Bayreuth: Bayreuther Sängerfest auf der Seebühne

Vorstellung am 23.8.2020

Das Zauberwort der Saison heißt: Open Air. In Bayreuth heißt es folgerichtig: Wagner Open Air. Begannen die inoffiziellen Bayreuther Festspiele 2020 mit einem Konzert in Wahnfried, das allein vor Wahnfried gehört und besichtigt werden konnte, so fanden sie ihren Höhepunkt – ungeachtet dessen, was alles noch in diesem Kultursommer folgt – in einem „Bayreuther Sängerfest auf der Seebühne“, getreu dem zitierten Motto: „Auf, nach der Wies – schnell auf die Füss!“ Es war denn auch der Sachs der umjubelten Kosky-Inszenierung der Meistersinger, also Michael Volle, der den Abend mit dem Holländer-Monolog eröffnete.

Kurzfristig ersonnen hatten das zweistündige Programm allerdings zwei andere Herren: Günther Groissböck und Andreas Schager, die beiden „geistigen Lausbubn“, wie sie sich in ihrer kurzen Anmoderation des mit zwei Stunden langen, doch nicht überlangen Abends, bezeichneten. Sie hatten die glänzende Idee, zusammen mit Hartmut Keil (seit 2003 dient er als Studienleiter, Bearbeiter und Dirigent einiger Kinderopern am Hügel) ein machbares Konzertprogramm auf die Beine zu stellen, das zugleich kein Wald- und Wiesen(!)-Programm ist, sondern als „dramaturgisches Gesamtkunstwerk“ verstanden werden kann. Denn mit dem todessehnsüchtigen Holländer zu beginnen, dann die „teure Halle“ zu begrüßen, sodann – es war inzwischen dunkel – den Abendstern zu besingen, später den Wahnmonolog folgen zu lassen, bevor Wotans Abschied den Abend fast beendete und schließlich das Sängerquartett zusammen mit den Zuhörern den morgenverkündenden Wach-auf-Chor anstimmte: diese Abfolge war schon ziemlich subtil. Genauso subtil wie die Bearbeitung der Opernpartituren für ein nur aus 25 Köpfen zusammengesetztes, aus Mitgliedern des Festspielorchesters bestehendes Instrumentalensemble; über die Mikrophone und die Verstärker tönte der typische Wagner-Sound (lyrisch verhalten und dort, wo’s nottut, groß im Klang) mit 9 Violinen, je zwei Bratschen und Violoncelli, bei den Bläsern mit, zum Beispiel, je einer Flöte und Oboe, aber zwei Klarinetten und drei Hörnern (als Melodieinstrumente, aber auch zur Klangverschmelzung), erstaunlich authentisch: nicht allein im Vorspiel des dritten Meistersinger-Akts.

Die Frist ist um – der Anfang war schon dramatisch und musikgeschichtlich (der Holländer als erstes Werk im Bayreuther Kanon) pointiert, und dass Michael Volle, nomen est omen, ein Vollblutsänger und -spieler ist, weiß man ja. Umso schöner, ihn auch dieses Jahr mit dem Flieder- und dem Wahnmonolog agieren zu sehen.

Elisabeth (Annette Dasch) in der etwas anderen Bayreuther Sängerhalle

Annette Dasch ließ ihren weißschimmernden, noch in der Tiefe sicheren und auch artikulatorisch kristallklaren Sopran als Elisabeth und Sieglinde in den imaginären Saal klingen, neben ihr Daniel Schmutzhard, dessen Wolframbariton schönste Lyrik auf die Wiese ließ: eine starke, gleichermaßen artikulatorisch genaue und, wie man früher gesagt hätte, doch empfindsame Schau auf den „störenden Dritten“. Andreas Schager in Bayreuth zu loben, heißt Eulen nach… Sie wissen schon. Denn die Strahlkraft und die interpretatorische Intelligenz seines Tenors, gepaart mit einer hörbaren Lust an extatischen Höhenflügen, ist nach wie vor ungebrochen, wofür nicht allein die jeweils 11 Sekunden langen Wälse-Rufe sprechen – aber in der zweiten Hälfte des ersten Walküre-Akts kommt’s ja weniger auf Gewalt als auf Begeisterung an. Annette Dasch und Andreas Schager: ein Traumpaar der Bayreuther Szene, die bislang allein auf der Wiese möglich war… Und sein Lohengrin? Der klang einfach nur männlich, aber nicht markig – so wie seine Abschiedsworte vergessen liessen, dass Wagner seine Werke für die Bühne schrieb.

Schließlich und nicht zuletzt: Günther Groissböck. Schon 2011 machte er mit seinem unvergesslich sonoren Landgraf in Sebastian Baumgartens Tannhäuser-Inszenierung auf sich aufmerksam. Man erinnert sich an diese Auftritte, wenn er die „lieben Sänger“ begrüßt – und am Ende mit Wotan Abschieds einen Vorgeschmack auf seinen Bayreuther Wotan gibt, der hoffentlich 2022 im Hohen Haus über die Bühne wandern wird. Stimmkultur, eine schöne runde und doch klar fokussierte Tiefe, dramatisches Gespür und lyrische Konzentration – Bayreuth weiß schon, was es an diesem Bassisten hat.

Und nicht nur, weil seine und Andreas Schagers Idee, ein Sängerfest der anderen Art zu veranstalten, so gut war.

24.8.2020

Foto © Frank Piontek