Premiere am 13.06.2015, Wiederaufnahme am 30.10.2015
Ambivalente Eindrücke an der Saar
Lieber Opernfreund-Freund,
über das Schicksal Gustavs III. von Schweden, der 1792 auf einem Maskenball hinterrücks erschossen wurde, ist schon allerhand geschrieben worden. Verdis Probleme mit der Zensur im Zuge der Verarbeitung des Schicksals des Schwedenkönigs in seiner Oper „Un Ballo in Maschera“, die ihn veranlassten, die Handlung nach Amerika zu verlegen, sind hinreichend bekannt. Vielleicht ist deshalb das Portrait des historischen Vorbildes omnipräsent in der gefälligen Produktion am Saarländischen Staatstheater aus der vergangenen Spielzeit, die am gestrigen Freitag Wiederaufnahmepremiere in Saarbrücken feierte.
Überlebensgroß hängt es da im Einheitsbühnenraum, den Stefan Rieckhoff gebaut hat für den schweizer Regissuer Tom Ryser, und ist über weite Strecken fast einziges nennenswertes Requisit. Indes wird der Sinn der Abbildung nicht wirklich klar, setzt doch die Regie die Opernhandlung in keinerlei Kontext zur historischen Vorlage. Ryser kehrt vielmehr die Maskerade um: zu Beginn ist der komplette Hofstaat in historische Gewänder gekleidet, maskiert sich und seine Absichten vor Riccardo, der als einziger als Gestalt des 21. Jahrhunderts auftritt – inklusive Satinanzug und Gangnam-Style-Choreografie. Die Damen kommen in eher zeitlosem Gewand daher, Hosenrolle Oscar trägt einen Tweed-Anzug samt Reiterstiefeln, Ulrica erscheint in sündig rotem Samt und die angebetete Amelia ist in grünen Brokat gehüllt (Kostüme ebenfalls von Stefan Rieckhoff).
Interessant ist dieser Ansatz – aber leider nicht zu Ende gesponnen – dazu müsste beim eigentlichen Maskenball nicht nur der Adel in zeitgemäßem Outfit auftreten, sondern eben auch Riccardo im Kostüm, was er nicht tut. Zudem ist das alles, was Ryser eingefallen zu sein scheint. Die Personenregie ist quasi nicht vorhanden, konsequent kommt es zu keinerlei Interaktionen zwischen den Handelnden, stetig wird das Publikum angesungen, selbt in den innigsten Momenten der Liebesduette. So kann die Regie nicht wirklich überzeugen, dennoch gelingen vor allem mittels ausgefeilter Bühnentechnik, sich herab senkendem Firmament und wunderbar stimmungsvollem Licht eindrucksvolle Bilder, die aber eher der Ausstattung, denn der Inszenierung zu verdanken sind und eher das Auge des Zuschauers erfreuen, als ihm eine spannende Umsetzung zu bieten.
Ähnlich heterogen ist auch der akustische Eindruck des Abends: Der südkoreanische Tenor Andrea Shin singt in der Wiederaufnahme den Riccardo, überzeugt mit strahlendem Tenor, metallischem Klang und sicherer Höhe. Allein sein Spiel vermag nicht immer, die entsprechende Gefühle zu transportieren. Der dunkel gefärbte Sopran von Ensemblemitglied Susanne Braunsteffer ist fast zu kräftig für die Amelia. Man mag ihr trotz überzeugenden Spiels die verängstigte Frau auf dem Galgenberg oder die flehende Mutter im dritten Akt nicht recht abnehmen, so wie sie einem die Töne entgegenschmettert. Das ist an passender Stelle imposant, aber eben auch oft nicht ganz passend. Schade, zeigt die aus Niederbayern stammende Sängerin doch in den Schlussphrasen der Arien in den Akten 2 und 3, dass sie auch die leisen Töne sehr wohl beherrscht.
Als Idealbesetzung hingegen erscheint Romina Boscolo in der Rolle der Zauberin Ulrica. Ihr bedrohlicher, dunkler, bisweilen fast androgyn klingender Alt macht die kurze Rolle zu einem Ereignis. So eine Stimme muss Verdi im Ohr gehabt haben, als er die großen Mezzopartien wie Eboli, Amneris, Azucena oder eben Ulrica schrieb. Das sinnliche Spiel der jungen Italienerin unterstreicht den überzeugendsten Auftritt des Abends. Weniger vom Hocker reißt mich James Bobby als Amelias Gatte Renato. Im Vergleich zu seinen stimmgewaltigen Kollegen bleibt er recht blass, singt den sich betrogen fühlenden Ehemann, der vom besten Freund zum Mörder wird, technisch zwar einwandfrei, jedoch mit zu viel Pathos und dafür mit zu wenig Verdi in der Stimme. Der Oscar der Isländerin Herdís Anna Jónasdóttir besticht durch sichere Höhe, jedoch wünscht man sich hier ein wenig mehr Leichtigkeit auch außerhalb der Koloraturen, die sie gekonnt meistert. Einen bemerkenswerten Eindruck hinterlässt Stefan Röttig als Silvano. Hiroshi Matsui und Markus Jaursch überzeugen als Intrigantenpaar Tom und Samuel.
Der von Jaume Miranda einstudierte Opernchor ist glänzend besetzt, singt nuanciert und spielt überzeugend. Und auch das Saarländische Staatsorchester glänzt. Unter der Leitung von Chrisopher Ward, dem 1. Kapellmeister am Haus, erklingt die farbenreiche Partitur in brillanter Weise – von den schwelgerischen Bögen der Ouvertüre über das leidenschaftliche Vorspiel zum zweiten Akt bis zum fulminanten Finale.
Das Haus ist gut besucht, das Publikum freut sich an Verdis Melodien und applaudiert eifrig. Und ich? Soll ich Ihnen den Besuch trotz ambivalenter Eindrücke empfehlen? Ja, soll ich; schon allein die unglaubliche Ulrica und das tolle Orchester machen den Abend zu einem eindrucksvollen Erlebnis – und optisch ansprechend untermalt ist er auch.
Ihr
Jochen Rüth aus Köln / 31.10.2015
Fotos (c) Thomas M. Jauk zeigen die Besetzung der Spielzeit 2014/15.