Wussten Sie, dass Jay Scheib, der Regisseur des Bayreuther Parsifal 2023, in Oberhausen das Musical Bat out of hell mit Musik von Meat Loaf inszeniert hat? Dass die ersten „Tonbilder“, also von Musik begleitete Wagneropernszenen, schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts produziert wurden? Dass es eine Hennessy-Cognac-Werbung gibt, in der der „Meister“ den guten Tropfen trinkt? Und dass sogar ein Wagner-Foto existiert, auf dem er breit grinst und seine Zähne zeigt?
Zugegeben: letzteres ist eine lustige Fälschung, die sinnigerweise in Zusammenhang mit dem israelischen Wagner-Bann und der schlicht kulturfeindlichen wie dummen Idee gezeigt wird, seine Straße in Berlin umzubenennen. Die „Tonbilder“ kennt der interessierte Wagnerianer spätestens seit der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift wagnerspectrum – und das mit Meat Loaf und Jay Scheib wird spätestens nächstes Jahr kommuniziert werden, wenn die Werbung in Sachen Festspiele 2023 angelaufen ist. Wagner in der sehr populären Populär-Kultur v.a. des 20. Jahrhunderts – dies ist nur der eine Aspekt einer Ausstellung, die den populus schon im Titel trägt. VolksWagner, so lautet die Überschrift der Sommer-Ausstellung im Wagner-Museum, deren Untertitel Popularisierung – Aneignung – Kitsch schon vieles sagt. Sie erzählt vor allem von den weniger elitären Strategien der Wagnerverwurstungsmaschine, die schon zu Lebzeiten des Dichterkomponisten, Ideologen und genialen Propagandisten seiner selbst gestartet wurde. Einst gab es, in der vormaligen Ausstellung des alten Wagnermuseums, eine eigene Abteilung, die sich dem „Kitsch“ widmete, nun wird er in Zusammenhang mit allen nur möglichen Verwertungsideen präsentiert. Dabei changiert manch Objekt zwischen Kitsch, Kunst und Kitsch-Kunst. Sie aber darf nicht gering geachtet werden, denn die Wahrheit der Rezeption zeigt sich noch im gesunkensten Kulturgut; wo Zinnfiguren und Seidenstöffchen Motive aus der auch vom königlich-bayerischen Hof initiierten Wagner-Bebilderung des 19. Jahrhunderts zitieren und schlicht weg nicht entschieden werden kann, ob Ferdinand Leekes und Hans Thomas Wagnereien im Sinn der Kunstgeschichte Kunstwerke sind oder eher das Handwerk repräsentieren, wird alles zum authentischen, manchmal sogar zum auratischen Objekt – wie das spektakuläre Cover von Meat Loafs Rock-LP.
Im Prinzip, sagt uns die Ausstellung, gibt es gar keine falsche Aneignung Wagners – auch wenn sie darauf beharrt, dass zumal die Dokumente der NS-Zeit zu den problematischen Relikten einer furchtbaren Epoche gehören. Die Frage, was Ge- oder Missbrauch der Wagner-Welten ist, wird kaum gestellt, kann vielleicht auch in diesem Rahmen nicht beantwortet werden, und dies schon deshalb nicht, weil die Schau über eine schöne Fülle von Objekten verfügt. Interessant bleibt allemal die Entdeckung von wahren Trouvaillen wie der Skizze zu Gustav Brandts berühmter Karikatur von 1903, die Wagners zweite Frau und Witwe als „Cosimama, die Gralshüterin“ zeigt. Ein Sturmpanzer namens Siegfried, in Einsatz gebracht im Jahre 1914, wäre ein Fall für Alexander Kluge, frühe Dokumente zu den Festspielen sind allemal einen Blick des an Wagners eigenem propagandistischem Wirken interessierten Bayreuth-Besuchers wert. Das Sortiment bewegt sich zwischen tüddeligem Porzellan und wertvollen Platten aus der Frühzeit der Tonaufnahme, zwischen echten Postkarten und