Saarbrücken: „Das Rheingold“, Richard Wagner

Mehr als 30 Jahre liegt der letzte „Ring des Nibelungen“ der Saarländischen Staatstheaters zurück: Von 1987 bis 1990 brachten Dirigent Jiri Kout und Regisseur Grischa Asagaroff ihre gemeinsame Produktion heraus. Nun steht GMD Sébastien Rouland am Pult und die Regie liegt in den Händen des Duos Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, die auch für Bühne und Kostüme verantwortlich sind.

Der erste Abend spielt in der Laborwelt einer Firma für Biogenetik. Während des Orchestervorspiels sehen wir das Gebäude langsam emporfahren, oben ist die Verwaltungsetage der Firma „Walhall Laboratories“, wo Konzernchef Wotan Zellteilungen auf einem Bildschirm beobachtet. Eine Etage tiefer forschen drei Laborantinnen mit Mikroskopen und Reagenzgläsern am menschlichen Erbgut. Alberich wird als neuer Mitarbeiter vorgestellt, der mit den vielbeschäftigten Damen einen Flirt beginnt, aber auch ein bisschen herumspioniert. Werner van Mechelen ist ein erfahrener Alberich, der die Rolle mit kräftigem Bariton gestaltet.
Als das Rheingold besungen wird, fahren die Damen eine Frau mit frisch geborenem Kind herein. Das überrascht den erfahrenen Ring-Besucher, gleichzeitig ist man erstaunt, wie gut das auf den Text passt, wenn Alberich das Kind mit „Was ist´s, ihr Glatten das dort so gleißt und glänzt?“ besingt und die Rheintöchter feststellen: „Nichts weiß der Alb von des Goldes Auge, das wechselnd wacht und schläft!“ Alberich raubt der Mutter, die sich später als Erda entpuppen wird, das Kind. Der Säugling wird an diesem Abend nicht wieder auf der Bühne erscheinen, aber man fragt sich, ob das vielleicht schon die kleine Brünnhilde sein soll?

Im zweiten Bild besingt Wotan die Doppelhelix, die vor seinem Schreibtisch steht, als sein „Walhall“. Peter Schöne gestaltet die Partie mit leichter und beweglicher Stimme. Die Dialoge singt er klug, aber die Energie, die für einen „Walküren“-Wotan nötig ist, fehlt ihm. Ist die Burg also als wissenschaftliche Erkenntnis zu verstehen? Das Konzept geht dann aber nicht auf, denn als Fasolt und Fafner als Security-Männer des Konzerns erscheinen, wird immer wieder auf das Gebäude, in dem sich alle befinden, als „Burg“ verwiesen. Markus Jaursch legt den Fasolt lyrisch und pointiert an, wobei die Stimme in der Höhe aber ausdünnt. Hiroshi Matsui gibt mit schwarzem Bass den Fafner als bösen Buben.
Unterschiedlich ist das Niveau der Götterriege: Judith Braun ist eine scharf argumentierende Fricka, die manchmal zum Keifen neigt, Elisabeth Wiles eine zuverlässige Freia. Stefan Röttig als Donner bleibt unauffällig, während Angelos Samartzis den Froh mit fülligem und schönem Tenormaterial ausstattet. Algirdas Drevinskas als Loge kann seine Rolle zwar artikulieren, bleibt ihr sängerisch allerdings vieles schuldig.

In Nibelheim sehen wir, dass Alberich sich mit der Züchtung künstlicher ferngesteuerter Menschen beschäftigt hat. Die Tarnkappe funktioniert hier in beide Richtungen: Erst bekommt Mime die Elektrodenkappe aufgesetzt und von Alberich ein paar Schreckensvisionen vorgegaukelt. Wenn sich Alberich in einen Drachen verwandelt, steuert dieser nun die Virtual-Reality-Brillen, die sich Wotan und Loge aufgesetzt haben. Das ist hier schlüssig inszeniert, aber wie wird unter solchen Bedingungen der Drachenkampf im „Siegfried“ stattfinden?

Einen starken Auftritt als Mime hat Paul McNamara: Mit großem und kräftigem Tenor gibt er der Partie fast schon eine heldentenorale Aura. Da darf man gespannt sein, ob McNamara auch den Siegmund oder einen Siegfried verkörpern wird. Die 3. Szene erstreckt sich in Saarbrücken bis zu Alberichs Fluch, erst danach wechseln Wotan und Loge aus dem Laborkeller in die Chefetage, wo Freia dann mit einer Maschine, die man Alberich gestohlen hat, geklont und verdoppelt wird. Fafner zieht mit doppelten Freia ab. Auch hier stellt sich wieder eine ratlose Frage an die Zukunft dieses „Ringes“: Wie wird Siegfried im 2. Akt der nach ihm benannten Oper reagieren, wenn er beim Riesen die Göttin findet? Laut Libretto ist ja Brünnhilde die erste Frau, die er sieht, und das erst im 3. Akt!
Mystisch wird die weitegehend realistisch und psychologisch gehaltene Inszenierung beim Auftritt Erdas, die von Daria Samarskaya mit dramatischer Stimme gesungen wird: Erda sitzt unter der blühenden Weltesche, während im Wurzelwerk die drei Nornen vor sich hinträumen.

Das Finale ist dann ebenso faszinierend wie problematisch: Zu der Gewitter und Regenbogenszene entwickeln Donner und Froh gemeinsam einen Plan, um Fafner zu besiegen und präsentieren ein frisch kreiertes kindliches Zwillingspaar. Das ist ein starker Moment, wie die verzweifelten Kinder zu den triumphalen Schlussakkorden getrennt werden. Gleichzeitig ist es unlogisch, denn Fricka wird in der „Walküre“ den Siegmund-Plan scheitern lassen.

Am Pult der besuchten Aufführung steht nicht Sébastien Rouland, sondern Kapellmeister Stefan Neubert, der die Aufführung wahrscheinlich im Sinne des Saarbrücker GMDs leitet. Zweieinhalb Stunden dauert die Vorstellung, was dazu führt, dass der Witz der Dialog manchmal zerdehnt wird.
Schnellere Tempi würden helfen. Zudem müssten die orchestralen Höhepunkte der Partitur noch deutlicher herausgearbeitet werden.

Überraschend ist, dass dieses „Rheingold“, das schon im März 2020 fertig inszeniert war und wegen Corona nicht zur Premiere kam, wesentliche Elemente zweier anderer „Ring“-Produktionen vorweggreift, die kürzlich Premiere hatten: Kinder spielen auch in der Bayreuther Produktion von Valentin Schwarz eine große Rolle, während Dmitri Tscherniakovs Inszenierung an der Berliner Staatsoper auch in einem Labor angesiedelt ist.

Rudolf Hermes, 24.10.2022


Richard Wagner – Das Rheingold / Premiere am 18.09.2022 Saarländisches Staatstheater, Saarbrücken

Inszenierung: Alexandra Szemerédy & Magdolna Parditka

Musikalische Leitung: Sébastien Rouland/Stefan Neubert

Saarländisches Staatsorchester