auch die tortorella, die Turteltaube, eher kräftig als fügsam.
Dunkle Akzente setzt auch die Hofkapelle, die in den verschiedensten Kombinationen musiziert. Der Leiter und Primgeiger Rüdiger Lotter, Isabelle Bison an der 2. Violine (mit eigenständigen Stimmen) und Günter Holzhausen an der Violone sind erstrangige Solisten eines Ideal-Ensembles. Die ästhetische Vielfalt ist so verblüffend wie die Tonlagen der Sängerin: Ein Trio, das eine a-Moll-Cellosonate spielt, klingt eben anders als ein Sextett, das die Ouvertüre zu einer Kantate anders bringt als eine Sonate oder eine metallische b.c.-Begleitung. Johanna Soller am Cembalo, Pavel Serbin am Violoncello, Jacopo Sabina an der Laute, sie begleiten die Sängerin, während Rüdiger Lotter mit geschmeidigem Ton, im F-Dur-Divertimento aus Bononcinis op. 8 besonders federnd leicht über die Saiten gleitend, sein Ensemble spiritoso, also sehr beschwingt anführt – und die scharfen Reibungen der D-Dur-Sonate Nr. 3 subtil sehrend in den Raum schickt. Nb: Es ist immer wieder erstaunlich, im sog. Barock modernere Tendenzen am und im Werk zu hören, die der sog. Klassik abhanden kamen.
„Alte“ Musik? Man sollte den Begriff endlich abschaffen.
Frank Piontek, 13.9.2022
Foto: ©Andreas Harbach