Bochum/Ruhrtriennale: „Dresden Frankfurt Dance Company“, Joannis Mandafounis

Die Bemühungen des neuen Intendanten der Ruhrtriennale, Ivo van Hove, mit „queeren“ Angeboten die Sensibilität für ein Maximum an Toleranz verstärken zu wollen, finden auch in den Tanzangeboten des Festivals ihnen Niederschlag. Besonders plastisch im Gastspiel der entsprechend bunt besetzten „Dresden Frankfurt Dance Company“, die im Essener PACT Zollverein unter dem Titel „à la carte“ ein getanztes Menü der besonderen Art servierte. Wobei das Publikum mit keinem fertig zubereiteten Dinner vorliebnehmen musste, sondern den Verlauf der gut einstündigen Kreation mitbestimmen durfte. Zumindest im zweiten Teil.

© Dominic Mentzos

Mit großem Gejohle stürmten die 16 Tänzerinnen und Tänzer der aus der ehemaligen „John Forsythe Company“ hervorgegangenen Truppe die Spielfläche und tanzten sich in einem hektischen Bewegungsrausch warm, wobei sie zugleich Kontakt mit dem Publikum aufnahmen und den Besuchern ihre Kernbotschaft „I love you“ entgegenschleuderten. In der Premiere folgte eine bunte Folge verschiedener Nummern in wechselnden Besetzungen. Meist schrill und turbulent mit dem Charisma improvisierter Spontanität. Die Bewegungsabläufe der von dem griechischen Choreografen Ioannis Mandafounis geleiteten Company lassen die Einflüsse Forsythes erkennen, das Reservoir der Tanzelemente wirkt jedoch verspielter und robuster, auf Dauer aber auch begrenzter. Als Kontrapunkt zu den getanzten Wirbelstürmen sorgte der vorzügliche Geiger Noé Inul mit Sätzen aus den Solo-Partiten von Johann Sebastian Bach für einen strukturierten Rahmen.

Es wird viel gesprochen, moderierend oder im Dialog mit den Besuchern. Allerdings zu viel und nur auf Englisch, was der Intention des neuen Intendanten, die Ruhrtriennale für alle Publikumsschichten zu öffnen, eigentlich widerspricht.

Im wortreichen Dialog konnten die Besucher im zweiten Teil Vorschläge für eine improvisierte Handlung einbringen. Freude, Schmerz, Sturm, brasilianischer Funk gehörten zu den Wünschen und daraus bastelte die Company eine fantasievolle, dramatisch zugespitzte Story, die mit einer laustarken Session auf diversen Instrumenten ein befreiendes und glückliches Ende fand.

Das heißt, dass jede der folgenden Aufführungen einen anderen Verlauf nahm. Dabei verwischten die Grenzen zwischen einstudierten Pattern und spontaner Improvisation bis zur Unkenntlichkeit. Was zum Markenzeichen der erfolgreichen Company zählt. Tiefgang ist zwar nicht angesagt, dafür aber vitale Lebensfreude. In vollem Maß konnte die jedoch nur der genießen, der der englischen Sprache mächtig ist.

Was die Absicht betrifft, auch neue und breitere Publikumsschichten für das Festival gewinnen zu wollen, bietet die Gießhalle des Landschaftsparks Duisburg Nord eine ideale Kulisse. Eine große, überdachte Halle des Industriedenkmals mit eindrucksvollen, mittlerweile verwitterten Maschinenanlagen im Hintergrund, vor denen der Hamburger Pianist, Komponist und Elektrosound-Designer Nils Frahm ein zweistündiges Solo-Programm unter dem Motto „Music for Ruhr“ präsentierte. Eine direkte Beziehung seiner Musik zum Ruhrpott war zwar nicht erkennbar. Aber das gewaltige Rüstzeug seines technischen Equipments wirkte wie ein moderner Kontrapunkt zu den alten Maschinen des ehemaligen Stahlwerks.

Nils Frahm brachte eine ganze Batterie an Tasteninstrumenten sowie einen kleinen elektronischen Maschinenpark auf die Bühne, die er allesamt fleißig bediente, von Gerät zu Gerät sprang, bisweilen mehrere gleichzeitig bedienend. Und das mit eindrucksvoller Souveränität.

Live bediente er neben einem konventionellen Klavier ein elektrisches Fender-Rhodes-Piano sowie diverse Synthesizer sowie als delikate Zutat eine Glasharmonika, der er zum Auftakt zerbrechlich zarte, geradezu sphärisch entrückte Töne entlockte. Zusammen mit einem ganzen Arsenal an Samplings und Loops, die er mit seinem Sequenzer zauberte, konnte Frahm seine klangprächtigen und in tausend Farben schillernden Fantasien nahezu unbegrenzt umsetzen.

© Dominic Mentzos

Die ruhigen, schwerelosen, geradezu psychedelisch wirkenden Teile bewegen sich auf den Pfaden des Elektronik-Pioniers Klaus Schulze, wobei Frahm, anders als Schulze, nicht nur synthetische Klänge produziert, sondern immer live und real eines oder mehrere seiner Instrumente bedient. Allerdings konnte er nicht vermeiden, dass sich seine Kreationen im Verlaufe des Abends zunehmend in minimalistischen Endlosschlaufen verloren. Da zeigte sich Frahms musikalische Fantasie doch begrenzter als seine klangliche.

Gleichwohl: Beide Aufführungen in der gewaltigen Gießhalle waren ausverkauft und das Publikum noch lange nicht erschöpft von Frahms magischen Klangzaubereien.

Pedro Obiera, 1. September 2024


Ruhretriennale 2024
Tanztheater: AL LA CARTE
MUSIC FOR RUHR

Gießhalle Landschaftspark Nord Duisburg

30. August 2024

Nils Frahm
Tasteninstrumente und ElektronikDresden Frankfurt Dance Company

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