einem falschen Gral. Kürzlich veröffentlichte Alex Ross sein monumentales Buch über die Wirkung Wagners (nur nicht auf die Musik), noch läuft im Deutschen Historischen Museum Berlin eine Ausstellung über den politischen Wagner – die Bayreuther Ausstellung sekundiert beiden Projekten, indem sie, eingebunden in konzise Beschreibungen kultur/politischer Entwicklungen („Kulturnation, Nationalkultur, Arteigene Kultur“) in schönster Vielfältigkeit einen nicht nur historischen Wagner für alle dokumentiert. Man entkommt ihm ja nicht: weder im Kino, wo er nicht allein in den Blues Brothers verulkt und zugleich komisch geadelt wird, noch beim Computer-Spielen, weder ganz unten (Satanic Mass) noch ganz oben, auf dem Grünen Hügel, wo man schon lange vor Hitler den Gedanken einreichte, das Festspielhaus zu zerstören. Im Übrigen versteht sich die Schau auf gute dialektische Gegenüberstellungen, die Wagner gerechter werden als der Versuch, sein Werk und seine Wirkung über einen Kamm zu scheren: hier sein böses antifranzösisches „Lustspiel“ Eine Kapitulation, dort die idolatrische Revue wagnérienne. Hier Shaws linke Ring-Analysen, dort das Judenthum in der Musik. Es hilft nichts: man muss sich, nähert man sich dem Phänomen R.W., alles aneignen, will man ihn und die Zeit nach Wagner begreifen.
Hätte man im Wagner-Museum noch einige Räume mehr zur Verfügung gehabt, um das Thema auszubreiten, wäre es kein Problem gewesen, die Vitrinen und Texttafeln zu füllen, aber auch so ist der VolksWagner eine der reichsten und informativsten Ausstellungen, die seit der Wiedereröffnung des Hauses gezeigt wurden. Sinnigerweise hat man gleichzeitig vier Gemälde in die Halle von Haus Wahnfried gehängt, die zur Sonderausstellung brillant passen. Die hoch über den Köpfen schwebenden Lohengrin Paintings sind das Ergebnis eines (aus Anlass einer dann nicht stattgefundenen Lohengrin-Produktion Katharina Wagners) barcelonesischen Wettbewerbs, in dem schließlich die vier besten Werke aus einer Fülle von mehr oder weniger künstlerischen Objekten ermemendelt wurden. Die Gewinner nähern sich dem Mythos ironisch, dabei doch nicht unreflektiert. Deangel zeigt uns das Trio von Elsa, Telramund und Ortrud als latent drogensüchtige Schicksalsgemeinschaft (Ortruds Zauber und Elsas Traum), bei Juan Gil kommt der Schwanenritter als Pepsi-Cola-Krieger daher, Carlos Saura Riaza malte einen heutigen Schwertträger mit Heiligenschein, und Mikel Olázabal Rodriguez taucht sein Partnerbild von Lohengrin und Elsa in das sanfte, fast nazarenische Licht einer historistischen Feinmalerei á la 1900. Das alles ist gut gemalt – aber ist es schon Kunst? Oder eher Kitsch? Oder gar Beides?
Wer das Begleitbuch zur Lohengrin-Ausstellung (kaufen!) studiert, wird feststellen, dass es angesichts einiger, nun ja, seltsamer, auch offen sexueller gemalter Werkanalysen eher Ersteres als Letzteres ist, aber Kitsch ist ja, wie Brecht so schön sagte, gut gemeint. Auch er gehört in den Wirkungskreis Wagners – existierte er nicht, wären die Zeugnisse, die noch im 21. Jahrhundert von Wagners Magie und seinem Einfluss auf die Künstler und Kunsthandwerker, die Firlefanz- und Toy-Fabrikanten künden, um wesentlich Facetten ärmer. Insofern ist die Frage, wo der Gebrauch aufhört und der Missbrauch anfängt seltsam akademisch.
Wagner-Museum, Bayreuth. VolksWagner: bis 3.10.2022. Lohengrin Paintings: bis 2.9.2022
Frank Piontek, 26.8.2022