Bayreuth: Siegfried Wagner: Der Friedensengel – eine Ausstellung

Steingraeber, bis 28.8.2021

Nur noch eine Woche kann man sie besichtigen. Sie ist gleichsam das gehängte Programm- und Dokumentationsbuch zur Aufführung der Oper, die am 21.8. ihre erste von zwei Aufführungen in Bayreuth erleben wird.

Es ist inzwischen eine gute Tradition: dass parallel zur Ausgrabung einer der für die Bühne toten Siegfried-Wagner-Opern die Gesellschaft, die sich dem Andenken des Komponisten widmet, für die thematisch-historische Vertiefung der Veranstaltung sorgt. Natürlich lässt sich jede gute Oper auch ohne die Nähe zwischen den biographisch-autobiographischen Elementen und dem Opernstoff begreifen, doch zu wissen, welchen Motiven Siegfried Wagner seine Themen und Motive verdankte, macht den Zuschauer nicht dümmer. Wer Peter Paul Pachls Siegfried-Wagner-Biographie mit dem bescheidenen Untertitel Genie im Schatten studiert, wird einige wichtige Passagen auf den Hängern wiederfinden; allemal schön ist es, die reich bebilderten Themenkomplexe Bayreuther Hintergründe, 2 Opernthemen, Aufführungsgeschichte und Bayreuth 2021 zu studieren. Zwar wurden sie komplett in der 52. Nummer der Zeitschrift der veranstaltenden Internationalen Siegfried-Wagner-Gesellschaft publiziert, doch ohne eine Lupe lässt sich im Lesesessel mehr erahnen als erkunden. Aufs Detail sind auch die Hinweise aus, die die Bayreuther Umstände scharf stellen, denen Siegfried Wagner die Idee verdankte, einen Suizid wenn nicht auf, so doch wenigstens hinter die Bühne zu bringen. Mit Wagners Intimus Franz Stassen und Ludwig von Hofmanns Gemälden erhaschen wir einen Blick auf die parallele Kunstgeschichte eines wilhelminischen Jugendstils. Familiengeschichten spielen hinein, wenn Cosima Wagner, der uneheliche Sohn Walter Aign, Gilbert „Gil“ Gravina (dem Wagner ein Flötenkonzert widmete, dessen Motive auch der gleichzeitig entstandenen Oper zu verdanken sind) als mehr oder weniger geheime Vorbilder einzelner Opernfiguren ihre Auftritte haben. Bühnenbildentwürfe Wieland Wagners stehen neben modernen Modellen, ein Stabat mater Siegfried Wagners beleuchtet den musikalischen Hintergrund einer Opernszene, die Aufführungsgeschichte, die sich aus einer Uraufführung, keiner weiteren Produktion und etlichen Konzert-Beiträgen zusammen setzt, wird mustergültig präsentiert: mit der konzertanten Londoner Erstaufführung im Jahre 1975 im Mittelpunkt, aus deren Anlass sich unter der Regie von Friedelind Wagner seinerzeit mehrere interessante Mitglieder der engeren und erweiterten Familie trafen.

Es ist – typisch für die Ausstellungen der ISWG – nicht die einzige Trouvaille zwischen Werk und Leben, Mit- und Nachwelt, Kunst- und Kulturgeschichte, die uns von der Dringlichkeit überzeugt, mit der der Komponist seine Stoffe fand und bearbeitete. So sehr man auch sonst dem scharfsinnigen Hans Mayer zustimmen muss: im Falle Siegfried Wagners hatte er Unrecht, als er bemerkte, dass dessen Werk „im Zeichen der Unnotwendigkeit“ gestanden habe. Dass er sich im Friedensengel, wie Daniela Klotz in der Zeitschrift mitteilt, am Don Giovanni und an der Beziehung zu seiner Schwester Isolde parodistisch abarbeitete, spricht nicht gegen, sondern eher für diese These. Wie auch immer man das Werk beurteilen mag: Die Ausstellung ist ein gut gemachter Beitrag zu einer Oper geworden, deren „Sitz im Leben“, wie das die Literaturwissenschaftler nennen, interessant genug ist, um auf 12 Hängern liebevoll präsentiert zu werden.

Frank Piontek, 20.8.2021