Beethoven in D-Dur und Bruckner in d-Moll. Zwei große Werke der Konzertliteratur standen im Mittelpunkt, des 1. Akademiekonzertes in Mannheim. Knapp einhundert Jahre liegen zwischen den beiden Werken des Abends.
Zu Beginn erklang das 1806 uraufgeführte Violinkonzert von Ludwig van Beethoven. Zu seiner Zeit war dieses Konzert so völlig anders, sehr umfangreich und mit reichlich musikalischem Subtext. Allein der erste Satz dauert mit knapp 30 Minuten so lange wie manches gesamte Violinkonzert. Pocht hier in den Pauken beständig die Revolution an?
Dieses hoch virtuose Konzert gehört zum Kernrepertoire aller Solo-Geiger. In Mannheim gastierte Christian Tetzlaff. Dieser konnte sich über eine rhythmisch sehr pointierte Einleitung freuen, die GMD Alexander Soddy mit dem konzentriert aufspielenden Orchester des Nationaltheaters realisierte. Dieses agierte hier in kleiner Formation, so dass diese vor allem die Luftigkeit und Transparenz das Klangbild prägten. Soddy sorgte mit deutlichen Akzenten, vor allem auch in den wiederkehrenden vier Paukenschlägen für die notwendige Spannung. Das „Allegro ma non troppo“ nahm Soddy, wie gefordert, nicht zu eilig. So konnte Christian Tetzlaff mit beseelter Kantabilität seine herrlich ausphrasierten Melodiebögen für sich sprechen lassen. Dabei ertönte sein Spiel schnörkellos und natürlich. In der Solokadenz nahm sich Tetzlaff viel Zeit, die ausgebreiteten Themen weiterzudenken und virtuos auszubreiten. Interessant war die gewählte Fassung der Solokadenz, die hier ein Dialog zwischen Solo-Pauke und Solo-Violine war. Christian Tetzlaff transkribierte diese selbst auf Basis der Klavierkadenzen Beethovens. Fortwährender Pulsgeber war der animierende Soddy, der mit seinem feinen Orchester stets den Dialog zum Solisten suchte. Und doch war es der unbedingte Wille von beiden Musikern auszuloten, wie sehr ein inniges Pianissimo gelingen kann. Und die Herausforderung gelang immer wieder atemberaubend. Es waren vor allem die vielen leisen Momente, die diese Interpretation so außergewöhnlich wirken ließ.
Das Larghetto wurde leise und getragen formuliert. Das Orchester agiert hier reduziert, da ein Teil der Bläser und die Pauken in diesem Satz schweigen. Ein intimer Ruhepunkt voller Anmut konnte so entstehen.
Wie groß dann der Kontrast in das beschließende Rondo, das zuweilen an Jagdmusik denken lässt. Voller Überschwang spielte Tetzlaff dann seine überragende Virtuosität aus, wiederum gekrönt durch eine ungemein schwierige Kadenz, die verblüffend selbstverständlich geriet. Das Orchester wurde von Soddy stürmisch vorangetrieben, was dieses Finale mitreißend wirken ließ.
Große Begeisterung für die Künstler. Tetzlaff bedankte sich beim Publikum mit einer feinen, getragenen Zugabe.
Neun Jahre arbeitete Anton Bruckner an seiner 9. Symphonie. Die „an den lieben Gott“ gewidmete Symphonie erlebte ihre dreisätzige Uraufführung im Jahr 1903 im Wiener Musikvereinssaal. Diverse Komponisten haben Versuche unternommen, den vierten Satz, der in einzelnen Skizzen erhalten blieb, zu rekonstruieren. Zumeist wird aber die unvollendete Version aufgeführt, so auch hier in Mannheim.
Groß ist der Orchesterapparat und kühn, neutönend die harmonische Weiterentwicklung in der Musik Bruckners. Soddy begann zunächst breit und feierlich, so dass ein echtes „Misterioso“ entstand. Gewaltig ertönten die klanglichen Ballungen in den choralartigen Bläserakkorden. Die Klangräume glichen gewaltigen Klangkathedralen und doch fand Soddy die notwendige Ruhe, den großen Atem, um Ruhepunkte zum gekonnten Spannungsaufbau zu nutzen. Pompös gesteigert dann die beeindruckende Coda, die alle Themen in eine offen endende Apotheose münden ließ.
Ein deutlicher Farbwechsel dann im folgenden Scherzo, das schatten- und fratzenhaft über den Zuhörer kam. Unerbittlich stampfende Dissonanzen in deutlichen Paukenschlägen, alles mehrmals gipfelnd in kompositorische Trugschlüsse. Sprunghaft und keck im rasanten Tempo dann das eigentümliche Trio, das wie ein flüchtiger Spuk mit teilweise bizarr anmutenden harmonischen Veränderungen eine ganz andere musikalische Landschaft eröffnet. Doch dann sind die stampfenden Dissonanz Akkorde zurück und der Satz endete mit einer brachial gesteigerten Coda. In diesem Satz ließ Soddy sein reaktionsschnelles Orchester geradezu entfesselt aufspielen. Ein befremdlicher Alptraum mit lichten Momenten. Was für eine Komposition!
Und dann öffnete sich das unendlich anmutende, ausladend dargebotene Adagio in seiner ganzen Klangweite. Meisterhaft gearbeitete kontrapunktische Melodiebögen in jenseitig klingenden Farbgebungen. Hier geben die Wagner-Tuben dem Satz eine besondere Erhabenheit und wirken in dem feierlichen Ernst äußerst eindrucksreich. Und doch ist der Gedanke des Endlichen, des Übertritts in eine andere Dimension bezwingend spürbar. Sicherlich hat Bruckner mit diesem Abschiedsgesang an das Leben große Zukunftsmusik geschrieben. In keinem seiner anderen Werke gibt es eine derart drastische Dissonanz, wie hier am Satzende in einem Tredezimakkord, der in seiner Klangballung eine niederschmetternde Wucht entfaltet. Aber es wäre nicht Bruckner, wenn dieser Satz nicht mit einem harmonischen Ausklang beseelt enden würde. So sind es abermals die Wagner-Tuben die das feierlich letzte Wort in dieser Meister-Symphonie haben.
Alexander Soddy zeigte erneut, dass er nicht nur ein sehr guter Operndirigent ist, sondern ebenso im Konzertrepertoire mit eigenen Interpretationsideen für besondere Momente sorgen kann. Erkennbar gut vorbereitet gestaltete er diesen symphonischen Koloss. Die Tempi wirkten angemessen, obwohl Soddy insgesamt eine zügige Gangart bevorzugte. Fein abgestuft nutzte er die ganze dynamische Bandbreite. Er erzielte so einen warmen und von Noblesse geprägten Orchesterklang. Dabei suchte er zudem immer wieder die Transparenz, die vor allem im Scherzo gelang.
Ein großes Lob muss an das hingebungsvoll spielende Orchester des Mannheimer Nationaltheaters adressiert werden. Die stilistische Bandbreite ist enorm und das technische Niveau bezwingend. An allen Pulten gab es herausragende, überzeugende Leistungen, vor allem im überreich geforderten Blech. Ein wunderbarer, warm tönender Klangkörper, der der Musik Anton Bruckners die notwendige Größe zukommen ließ
Das Publikum wirkte berührt und feierte Alexander Soddy mit seinem Orchester gebührend.
Dirk Schauß, 8. Oktober 2019