Bayreuth: L’arte del Mondo: Sturmmusiken (Musica Bayreuth)

Markgräfliches Opernhaus, 5. Juni 2021.

Inzwischen sind sie keine Exoten mehr, sondern normale Bestandteile eines barocken Opernabends: die Maschinen. Wenn aber ein Ensemble ein Konzert veranstaltet, in dem die Donner-, Regen und Windmaschinen (fast) im Mittelpunkt stehen, weil das Programm es gebietet, haben wir es mit einem außergewöhnlichen, auch augenschmeichelnden spectacle zu tun. Dass spectacle sein müssen, wusste ja schon die Kaiserin Maria Theresia, auch wenn sie keine Freundin der großen Oper war.

Das Bayreuther Festival MUSICA ist also wieder da: am angestammten Ort, dem Markgräflichen Opernhaus. Auftrat: das Ensemble l’arte del mondo unter der Leitung seines Gründers Werner Ehrhardt. Die Kunst der Welt – dieser Welt – besteht vornehmlich darin, dramaturgisch konsistente Programme in einem Klangbild anzubieten, das weder schroff (wie bei den Radikalen der „historisch informierten Praxis“) noch so langweilig klingt, wie wir es noch aus den 80er, gelegentlich sogar noch aus den 90er Jahren des verflossenen Jahrhunderts gewöhnt waren. Sie halten einfach, bisweilen mit den ohrenbetörenden Holzbläsern an den solistischen Spitzen, die goldene Mitte. Was aber den Abend mit den Sturmmusiken so einzigartig macht, ist die Kombination dreier großer französischer Komponisten mit einem herausragenden deutschen, die von einem Element vereinigt werden: Originalität. So beginnt schon der Abend: mit den Èlèments des Jean-Féry Rebel, einem Strudelkopf der Epoche des Sonnenkönigs, dessen Klangsprache schon in dem Sinne revolutionär war, als dass er rund 75 Jahre vor der z.T. äußerst krassen französischen Revolutionsmusik Harmonien notierte, die schier dissonant waren; der Einstig in den Abend gelingt mit dem Cahos auf schier aufpeitschende Weise, die nicht einmal die Donnermaschine benötigt, um in die Nieren zu fahren.

So bündelt das Ensemble ausgewählte Sturm-, Wind- und Elementmusiken der genialen Neuerer Marin Marais (eine Suite aus dessen Oper Alcione mit einer musikgeschichtlich bedeutenden Sturmmusik), Georg Philipp Telemann (ein paar Tanz-und Schertz-Sätze aus dessen köstlicher Wassermusik Hamburger Ebb und Fluth) und Jean-Philipp Rameau zu einem Reigen des sog. Barock, der klar macht, dass es die Barockmusik nie gegeben hat. Oder anders: Je mehr wir Programme dieser Güte zu Ohren bekommen, die verschiedene Zeitgenossen (in diesem Fall aus den Jahren 1656 bis 1767) verschiedener musikalischer Kulturen unter dem Signum eines Themas vereinigt, desto mehr begreifen wir (falls es sich noch nicht herumgesprochen haben sollte), dass die sog. Alte Musik aus Diversitäten, reizvollsten Variationen und gelegentlich elektrisierenden Umschwüngen besteht. Wenn am Ende drei Sätze aus Rameaus Erstling Hippolyte et Aricie und den Indes Galantes stehen und das berühmte Rondeau aus letzterer Oper über die „Wilden“ als zweite Zugabe und Rausschmeißer dient, werden die Vergangenheit der Überwindung der Oper Lullys, die Zeit der Wilhelmine von Bayreuth und die Gegenwart des Markgräflichen Opernhauses eins. So vermochte das Ensemble l’arte del mondo den durchaus nicht toten Komponisten die Perücken vom Kopf zu blasen.

6.6.2021

Foto: ©Andreas Harbach