Bayreuth: „Rezital von Reginald Mobley“, Festival Bayreuth Baroque

Nicht, dass die erste Zugabe das Beste gewesen wäre – aber mit Duke Ellingtons Standard von 1934, „Solitude“, kann man nichts falsch machen, selbst wenn man kein Klavier und keinen Bass sondern ein Cembalo und eine Viola da Gamba zur Verfügung hat. Denn es ist der Sänger, der stets für die richtige Stimmung sorgt.

Andreas Harbach

In diesem Fall ist es der US-Amerikaner Reginald Mobley, der die Encores seines Barock- und Rokoko-Programms zunächst mit der denkbar unbarocken „Solitude“ beginnen lässt. Unbarock? Nicht ganz, denn einer der populärsten Songs Henry Purcells heißt: „O Solitude“. Mit ihm beginnt der Nachmittag in der Bayreuther Schlosskirche, mit ihm hebt auch die Stimme an: sanft, sehr sanft. Kein Wunder, denn das Zauberwort heißt „sweet“. Mobley ist nominell ein Counter, aber den Purcell gestaltet er erstaunlich oft mit einem warmen Bariton. Seine Stimme schmiegt sich der Sprache an (Purcell ist auch aufgrund seiner delikaten Wortvertonungen bekannt und beliebt), sie schmeichelt sich stets zurückhaltend, aber unaufhaltsam in die Gehörgänghe der Besucher in der bis auf einige wenige Emporenplätze gefüllten Kirche. „Crown the Altar“, auf einen Text des Dido-and-Aeneas-Dichters Nahum Tate, entbindet einen geradezu engelhaften Sound; kein Wunder, ist doch auch von Seraphim die Rede. Wir lernen: ein Counter ist ein Counter ist ein Counter mit weiteren Möglichkeiten, die der Tiefe und Melancholie manchen Texts geradezu sinnbildlich mit tiefen Tönen – aufhelfen. Einem Purcell-Block folgt eine Händel-Abteilung: Rom um 1710… In den kleinen Kantaten, die der junge Händel damals für den Bischofspalast komponierte, werden amouröse Miniaturdramolette aus dem pastoralen Bereich erzählt, was dem Sänger (in „Vedendo Amor“ HWV 175) die Möglichkeit gibt, mit Stimme und Gestik zu spielen; der blinde, aber sehr aktive Amor verlangt solche Aktionen. Mobley und seine beiden Mitspielerinnen folgen genau der von Händel genau gelegten Spur; wieder herrscht die barocke Klangrede.

Violaine Cochard sitzt am Cembalo, Christine Plubeau spielt die Viola da Gamba. Erst in Händels Kantaten erhalten sie die Gelegenheit zu ausgiebigerem Spiel – und sie nutzen sie brillant. Statt eine angekündigte Gambensonate von Händel aufzuführen, bringt uns die Clavieristin ein zauberhaft zirpendes Cembalo-Solo ins Haus. Dann aber präsentiert uns Mobley einen Unbekannten: Ignatius Sancho. 1729 wurde der schwarze Mann auf einem Sklavenschiff geboren, aber dann machte er, dank Unterstützung eines menschenfreundlichen Adligen Karriere (im Programmheft wird das Porträt abgebildet, das kein Geringerer als Thomas Gainsborough von ihm malte) – und er komponierte. Mobley kredenzt uns vier seiner Songs, allesamt mehr oder weniger stark ausgeprägte Strophenlieder im Rokoko-Stil. Sie alle handeln von Harmonie und Freude, was angesichts von Sanchos erfolgreichem Weg durch die bürgerliche Gesellschaft kein Zufall sein dürfte. Zumindest die vier ausgewählten Lieder zeigen einen Komponisten am Werk, der Gesellschaftslieder liebte und selbst dann, wenn der Text einen ruhigen Duktus vertragen hätte, sich heiter gebärdete. David Garricks Lobpreis auf den „sweetest Bard“, also Mr. „Shakespeare“ alias Edward de Vere, 17. Earl of Oxford, wird zur Bekundung ausgiebiger Freude über solch ein Wunder der Natur.

Ist Mobley ein Naturwunder? Sicher nicht, weil wir hinter all der Leichtigkeit seines Gesangs die Arbeit an seiner Technik und am Ausdruck immerhin ahnen können. Der Beifall war gewaltig, die zweite und letzte Zugabe, wieder ein Stück des 18. Jahrhunderts, endete, diesmal sehr passend zum Raum, mit einem machtvoll wie weich intonierten „Halleluja!“ Right, würde ich sagen.

Frank Piontek, 11. September 2023


Festival Bayreuth Baroque
Schlosskirche, 9. September 2023

Reginald Mobley
Rezital mit Werken von Purcell, Händel und Ignatius Sancho